Ausstellung: Mehr als ein T-Shirt:Brust rein, Bauch raus

Das liebste Modestück junger bis juveniler Menschen - Uniform oder Ausdruck größtmöglichen Individualismus? In Bielefeld wird die Kulturgeschichte des T-Shirts gezeigt. Die Bilder.

Till Briegleb

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Kulturgeschichte des T-Shirts

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Ist das T-Shirt Uniform oder Ausdruck größtmöglichen Individualismus? In Bielefeld wird die Kulturgeschichte eines facettenreichen Kleidungsstücks gezeigt. Die Bilder.

Alles, was jungen Menschen Spaß macht, kommt vom Militär. Das Internet und die Desktop-Oberfläche von Apple und PC wurden in Labors der US Army entwickelt. Computerspiele gehen in Hard- und Software zurück auf den Flugsimulator. Selbst die Popmusik wäre ohne das Schlagzeug, dessen Einzelinstrumente der Marschkapelle entstammen, eine traurige Veranstaltung.

Dass schließlich auch das liebste Modestück junger bis juveniler Menschen rund um den Globus aus der Kleiderkammer der Navy stammt, sollte die Verteidigungsminister dieser Welt langsam nachdenklich stimmen. Vielleicht suchen sie das Kerngeschäft des Militärs besser in der Freizeitindustrie. Denn alleine mit der Lizenz für das T-Shirt, das vor 100 Jahren als Unterhemd der amerikanischen Soldaten eingeführt wurde, ließe sich das Geld für ein paar Flugzeugträger verdienen.

Ross Sinclair, "T-Shirt Paintings", 1993 - 2009-11-23 / Foto: Bielefelder Kunstverein

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Allerdings hat die Funktionswäsche der Privates mittlerweile einige Funktionsänderungen durchgemacht, die dem patriotischen Geist von Ehre, Disziplin und Uniform nur noch bedingt entsprechen. Zum Beispiel, wenn vom T-Shirt nicht Obama, sondern Osama grüßt. Eine Fotoserie von Jan Rothuizen, der 2003 in Indonesien Menschen und ihre T-Shirts porträtiert hat, zeigt das menschliche Baumwoll-Plakat in seiner ganzen ideologischen Vielfalt: Ferrari und Bin Laden, Stone Temple Pilots und München-Bavaria, Mickey Mouse und Staatsgründer Sukarno werden mit dem gleichen gelassenen Selbstvertrauen getragen wie politische Parolen und private Botschaften.

Jérome Bel-Shirtology, 1997 / Foto: Bielefelder Kunstverein

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Allerdings vermittelt diese Zusammenstellung auch den Eindruck von dem totalen Bedeutungsverlust lokaler Kultur auf dem Markt der Bildproduktion, denn Indonesisch kommt hier nicht vor. Rothuizens Serie ist Teil einer Ausstellung im Bielefelder Kunstverein, die sich aus künstlerischer Sicht mit den Aspekten des emanzipierten Unterhemds beschäftigt - vor allem mit seiner Erfolgsgeschichte als textile Wandzeitung. Grafik, Comic, Schlüpfrigkeiten, Liebes-, Marken- und Hassbotschaften, religiöse Bekenntnisse und private Vorkommnisse werden über das Schweißhemd publik gemacht. Als Baustein einer medienkompatiblen Identität scheint das T-Shirt mittlerweile unverzichtbar.

Silke Wagner: o. T., 2003 / Foto: Bielefelder Kunstverein

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Künstler, Musiker und Modemacher hatten an dieser Erfolgsgeschichte wesentlichen Anteil. Charlie Chaplin, Marlon Brando und James Dean machten das Unterhemd als Statussymbol des rebellischen Geistes salonfähig. Punk etablierte das Band-T-Shirt als Fanartikel und damit den kommerziellen Erfolg des Merchandisings - das Ramones-Shirt von 1976 ist noch heute die Ikone nachhaltigen Band-Marketings. Andy Warhol, Keith Haring oder Takashi Murakami bespielten ganz unverkrampft den Massenmarkt des Brustbildes. Und selbst Edelmarken wie Martin Margiela (für Aids-Kampagnen) oder Modezeitschriften wie Vogue (für Obdachlose) benutzen das T-Shirt als Trägermedium für außermodische Anliegen - immer begleitet vom Verdacht, hier handle es sich eher um kommerziell gesteuerte Menschlichkeitsbehauptungen.

Clemens Wilhelm: 100, 1 von100, 2008/2009 / Foto: Bielefelder Kunstverein

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Jenny Holzers berühmter Slogan von 1983, "Protect Me From What I Want", prangt dann auch gleich am Anfang der Ausstellung "Mehr als ein T-Shirt" weiß auf schwarzem Grund und erinnert an die Ambivalenz kapitalistischer Verführung, die negative Seiten geradezu panisch und mit großem Marketingaufwand verbirgt: Seien es die Herstellung in moderner Sklavenarbeit, die Gesundheitsgefährdung durch zweifelhafte Materialien oder die Umweltprobleme, die der Massenkonsum grundsätzlich verursacht. Ross Sinclairs Wandbehang mit "T-Shirt-Paintings" zeigt, wie monoton vermeintliche Meinungsvielfalt sein kann: Unterschiedlichste Slogans tauchen in der gleichen Schrift auf und werden als buntes, aber wirkungsloses Gerede hingestellt. Und Silke Wagners Protest-Shirt zeigt Angela Davis mit einem Demonstrationsschild, dessen Oberfläche und Inhalt sich dank Klettverschluss beliebig austauschen lassen.

Jenny Holzer: Survival, 1983-85 / Foto: Bielefelder Kunstverein

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Jonathan Monk wiederum macht sich über den Künstlergestus lustig, der das T-Shirt als wahren Erben des Multiples seriös machen möchte. Mit Farbklecksen und Lackspray sowie einem Aufdruck, der das Shirt zum Teil einer Künstlerserie mit der Auflage "elf bis zwölf" erklärt, hat er für die Ausstellung dann doch lieber nur zehn T-Shirts hergestellt, die weder wasch- noch tragbar sind. Aber auch Versuche von Künstlern, das T-Shirt als Leinwand für jedermann zu bespielen, sind hier dokumentiert. Vivienne Westwoods Erfindung der Punk-Mode gemeinsam mit Malcom McLaren und den Sex Pistols oder mit Tinte bemalte T-Shirts von Sarah Lucas und Tracey Emin, die diese 1993 in ihrem eigenen Laden in London verkauften, deuten an, wie der Kunstverkauf im Selbstvertrieb glücken kann. Heute braucht Sendungsbewusstsein nur noch einen Klick zum Selbstdruck-Shop im Internet. Die vollständig demokratisierte Kunst, bei Joseph Beuys noch eine Forderung, ist längst verschwenderischer Alltag.

Vivienne Westwood: Lips (SarahStockbridgelips), vor 1980 / Foto: Bielefelder Kunstverein

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Als Symbol ungebrochener Wegwerfmentalität ist das billig zu produzierende Kunst- oder Parolenshirt natürlich auch Schauplatz ökologischer Bigotterie. Die Einmal-T-Shirts aus grauem Flies des Modelabels Bless, die während des ersten Tragens garantiert zerreißen, sind der zynische Kommentar zur Massenproduktion von Che-Guevara-Logos für den reich sortierten Kleiderschrank. Und die Arbeit von Clemens Wilhelm schließt endlich wieder den Bogen zum Militär. Vor einem tarngrünen Hintergrund hat er hundert Bielefeldern ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "ICH" angezogen und sie fotografiert. So lässt die Uniform des Individualismus den Mensch zurück ins Glied treten. Alle glücklich eingekauft? Yes, Sir!

Bless N° 2: Disposable T-Shirt, 1997 / Foto: Bielefelder Kunstverein

"Mehr als ein T-Shirt", Bielefelder Kunstverein, bis 24. Januar 2010. Info: www.bielefelder-kunstverein.de

Text: Till Briegleb/SZ vom 23.11.2009/sueddeutsche.de/iko

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