Ausstellung von Benetton-Mitbegründer:Kunst, nach Farben sortiert

Ist es der Spleen eines Milliardärs oder der legitime Ansatz, Kunst neu zu denken? Textil-Mogul Luciano Benetton präsentiert in Venedig sein Weltarchiv der Kunst.

Von Paul Katzenberger

17 Bilder

Luciano Benetton

Quelle: AFP

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Mit neuen Ideen im Handel mit Kleidern schafften es die italienischen Geschwister Luciano, Gilberto, Giuliana und Carlo Benetton aus bescheidenen Verhältnissen zu einer der wohlhabendsten Familien Europas aufzusteigen. In dem eleganten Dolomiten-Refugium Cortina d'Ampezzo richtete der älteste Bruder Luciano in den Sechzigerjahren die erste Selbstbedienungs-Boutique der Welt ein, und die Alpenschickeria riss ihm seine bunten Pullover aus den Händen.

Seit den 1980er Jahren sorgte die Benetton Group mit provokativer Werbung für Aufsehen. Vor allem die Aufnahmen von ...

Luciano Benetton im Jahr 2000 in einem Laden seiner Kleiderkette in Tokio.

Benetton-Kampagne 2011

Quelle: Benetton

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... Oliviero Toscani, die immer wieder Tabuthemen wie den Tod oder religiöse Verbote adressieren, sorgten für Empörung und führten zeitweise zum Boykott von Benetton-Produkten. Allerdings erhielt der Modekonzern auch Preise für seine Kampagnen, was das politische Sendungsbewusstsein förderte: 1991 gründete Benetton die ambitionierte Vierteljahreszeitschrift Colors, drei Jahre später...

Ein Plakat der Benetton-Kampagne "Unhate" aus dem Jahr 2011 zeigt US-Präsident Barack Obama (links), wie er den verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez küsst.

Luciano Benetton

Quelle: Borut Peterlin

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... hob der Modekonzern "Fabrica" aus der Taufe, einen Talent-Campus für junge Künstler und Mediengestalter.

Die Dinge ein kleines bisschen anders machen - das ist noch immer die Maxime des Firmengründers aus der Region Venetien, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feiert. Vor sieben Jahren zog er sich zwar aus der Führung seines Imperiums zurück, doch noch immer schiebt er neue Unternehmungen an. Dabei hat es Benetton nicht auf noch mehr Geld abgesehen - bei seinem Vermögen von mehr als zwei Milliarden Euro stellen ein paar Millionen Euros hin oder her keine relevante Größe mehr für ihn dar.

Luciano Benetton im Jahr 1995 bei der Eröffnung von Fabrica.

Screenshot imagomundiart.com

Quelle: Screenshot imagomundiart.com

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Wie Bill Gates oder anderen Superreichen geht es dem Italiener um eine bessere Welt, die er speziell durch eine Förderung der Künste realisieren will. Die Farben lassen ihn nicht ganz los, nur dass er jetzt neue Wege geht: Sein Projekt "Imago Mundi" ("Bild der Welt"), das er 2008 startete, unterscheidet sich deutlich von der klassischen Talentförderung in der Kunst. Es geht ihm nicht um die Unterstützung des individuellen Leistungspotenzials - mit der damit einhergehenden Hoffnung, vielleicht einen neuen Neo Rauch zu entdecken.

Screenshot der Website von "Imago Mundi".

Luciano Benetton - Designyours 2013, Österreich, Gabor Bachmann

Quelle: Imago Mundi

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Ginge es darum - "Imago Mundi" müsste als gescheitert betrachtet werden. Allein die Vorgabe, dass die eingereichten Kunstwerke nicht größer sein dürfen als zehn auf zwölf Zentimeter, widerspricht jeder Ambition, sich künstlerisch und individuell in Szene zu setzen. Benetton kam auf die Idee, Kunstwerke in Postkartengröße zu sammeln, als ihm 2008 ein chilenischer Maler statt einer Visitenkarte ein Bild in dieser Größe vermachte.

"Für einen Künstler ist das eine absolute Zumutung", sagt der Designer und frühere Direktor des Museums für angewandte Kunst in Wien, Peter Noever. Im Kunstmarkt gehe es stets um die Individualität des einzelnen Künstlers und das gegenseitige Kräftemessen. "Sich da auf dieses kleine Format zu reduzieren, ist eine große Herausforderung."

Luciano Benetton - Designyours 2013, Österreich, Gabor Bachmann. Porträt Luciano Benettons, das der Künstler Gabor Bachmann "Imago Mundi" im Format zehn auf zwölf Zentimeter zur Verfügung stellte.

Insel San Giorgio Maggiore

Quelle: AFP

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Als Provokation müssen Künstler nach Auffassung Noevers auch Benettons Vorhaben empfinden, bei "Imago Mundi" eine Art Weltarchiv der Kunst anzulegen, und zwar in Form von Schenkungen. Die einzige Kompensation, die er bietet, ist die Weltöffentlichkeit, der die Sammlung kostenlos präsentiert wird. Je größer die Kollektion als Ganzes ausfällt, desto unbedeutender wird allerdings gleichzeitig der Beitrag jedes teilnehmenden Künstlers. Das individuelle Ego, das schon immer die treibende Kraft von künstlerischen Erschaffern war, muss sich bei "Imago Mundi" hintanstellen.

Was die schiere Masse angeht, ist für diese erdumspannende Sammlung kein Superlativ zu groß. In der aktuellen Ausstellung des Projekts "Map of the New Art" im Palazzo der Giorgio-Cini-Stiftung auf der Insel San Giorgio Maggiore in der Lagune von Venedig hängen Exponate von 6930 Künstlern aus 40 Ländern, darunter Iran, Griechenland, Mexiko, Chile, Syrien und Tibet.

Doch das ist nur ein kleiner Ausschnitt des bislang bestehenden Archives. Bis Ende des Jahres wird es auf 100 000 Werke von 20 000 Urhebern angewachsen sein.

Blick über die Lagune von Venedig auf den Palazzo der Giorgio-Cini-Stiftung auf der Insel San Giorgio Maggiore.

Christo: "The Mastaba"

Quelle: Imago Mundi

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Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, wenn dem Besucher von "Map of the New Art" auf der Isola San Giorgio Maggiore nicht sofort Werke ins Auge stechen, die die Wucht großer Meister entfalten.

Die Ikonografie eines Warhols, Bacons oder Pollocks ist hier nicht auszumachen, obwohl einige große Namen wie Laurie Anderson, Christo, Frank Gehry, Zaha Hadid und Korakrit Arundachai durchaus zu dieser Schau beigetragen haben. Doch auch diese prominenten Künstler stechen mit ihren Miniaturen aus der Masse von Arbeiten meist junger und unbekannter Künstler nicht heraus.

Christo, "The Mastaba", Collage, Wachs, Kreide, 2013, Österreich

Jo Won Il "Lass uns daran arbeiten, dass der Sport in jedem Unternehmen beliebter wird". 2013, Nordkorea.

Quelle: Imago Mundi

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Unter dem Aspekt der künstlerischen Qualität wirkt die Schau stellenweise vielmehr unspektakulär, manchmal sogar trivial oder propagandistisch: Besonders die 207 Arbeiten aus Nordkorea sind zum allergrößten Teil Massenkunst entweder in Form ostasiatischen Brauchtums oder im Stile des sozialistischen Realismus.

Und doch verdeutlichen gerade die Bilder aus der abgeschotteten Diktatur das Konzept dieser Schau. Junge Künstler hätten viel zu sagen und er habe ihnen diese Chance geben wollen, sagt Luciano Benetton: "Kunst kennt jene Grenzen nicht, auf die die Politik oder die Wirtschaft stößt. So sind wir dank Imago Mundi auch in schwierige Gebiete vorgedrungen: Wir haben Werke aus Tibet, wir haben kurdische Künstler, palästinensische und israelische - und eben auch nordkoreanische." Das Projekt sei der Versuch, "eine Welt ohne Grenzen, ohne politische, ideologische und religiöse Barrieren" zu präsentieren.

Jo Won Il "Lass uns daran arbeiten, dass der Sport in jedem Unternehmen beliebter wird". 2013, Nordkorea.

Video-Installation von Zaher Omareen im syrischen Sektor der Ausstellung "Imago Mundi".

Quelle: Imago Mundi

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Um das zu erreichen, versuchen die 50 internationalen Kuratoren, die bei "Imago Mundi" zusammenwirken, just auch Künstlern Gehör zu verschaffen, deren Stimmen nicht mehr gehört werden können, weil sie in Konfliktregionen arbeiten.

Teil der syrischen Sektion ist etwa eine Installation, die der in London lebende Künstler und Journalist Zaher Omareen organisiert hat. Er bat 35 syrische Künstler, ihm einminütige ungeschnittene Videos ohne Dialoge zu schicken. Zirka die Hälfte der Videos wurden aus Syrien eingereicht, der Rest kam aus allen Teilen der Welt, einige davon aus Flüchtlingslagern. In der Ausstellung laufen die Videos auf Mobiltelefonen, die auf Passepartouts montiert sind (im Bild).

Die größte Herausforderung sei es gewesen, die Videos aus Syrien herauszuschaffen, sagt Omareen: "Manchmal gab es keinen Strom und kein Internet. Manche Künstler wollten nicht genannt werden, weil es ihnen zu gefährlich erschien."

Kuratorin Donatella della Ratta (zweite von links) erklärt Luciano Benetton (links) ihre Auswahl syrischer Kunstwerke.

Quelle: Marco Zanin

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Der italienischen Kommunikationswissenschaftlerin Donatella della Ratta, die die syrische Sektion kuratierte, ist allerdings die Feststellung wichtig, dass die von ihr ausgesuchten Werke nicht nur vom Krieg handeln: "Das, was Syrien für mich immer ausgemacht hat, ist immer noch da: Das sind die wunderbaren Menschen dieses Landes, und das drückt sich in diesen Arbeiten vielfältig aus."

Donatella della Ratta (zweite von links) erklärt Luciano Benetton (links, mit dem Rücken zum Betrachter) ihre Auswahl syrischer Kunstwerke.

Besma H'Lel "Arab est-ce que? / Arabesque", 2014, Tunesien

Quelle: Imago Mundi

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Auch an anderer Stelle der Ausstellung spiegeln die Kunstwerke die Spannungen innerhalb und zwischen Ländern wider. In der tunesischen Sektion steht etwa deutlich die Frage nach der arabischen Identität im Raum, und welche Rolle die Kunst im arabischen Frühling spielte.

Besma H'Lel "Arab est-ce que? / Arabesque", 2014, Tunesien. Der Titel ist ein Wortspiel aus der Frage: "Araber, was ist das?, die im Französischen dem zweiten Titel des Kunstwerks "Arabesque" sehr ähnlich klingt.

Deten Dolma, "Ohne Titel", 2013, Tibet.

Quelle: Imago Mundi

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Bei der Auswahl tibetischer Werke fiel Kuratorin Paola Vanzo auf, dass die Unterdrückung der tibetischen Kultur in China von Künstlern im Exil wesentlich offener thematisiert werde als von Schöpfern, die in Tibet lebten. "Darin drückt sich natürlich die Zurückhaltung aus, die in Ostasien zur Kultur gehört", erklärt Vanzo.

Deten Dolma, "Ohne Titel", 2013, Tibet. Der Künstler, der in der Bay Area von San Francisco lebt, zitiert den Lama Marpa Lotsawa aus dem elften Jahrhundert, um seine Kunst zu beschreiben: "Die Freiheit von Hoffnung und Angst bedeutet Glückseligkeit."

Pemba Tsering, "Pain Between Doors" 2013.

Quelle: Imago Mundi

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Doch es zeige sich darin auch die Widerstandskraft der tibetischen Kultur, die der chinesischen Repression vor Ort etwas entgegenzusetzen habe: "Tibet besteht nicht nur aus den Selbstverbrennungen tibetischer Mönche, auf die die Wahrnehmung des Landes bei uns häufig reduziert wird", betont Kuratorin Vanzo. Die Menschen hätten vielmehr oftmals einen Modus vivendi gefunden, ihre Kultur an der Unterdrückung vorbei zu leben. "Und die Bilder zeigen das."

Pemba Tsering, "Pain Between Doors" 2013. Der 43-jährige Künstler, der in Tibet lebt und dem chinesischen Künstlerverband angehört, erklärt sein Bild so: "Pain Between Doors soll ausdrücken, wie unvorhersehbar sich unser Zusammenleben gestaltet. Es ist zu einem Rätsel geworden, dass die Menschen nicht lösen können.

Neda Ghayouri Moteasseb, "Ohne Titel", 2014

Quelle: Imago Mundi

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In der iranischen Sektion der "Imago Mundi"-Ausstellung überrascht die hohe Zahl von Bildern mit sexueller Konnotation. Es erscheint nahezu so, als bilde die Kunst im sittenstrengen Mullah-Staat ein Ventil für unterdrückte Bedürfnisse.

Für Neda Ghayouri Moteasseb, von der "Ohne Titel" aus dem Jahr 2014 (oben) stammt, besteht etwa ein elementarer Zusammenhang zwischen der Natur und der Sexualität: "In der Mythologie war die Fruchtbarkeit von zentralem und beständigem Interesse für die Menschheit."

Die Landschaft Nordirans, wo sie lebt, habe einen großen Einfluss auf ihre Kunst, sagt die 26-Jährige: "Das Meer, die Bäume und die Vögel sind seit vielen Jahren Gegenstand meiner Kunst. Meine jüngste Obsession gilt der Ähnlichkeit von Formen in der Natur und weiblichen Genitalien."

Peter Noever (links) und Luciano Benetton.

Quelle: Imago Mundi

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Der Wiener Designer Peter Noever (links im Bild), der Benettons Weltarchiv für eine Zumutung für Künstler hält (siehe Bild 5), hat sich trotzdem dafür entschieden, die deutsche und österreichische Sektion von "Imago Mundi" zu kuratieren.

Denn auch im regulären Kunstbetrieb bestünden Zwänge. Künstler beugten sich dem Diktat des Marktes, der Galerie und des Sammlers, sagt Noever: "In unserer Gesellschaft, in der der Kunstmarkt im Hintergrund ziemlich systematisch und ohne Irritationen abläuft, ist die unentgeltliche Überlassung eines Kunstwerkes in diesem Format an Herrn Benetton ein Akt, der uns ganz gut tun kann. Mich interessiert die Reaktion der Künstler, wenn etwas anderes in die bestehende Struktur eingebracht wird. Das hier ist ein Ereignis, das viele Ebenen hat und viele Aspekte, und da können sehr viele Leute unterschiedlich darüber empfinden und darüber diskutieren."

Michael Niemetz, "Breathless", 2013, Österreich

Quelle: Imago Mundi

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So ergebnisoffen betrachtet der Wiener auch seinen eigenen Beitrag als Kurator für Benettons Vorhaben, der durch eine fragende Haltung gekennzeichnet ist. So sind in der österreichischen Sektion "Vienna for Art's Sake" auch zwei tote Künstler vertreten - Otto Muehl und Alfons Schilling - für die jeweils eine leere Minileinwand ausgestellt ist. Johanna Braun hat auf ihren Beitrag "No is No" gestickt und auch Michael Niemetzs "Breathless" ist eine Provokation: Er machte einfach ein Loch in die Leinwand und stopfte einen schlaffen Ballon hinein.

Michael Niemetz, "Breathless", 2013, Österreich

"@" von Peter Weibel.

Quelle: Imago Mundi

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Zur deutschen Sektion "Germany, Mon Amour" trägt Peter Weibel bei (im Bild). Der Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe befasst sich mit Fragen der Visualisierung im Computerzeitalter.

Dass dieses Thema bei "Imago Mundi" auftaucht, ist nur konsequent. Die Website von Benettons Weltarchiv bietet einen sehr systematischen Zugang zu den Exponaten, sogar nach Farben kann gefiltert werden - genauso wie im Online-Shop der United Colours of Benetton. "Ist das noch Kunst?" Die Frage ist kein Frevel - sie gehört zu den vielen Ebenen, die diese Aussstellung eingezogen hat.

Peter Weibel, "Triple A", 2015, Deutschland.

Aussstellung "Map of the New Art", Fondazione Giorgio Cini, 1. September bis 1. November 2015, San Giorgio Maggiore, Venedig. Der Eintritt ist kostenlos.

© SZ.de/sonn/jobr
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