Ausstellung:Lust oder Mord

Manchmal kämpfen Männer und Frauen miteinander, auch in der Kunst. Manchmal aber wollen sie nur nicht allein sein. Eine große Schau in Frankfurt führt durch die Moderne.

Von Susan Vahabzadeh

Die amerikanische Feministin Gloria Steinem hat letzte Woche, anlässlich der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, die Ausdrücke "postfeministisch" und "postrassistisch" auf den Müll befördert. Solche relativ jungen Güter wie Gleichberechtigung sind ja tatsächlich unter Beschuss geraten in letzter Zeit. Insofern hat die - jahrelang vorbereitete - Ausstellung "Geschlechterkampf" im Städelmuseum in Frankfurt, die von diesem Donnerstag an fürs Publikum geöffnet ist, das perfekte Timing.

"Geschlechterkampf" klingt griffig, ist aber zum Glück nicht ganz ernst gemeint, es wird nicht nur gekämpft in dieser Schau, sie zeigt auch Rollenbilder, erlaubt ein Nebeneinander ganz unterschiedlicher Positionen; und da, wo gekämpft wird, geschieht es manchmal Seite an Seite. Aber es sind dann schon sehr verstörende Bilder dabei, an denen man sehr gut sehen kann, dass der Prozess der Emanzipation immer wieder Rückschläge erlebt hat, die Reaktionen auf neue Rollenverteilung Angst und Aggression waren und vor allem der Versuch, Frauen zum Objekt zu machen. Der Zeitrahmen führt von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, "Franz von Stuck bis Frida Kahlo", mehr als 150 Exponate, vorwiegend Gemälde, aber auch Skulpturen, Fotografien und Filmausschnitte haben die Kuratoren Felicity Korn und Felix Krämer zusammengestellt, und es sind Sachen dabei, auf die muss man erst einmal kommen. Die Ausstellung zeigt einen der ersten Filme von einer Frau überhaupt, gleich ein trauriges Pamphlet - Alice Guys sieben Minuten langen "Les Résultats du féminisme" von 1906. Ein Filmausschnitt aus Merian C. Coopers Original- "King Kong"-Film von 1933 mag naheliegend sein, weil er - obwohl er eigentlich viel Mitleid hat mit der geschundenen Kreatur - über die Jahrzehnte zum Sinnbild des Verhältnisses von Machos und wehrlosen Frauen wurde. Aber wer kennt schon die kleine, zierliche Skulptur von Emmanuel Frémiet, "Gorilla, eine Frau raubend" von 1887, die als Inspiration für King Kong gilt?

Die Teilung in Heilige und Huren bedeutete eine Unterteilung in Gefangene und Aussätzige

Die zeitliche Festlegung ist genau genommen ein bisschen willkürlich - aber es ist dann doch ganz gut, dass es eine gibt. Die Forderung nach Frauenrechten wurde schon seit der Französischen Revolution laut; der aktive Kampf ums Wahlrecht aber spitzte sich erst spät im 19. Jahrhundert zu. Was dann eine Mode auslöste, Femmes fatales zu malen, richtig mörderische. Salomé und Judith sind die Klassikerinnen des späten 19. Jahrhunderts, beide biblische Gestalten, und der Gegenentwurf zu Heiligen, weil sie Männer enthaupten oder enthaupten lassen - Judith musste dafür allerdings erst umgedeutet werden; dass sie den Tyrannen Holofernes vernichtet, war lange eine Heldentat. Lovis Corinths Salomé von 1914, die im Städel zu sehen ist, lässt einen erschauern. Sie ist nicht hässlich, aber der Schlafzimmerblick, den sie auf die Schale mit dem Kopf von Johannes dem Täufer wirft, ist grausam; der Grusel geht so weit, dass man daneben sieht, wie der Körper aus dem Bild geschleift wird. Oder John Colliers unglückselige Lilith, eine dämonische Gestalt aus der jüdischen Überlieferung, von der Collier, als er sie 1894 malte, fast eins mit einer Schlange, eine makellose, scharf kon- turierte Frau vor düsterem Hintergrund, noch nicht wissen konnte, dass sie später mal zur feministischen Symbolfigur werden würde, weil sie sich nicht unterdrücken lässt.

Im Raum mit den Adam-und-Eva-Motiven gibt es nicht nur den anklagenden Sündenfall zu sehen. Es ist auch ein wunderbares Gemälde von Suzanne Valadon aus dem Jahr 1909 dabei, die sich selbst und ihren 21 Jahre jüngeren Lebensgefährten André Utter ins Paradies malte. Oft malen auch die Frauen andere Frauen, schon aus gesellschaftlicher Konvention heraus - professionelle Modelle sind ja lose Weibsstücke, die sich ein Mann zwar ins Atelier laden konnte, eine Frau aber nicht die männliche Entsprechung. Valadon aber war selbst Modell gewesen und legte auf Sittlichkeit nicht allzu viel Wert; das Malen hatte sie gelernt, indem sie den Malern zusah, die sie buchten, unter anderem waren das Edgar Degas und Henri de Toulouse-Lautrec, die ihr dann als Malerin auch halfen. Ein schmeichelndes, lichtdurchflutetes Bild, ganz weich wirken die beiden Gestalten. Eva greift nicht allein nach dem Apfel, der Geliebte hat den Arm um sie gelegt und hält dabei ihre Hand. Die Szene wirkt eher romantisch, vergnüglich, als dass man drohendes Unheil spüren würde.

Ursprünglich hatte Valadon auch Utter ganz nackt gemalt, aber sie hätte das Bild so nicht ausstellen dürfen - völlig nackt durfte sie nur eine Frau zeigen. So malte sie die geforderten Blättchen an die entscheidenden Stellen. Sie muss ziemlich viel Sinn für Humor gehabt haben: Sie wählte nicht die übliche Feige, sondern Wein, was nicht ganz die Assoziationen weckt, welche die Sittenwächter im Sinn hatten; Lorbeer wäre auch lustig gewesen.

Der Kampf um die Rechte von Frauen war immer auch einer gegen die Moral, denn die war ein Mittel der Repression; die Unterteilung der Frauen in Heilige und Huren bedeutete auch eine Unterteilung in Gefangene und Aussätzige. Es gibt hässliche Dirnen zu sehen in dieser Ausstellung, doch am meisten ins Gedächtnis brennt sich ein Gemälde von Josef Scharl: Die verfremdete Frau ist nicht schön, sie sieht krank aus, sie ist kahl, hat Blessuren im Gesicht, Strangulationsmale am Hals. Scharl nannte das 1931 entstandene Gemälde "Misshandelte Dirne". Es ist ein gutes Beispiel für ein Nebeneinander unterschiedlicher Haltungen. Scharl, der Ausbeutung zum Thema macht, ist von Empathie getrieben - die ist bei einigen Zeitgenossen nur schwer hineinzuinterpretieren.

Ein ganzer Raum im Städel widmet sich dem Lustmord - ein fieser Exkurs in Sachen Misogynie, dazu noch eine deutsche Spezialität, nicht das Morden an sich, aber die Gemälde, die ihn thematisieren. Sie sind nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, damals kam Verschiedenes zusammen: Die Männer kehrten nach Hause zurück, und ihre Frauen hatten eine neue Selbständigkeit entwickelt, einfach nur, weil sie mussten. Das hatte Folgen. Diese Ära ist eben auch jene, als erstmals die Röcke kürzer wurden und die Haare auch. Besonders der Erste Weltkrieg hatte Massen von Männern in ihre Heimat zurückgespült, die physisch und psychisch versehrt waren, traumatisiert, Arme und Beine zerstückelt. Und dann, das unterscheidet die deutschen Maler von den englischen, hatte man diesen Krieg auch noch verloren.

Oft geht ein starker Schmerz nicht alle an, sondern nur den einzelnen Menschen

Wie jemand mit so etwas umgeht, ist individuell - aber genauso, wie man während der Anfänge der Frauenbewegung plötzlich ungewöhnlich viele böse Weiber ausmachen kann als Motiv oder eben solche, die zum Objekt degradiert sind, gibt es tatsächlich aus den Zwanzigerjahren auch viele mit toten, zerstückelten Frauen. "Der Träumer II" von Heinrich Maria Davringhausen ist ein Paradebeispiel - ein sehr auffälliges, kühles Gemälde, entstanden 1919. Ein Vertreter der Neuen Sachlichkeit, in der Mitte sitzt ein Mann mit kalten, leeren Augen, er selbst nimmt den meisten Raum ein. Um ihn herum ist Illusion. Eine Palmeninsel mit Vollmond und einem sich umarmenden Paar schwebt an der Decke, hinter dem einen Fenster ist Sonnenlicht, hinter dem anderen schwarze Nacht, in der Wand tut sich eine bedrohliche dunkle Gasse auf. Seltsam real dagegen wirkt die Frauenleiche, die - Beiwerk eben - links auf dem Bett liegt, das Gesicht bedeckt, aber sonst nackt, Blut tropft aus ihrem Hals. Die Konturen sind klar, die Farben satt. Neben der Hand des Träumers liegt das blutige Rasiermesser. Schon die Dimensionen sind Ausdruck männlicher Überlegenheitssehnsucht. Der Hass, weil die sich nicht erfüllt, wird dann umgeleitet auf die Geliebte. Selbst wenn auch die Leiche nicht real wäre - was wäre das dann für eine egozentrische, böse Fantasie?

Es sind die Rollenzuweisungen, die Dämonisierungen und Objektifizierungen, die man auch heute noch kennt, die zu sehen sind; manchmal ist das vollkommen klar. Es wäre wirklich schwer, in der Puppe, die Oskar Kokoschka anfertigen ließ, nachdem Alma Mahler weitergezogen war, ein Kompliment zu sehen - auf dem Gemälde, das im "Geschlechterkampf" zu sehen ist ("Maler mit Puppe", um 1922) hält er sie auf dem Schoß wie ein Bauchredner. Aber was ist mit den Bildern von Edvard Munch, von denen eine ganze Reihe im Städel gezeigt werden, sieht man dort Selbstmitleid oder Frauenfeindlichkeit? "Die Mörderin" beispielsweise hat ihm das Herz herausgerissen, er selbst liegt in der Ecke; sie sieht vielleicht ein bisschen bedrohlich aus mit ihrem roten Haar, aber nicht wie ein Monster, das ihn zerfleischt hat; sie konnte vielleicht einfach nicht anders.

Manchmal liegt die Misogynie im Auge des Betrachters, und der Schmerz geht gar nicht alle an, sondern nur einen einzelnen Menschen. Das mit den Männern und den Frauen ist fürchterlich kompliziert, fast so wie im richtigen Leben.

Geschlechterkampf - Franz von Stuck bis Frida Kahlo. Städel Museum, Frankfurt, bis 19. März. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet 49,95 Euro.

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