Ausstellung: Less and More:So weiß, so gut

Innovativ und dabei langlebig: Eine Rams-Retrospektive in Frankfurt zeigt, wie modern das Design der fünfziger Jahre noch immer ist - und bei wem Apple sich offenbar bedient hat.

Laura Weissmüller

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Ausstellung: Less and More:Dieter Rams

Dieter Rams

Quelle: online.sdekultur

Innovativ und dabei langlebig: Eine Rams-Retrospektive in Frankfurt zeigt, wie modern das Design der 50er Jahre noch immer ist - und bei wem Apple sich offenbar bedient hat.

Angenommen, jedes Designobjekt produziere einen eigenen Klang, dann würde man bei Eames' Plastikstühlen vielleicht etwas fröhlich Beschwingtes hören, bei Mies van der Rohes Barcelona Chair eher ein paar dunkle ernste Töne - und bei Dieter Rams' Elektrogeräten? Einen eingängigen und trotzdem nicht banalen Sound, freundlich, aber nicht witzig. Möglicherweise auch etwas, das nach Cool Jazz klingt und damit nach dem, was sich besonders gut auf seinem Plattenspieler SK 4, dem legendären "Schneewittchensarg", hören ließ, watt- und bassschwach wie er war.

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Ausstellung: Less and More:Braun Phonosuper "SK 4" von 1956

Dieter Rams

Quelle: online.sdekultur

Auch diejenigen, die ganz ohne den Griff zum Plattenteller aufgewachsen sind, kennen Dieter Rams' Produkte. Wecker, Taschenrechner, selbst elektronische Zahnbürsten hat der Designer vier Jahrzehnte lang für die Firma Braun entworfen, für Vitsoe kreierte er erweiterbare Systemmöbel, die heute im Kanzleramt stehen. Lange vor der großen Retrospektive seiner Arbeit, die jetzt das Frankfurter Museum für Angewandte Kunst zeigt, war Rams damit schon einer der bekanntesten Designer Deutschlands - auch weil immer mehr Firmen, allen voran Apple, seine elegant schlichte Formensprache als Inspirationsquelle nutzten. Das ist mehrere Jahrzehnten später erstaunlich genug, doch dass Rams' Designethos heute vielleicht sogar noch moderner ist als sein minimalistischer Stil, ist noch interessanter.

Die Geschichte von Dieter Rams' Design kann nur mit der Geschichte der Firma Braun erzählt werden - in Amerika und Japan nannte man den Designer schlicht "Mr. Braun". Doch ebenso gehört der Verweis auf das große Team von Designern dazu, das den klaren Braun-Stil prägte, und auch ein kurzes Vorwort zur Tradition der funktionalen Gestaltung in Deutschland. Beides liefert die Frankfurter Ausstellung. So baumelt gleich über dem Eingang ein Stuhl der Gebrüder Thonet als Beispiel für das erste halbindustrielle Massenprodukt Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Gegenstand, der durch seine Funktion in der Form bestimmt werden sollte. Und auch der Hinweis auf Peter Behrens, den ersten deutschen Industriedesigner überhaupt, findet sich in der Vitrine daneben, entwarf der doch für das Unternehmen AEG das gesamte Erscheinungsbild, vom Briefkopf bis zum Industriebau, lange bevor so etwas Corporate Identity hieß. Auch die Firma Braun sollte später darin neue Maßstäbe setzen, selbst ein Werbegeschenk musste da in die sachlich schlichte Linie des Hauses passen. Und schließlich gehört auch das Bauhaus zur Vorgeschichte des Rams'schen Entrümpelungsversuchs, allen voran die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Disziplinen in Weimar und Dessau. Wie sich dort Architekten und Ingenieure gemeinsam über die Entwürfe beugten, so arbeiteten später bei Braun im Taunus die Designer intensiv mit den Technikern zusammen.

Foto: Koichi Okuwaki

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Ausstellung: Less and More:iPod

Fünf Jahre iPod

Quelle: bug.bildextern

Seit Gründung der Firma 1921 setzte der Hersteller von elektronischen Haushaltsgeräten auf moderne Technik. Der Beginn des Designzeitalters für das Unternehmen fing jedoch erst drei Jahrzehnte später an, dann nämlich, als Erwin Braun 1955 Kontakt zur legendären Hochschule für Gestaltung (HfG) in Ulm aufnahm, um der modernen Technik endlich auch ein entsprechendes Design folgen zu lassen. Dass damit auch das hehre Ziel der Schule, die Menschen durch bessere Gestaltung auch zu besseren Menschen zu erziehen, aus Ulm importiert wurde, störte Braun nicht. Auch Dieter Rams sollte diese schöne, wenn auch reichlich naive Hoffnung lange hegen. Der begann fast zeitgleich mit den Ulmern im Unternehmen zu arbeiten, erst als Innenarchitekt, sehr schnell dann aber als Chef der Designabteilung; seine Ideen passten einfach perfekt zu den Vorstellungen von Erwin Braun. Die Zielsetzung bei Dieter Rams dabei war klar: aufräumen. Der Gestalter, 1932 in Wiesbaden geboren, wollte das Schlichte, Einfache, auch weil Ordnung für ihn Sicherheit bedeutete. In der penibel aufgeräumten Schreinerwerkstatt seines Großvaters fühlte sich das Scheidungskind Rams sicher. Im Nachkriegsdeutschland wollte er nun ebenfalls Ordnung schaffen. Entrümpeln nannte er das. Gleichzeitig sollte das einfache Design bei Braun aber auch einen Hinweis auf die leichte Bedienung der Geräte geben - etwas, das Apple heute ebenfalls genial bei seinen Produkten gelingt, womit das Unternehmen auch die anspricht, die sich nicht allzu sehr für Technik interessieren. Denn: Wer muss schon Angst haben vor einem Computer, der mit ein paar Knöpfen auskommt, und dabei noch aussieht wie ein schicker Einrichtungsgegenstand?

Foto: dpa

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Ausstellung: Less and More:Braun HiFi Radio-Phono-Kombination "audio 2" von 1964

Dieter Rams

Quelle: online.sdekultur

Es ist erstaunlich, wie schnell die reduzierte Formensprache bei Braun von Mitte der fünfziger Jahre an auch für einen Zeitsprung sorgte: Sieht die Radio-Phono-Kombination combi von 1955, immerhin entworfen von Wilhelm Wagenfeld, heute aus wie ein drolliges Kinderspielzeug, wirkt das Tischradio von Artur Braun und Fritz Eichler aus dem selben Jahr modern entschlackt, so, als hätte man einfach die Luft herausgelassen und dabei auch die Farbe mitgenommen. Innendrin steckt zwar noch die gleiche Technik, doch die Hülle katapultiert das Gerät ein paar Jahrzehnte nach vorne. Eine ähnliche Wirkung lässt sich bei der Gegenüberstellung zweier Saftpressen erkennen: Was bei der amerikanischen Version bunt und aufgedunsen aussieht, präsentiert sich bei dem Braun-Produkt reduziert und weiß, so weiß, dass sich kein verräterisches Jahrzehnt darin festsaugen kann. Die klare Formensprache und die schmale Farbpalette führen dazu, dass für heutige Betrachter ein irritierender Gegensatz zwischen Form und Funktion entsteht: Das Design wirkt modern, die Technik aber veraltet; oder wer besitzt heute noch Plattenspieler und hüfthohe Lautsprecherboxen, wenn ein vergleichsweise winziges Gerät eine gesamte CD-Sammlung überflüssig macht?

Zusammen mit Designern wie Gerd Alfred Müller, der die Küchenmaschine KM 3 entwarf, oder Jürgen Grebel, der die Zitronenpresse citromatic mit Rams' damals genialer Schneewittchensarg-Abdeckung aus Plexiglas ausstattete, schuf Dieter Rams einen Stil, der dem Unternehmen Braun zügig Weltruhm bescherte: Auf der IBA Berlin 1957 griffen Architekten wie Aalto, Gropius und Niemeyer zu Braun-Produkten, um damit ihre Musterwohnungen im Hansaviertel auszustatten, und Anfang der sechziger Jahre wanderten gleich zahlreiche Entwürfe nach New York in die ständige Designsammlung des MoMA.

Foto: Koichi Okuwaki

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Ausstellung: Less and More:Braun Elektrorasierer "S60" von 1958

Dieter Rams

Quelle: online.sdekultur

Doch so groß der Erfolg auch war, die Macht der bunten Fototapeten, Nierentische und visuellen Pop-up-Versuche von Firmen wie Alessi war offensichtlich größer: Die vergangenen Jahrzehnte sind eben nicht in die Designbücher dank ihrer schlichten Eleganz eingegangen. Erst in den vergangenen Jahren haben Firmen wie Apple, dessen Chefdesigner Jonathan Ive fast mantraartig Dieter Rams zu seinem Helden erklärt, oder das japanische Unternehmen Muji, das Designer wie Naoto Fukusawa beschäftigt, extrem reduzierte Produkte wieder in die Schaufenster und Regale gebracht. Wie ein Meisterschüler hat sich dabei Apple hervorgetan. Die erste Generation des iPods sieht tatsächlich aus wie das Nachfolgemodell von Rams' Taschenradio T3 aus dem Jahr 1958. Auch die schlichten schwarzen Apple Monitore wirken wie die Zwillinge seiner Elektrostat-Lautsprecher, die nach einem halben Jahrhundert gerade wieder neu aufgelegt werden. Doch bei all den optischen Parallelen fällt ein wesentlicher Unterschied doch auf: Dieter Rams forderte nicht nur ein innovatives, unaufdringliches und ästhetisches Design, das ein Produkt brauchbar und verständlich macht, sondern auch eins, das umweltfreundlich und langlebig ist. Sein Motto "weniger, aber besser" ist auch der Anspruch, nur dann ein neues Design für ein Produkt zu entwerfen, wenn es tatsächlich eine Neuerung in der Funktion gibt. Umweltschutz bedeutet damit auch den Verzicht darauf, ständig neue Produkte auf den Markt zu bringen, die schon in kurzer Zeit wieder von den eigenen übertroffen werden. Zugegeben: für ein Unternehmen, das selbst mit Übergangsmodellen sehr viel Geld verdient, mag das schwer sein. Doch was bei Dieter Rams eine Haltung war, ist bei Apple nur noch verkaufsfördernd.

Less and More. Das Designethos von Dieter Rams. Bis 5. September im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt. Infos unter www.angewandtekunst-frankfurt.de. Zur Ausstellung ist ein ausgezeichneter Katalog im Verlag Gestalten erschienen, der während der Ausstellung 39 Euro, später 49,90 Euro kostet.

Foto: Braun GmbH

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Ausstellung: Less and More:Skizze von Dieter Rams zum Phono-Transistor "TP 1", 1959

Dieter Rams

Quelle: online.sdekultur

Less and More. Das Designethos von Dieter Rams. Bis 5. September im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt. Infos unter www.angewandtekunst-frankfurt.de. Zur Ausstellung ist ein ausgezeichneter Katalog im Verlag Gestalten erschienen, der während der Ausstellung 39 Euro, später 49,90 Euro kostet.

Foto: Archiv Dieter Rams

© sueddeutsche.de
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