Ausstellung "Landschaft als Weltsicht":Leuchtstoff für Konturen

Von unerwarteten Perlen und plötzlichen Lichtblicken: Der Wiesbadener Ausstellung "Landschaft als Weltsicht" geht es um die gegenseitige Konfrontation der verschiedensten Medien. Ob Malerei, Fotografie, Film oder Video - die Schau präsentiert die unterschiedlichen Blicke auf Landschaften in den vergangenen 400 Jahren.

Volker Breidecker

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(Foto: Privatsammlung)

Von unerwarteten Perlen und plötzlichen Lichtblicken: Der Wiesbadener Ausstellung "Landschaft als Weltsicht" geht es um die gegenseitige Konfrontation der verschiedensten Medien. Ob Malerei, Fotografie, Film oder Video - die Schau präsentiert die unterschiedlichen Blicke auf Landschaften in den vergangenen 400 Jahren. Jorge Luis Borges schilderte einmal einen Maler, der sein ganzes Leben lang Landschaften, Berge, Flüsse, Bäume darstellte, um am Ende zu bemerken, dass er nie etwas anderes gemalt hatte als sein Selbstporträt: Und dies nicht deshalb, weil er die äußere Wirklichkeit nach Maßgabe seiner subjektiven Empfindungen verändert hätte, sondern weil auf allen seinen Bilder zu sehen war, wie er die Welt betrachtete. Cuno Amiet (1868– - 1961): Waldschneise bei Trimbach, 1920 Öl auf Leinwand, 86 x 66 cm. Text: Volker Breidecker/SZ vom 16.08.2011

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Als "Sensoren" kultureller und geistiger Veränderungen, als "Resonanzräume" und "Seelengefäße" individueller wie sozialer Vorgänge begreift die Ausstellung "Landschaft als Weltsicht", die gegenwärtig im Museum Wiesbaden zu sehen ist, die je unterschiedlichen künstlerischen Blicke auf Landschaften seit der Erfindung der selbständigen Landschaftsmalerei im Holland des 17. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Rudolf Holtappel (* 1923): Duisburg, Juliusstraße mit Stadtwerk, 1959/60 Gelatinesilberabzug 23,3 x 16,9 cm.

Es geht der Ausstellung nicht um einen Überblick über die Entwicklung des Genres, sondern um die Konfrontation der unterschiedlichsten Medien der Landschaftskunst - Fotografie, Film und Video eingeschlossen - und um das Aufzeigen sinnfälliger Korrespondenzen auch mit den Mitteln der Inszenierung. Für die Ouvertüre sorgt im Foyer des von Theodor Fischer im unterkühlten Stil des spätwilhelminischen Historismus errichteten Museumsbaus ein kombiniertes Licht- und Wasserspiel. Dafür wurde der von klassizistischen Säulen eingefasste Marmorbrunnen des Treppenhauses, der lange Zeit stillgelegt war, wieder zum Fließen, zum raumfüllenden, noch in den höher gelegenen Ausstellungssälen vernehmbaren Rauschen gebracht. Thomas Florschuetz (* 1957): Wonder Valley 01, 2007/08 C-Print, Diasec 183 x 223 cm.

Davor passiert der Besucher zwei sich einander argwöhnisch beäugende Werke: Einer Idylle des 19. Jahrhunderts, dem "Abend am Mittelmeer" des Holländers Pieter-Francis Peters, steht eine Arbeit des Berliner Malers Sven Drühl gegenüber, der den Pinsel zur Seite gelegt und die Konturen einer Landschaft mit Leuchtstoffröhren nachgebildet hat, die ihre türkisfarbenen Reflexe auf das "Blu dipinto nel blu" des Nachbarn von gegenüber werfen. Sven Drühl (* 1968): P.V.R. (Neon), 2008 Neonröhren auf Plexiglaskasten 200 x 160 x 15 cm.

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Auf zwei Etagen sind rund 200 Werke der Landschaftskunst aus einer konzeptionell gut durchdachten privaten Sammlung ausgestellt: Das Sammlerpaar Silke und Alexander von Berswordt-Wallrabe weiß sich dem Andenken seines akademischen Lehrers verpflichtet, des legendären Bochumer Kunsthistorikers Max Imdahl (1925 - 1988). Dessen Konzept eines vorurteilsfreien, erkennenden Sehens ist an vielen Stellen dieser anspruchsvollen Ausstellung zu spüren, desgleichen auch in den klugen Aufsätzen des Katalogs. Sie sind auf der Höhe dessen, was in den letzten Jahrzehnten zum Thema Landschaft aus der Perspektive von Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft, Geschichte und historischer Anthropologie publiziert worden ist. Margarete Bourke-White (1904– - 1971): Smog over L.A., 1940 Vintage, Gelatinesilberabzug 23,6 x 22,3 cm (24,8 x 23,7 cm).

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Auch wenn Stichworte wie "Auflösung der Sehgrenzen", "Die gefährdete Landschaft" oder "Die chiffrierte Landschaft" eher auf thematische Zusammenhänge zielen, wird der Besucher manch unerwarteten Perlen und plötzlichen Lichtblicken begegnen: Neben mehreren Ruisdaels und einem großartigen Seestück des Jan van Goyen besticht eine in Abendröte getauchte rheinische Landschaft des Berliner Stadtmalers Lesser Ury ebenso wie Karls Hofers "Blaue Landschaft" mit Häusersiedlung aus dem Jahr 1920, flankiert von motivisch verwandten Schwarzweißfotografien von Walker Evans und von Bernd und Hilla Becher. Liam Hanley (* 1933): o. T. (Wald), 1986 C-Print 37,3 x 25 (Blatt).

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Von Seelenlandschaften über Ruinenlandschaften bis zu Stadtlandschaften und Bildern, die selbst zu farbigen Flächenlandschaften werden, bleibt kein zugehöriges Phänomen unberücksichtigt; auch nicht die von den historischen Verwerfungen des vorigen Jahrhunderts verwundeten Landschaften zwischen Verdun und Auschwitz, deren Erdlöcher, Schienenstränge und Rampen auf grausames Massensterben und anonymen Massenmord verweisen. Berenice Abbott (1898– - 1991): New York at Night: Empire State Building, 1932 Silbergelatineabzug, 1970er Jahre 34,6 x 26,6 cm.

Neben eindrucksvollen Werken von Bonnard, Soutine und Chabaud, von Liebermann, Slevogt und Corinth, von Roy Lichtenstein, Liam Hanley und Ingeborg Lüscher ist die unbedingt sehenswerte Schau besonders gut bestückt mit Ikonen der Fotografiegeschichte - von Berenice Abbot über André Kertesz zu Andreas Feininger - aber auch mit weniger bekannten Arbeiten wie den lyrisch gestimmten Landschaftsfotografien Evelyn Hofers. "Landschaft als Weltsicht", Museum Wiesbaden, Info: www.museum-wiesbaden.de. Der opulente Katalog kostet 30 Euro. Die Aussstellung läuft bis zum 3. Oktober und wird anschließend in den Kunstsammlungen Chemnitz gezeigt. Roy Lichtenstein (1923– - 1997): Landscape 4 (aus der Serie "Ten Landscapes"), 1967 Siebdruck in Schwarz auf pak-weißer Kunsttofffolie (Rowlux), auf Karton auf Trägerkarton montiert: 28,1 x 45,5 cm.

© SZ vom 16.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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