Ausstellung:Königlicher Kunstgenuss

Die Royal Academy of Arts in London zeigt die Sammlung von Charles I. Die Schau ist eine grandiose Feier der Malerei - aber auch eine vertane Chance: Der kuratorische Ansatz ist unverhohlen royalistisch.

Von Alexander Menden

Die Bekanntheit König Charles I. gründet vor allem darauf, dass er zunächst die Kontrolle über das House of Commons, dann den Bürgerkrieg gegen Cromwell und schließlich sein Haupt durch das Henkerbeil verlor. Je nach Sichtweise war er ein Herrscher, der unter schwierigen Umständen das Gottesgnadentum gegen zunehmend aufmüpfige Puritaner verteidigte, oder ein rachitischer Schwächling, der sich in die Tyrannei flüchtete und mit seinem Versuch, durch die Hintertür den Katholizismus wieder hoffähig zu machen, eine der tiefsten Krisen der englischen Geschichte auslöste.

Zugleich ist Charles, neben Henry VIII., Victoria und den beiden Elizabeths der am leichtesten wiedererkennbare englische Monarch. Das verdankt er seinem Hofmaler Anthonis van Dyck. Dieser malte den klein gewachsenen, stets melancholisch wirkenden König immer wieder als Archetyp des cavalier: Hoch zu Ross, gerade vom Pferd gestiegen, stehend in Herrscherpose, im Kreise seiner Familie, in inniger Eintracht mit seiner Frau Henrietta Maria von Frankreich oder als Triple-Porträt, das Gian Lorenzo Bernini als Vorlage für eine - heute verlorene - Büste diente. Folgerichtig ist van Dyck neben dem König, den er so unablässig künstlerisch glorifiziere, ein bedeutender Protagonist der Ausstellung "Charles I. - König und Sammler" in der Londoner Royal Academy of Arts.

Zwei Säle sind allein den Van-Dyck-Porträts von Charles und der Königsfamilie gewidmet. Sie bilden den Kern des Versuchs, einen Eindruck von der gigantischen Menge von Kunstwerken zu geben, die Charles während seiner Regierungszeit anhäufte und die in den Jahren nach seiner Hinrichtung am 30. Januar 1649 zugunsten des Commonwealth Stück für Stück verkauft wurden. Das sollte nicht nur Geld in die Staatskasse spülen, sondern auch das Andenken an einen König erschweren, dem es immer wichtig gewesen war, sich als raffinierter Ästhet auf Augenhöhe mit Bourbonen und Habsburgern zu präsentieren.

Peter Paul Rubens nannte ihn "den größten königlichen Kunstliebhaber der Welt"

Angespornt von den Kunstschätzen, die er 1623 als englischer Kronprinz am Hof des spanischen Königs gesehen hatte, begann er nach seiner Krönung 1625 seine eigene Sammlung aufzubauen. Sie umfasste schließlich 1500 Gemälde, 500 Plastiken und zahlreiche Wandteppiche. Peter Paul Rubens, der als Diplomat nach England kam und dessen Deckengemälde im Banqueting House von Whitehall das letzte Kunstwerk sein sollte, das Charles vor seiner Hinrichtung sah, nannte ihn "den größten königlichen Kunstliebhaber der Welt".

Ausstellung: Eine ungewohnt raffinierte Sinnlichkeit hielt mit Charles' Sammlung in die englischen Königspaläste Einzug: Correggio, "Venus mit Merkur und Amor (Die Schule der Liebe)".

Eine ungewohnt raffinierte Sinnlichkeit hielt mit Charles' Sammlung in die englischen Königspaläste Einzug: Correggio, "Venus mit Merkur und Amor (Die Schule der Liebe)".

(Foto: RMN-Grand Palais (musee du Louvre)/Stephane Marchalle)

Aus dem Geschmack des Königs lässt sich vieles herauslesen. Obwohl er ein Erasmus-Porträt von Quentin Massys in die Sondersammlung seines Privatkabinetts aufnahm, waren die nordeuropäischen Kunstwerke, die Dürers und Holbeins, weitgehend Erbstücke aus der Tudorzeit. Charles interessierte sich vor allem für die Kunst des katholischen Flandern und Italiens. Glanzpunkte wie Tizians grandioses, offenkundig da Vincis "Letztes Abendmahl" zitierendes "Abendmahl in Emmaus" (1534) sicherte sich im Commonwealth Sale der französische König. Es ist erstmals seit dem 17. Jahrhundert wieder in London zu sehen. Von anderen, wie Leonardos "Johannes der Täufer" oder Raffaels "Jungfrau und Kind mit der Heiligen Anne und dem jungen Heiligen Johannes", kurz "La Perla" genannt, wollten sich Louvre respektive Prado auch für diese spektakuläre Schau nicht trennen.

Der kuratorische Ansatz der Schau ist unverhohlen royalistisch. Dabei bleibt einiges auf der Strecke

Dennoch ist das Zehntel der Sammlung, das man in der Royal Academy zu sehen bekommt, überaus beeindruckend. Andrea Mantegnas kolossale Gemäldereihe "Der Triumph des Cäsar" (1484 - 92) etwa dürfte Charles besonders wegen ihrer Feier herrschaftlicher Autorität zugesagt haben. Sie war Teil der Gonzaga-Sammlung aus Mantua, die der englische König zwischen 1627 und 1632 en gros aufkaufte. Veronese, Raffael, Tintoretto, Caravaggio - der König hatte sich durch einen Coup des flämischen Händlers Daniel Nijs gleichsam auf einen Schlag eine Sammlung von Weltklasse gesichert.

Sieht man jetzt Correggios "Schule der Liebe" (1525) und Veroneses "Mars, Venus und Cupido" (1585) direkt nebeneinander, noch dazu im selben Saal wie die Fleischwirbel von Rubens' "Minerva schützt Pax vor Mars" (1630), wird mehr als deutlich, welch ungewohnt raffinierte Sinnlichkeit mit Charles' Sammlung in den englischen Königspalästen Einzug hielt. Auch den Einfluss der Kunstkennerin Henrietta Maria würdigt die Ausstellung. Die Königin gab bei Orazio Gentileschi eine Reihe großformatiger Gemälde in Auftrag, deren kühne Kompositionen in den großzügigen Räumen der Royal Academy noch besser zur Geltung kommen als an ihrem Stammplatz, dem Queen's House in Greenwich. Zudem gibt es wunderbare Entdeckungen zu machen, wie das stille und zugleich dramatisch expressive, Bronzino zugeschriebene Porträt einer "Dame in Grün", hervorgeholt aus den unerschöpflichen Tiefen der Royal Collection.

Mit besonderer Faszination vollzieht man die künstlerische Entwicklung Anthonis van Dycks nach. Während etwa bei seinem "Selbstporträt mit Sonnenblume" von 1633 noch der Einfluss seines Lehrers Rubens erkennbar ist, zeigt er sich im letzten, kurz vor seinem Tod 1641 entstandenen Selbstporträt als bekehrter Eleve Tizians und Velazquez' - ganz Reduktion und Sfumato. Die Staatsporträts der Stuarts schließlich sind mustergültige Überhöhungen: Charles, Henrietta Maria und ihre Kinder sind in Seidenstoffkaskaden gehüllt, in denen sich das Licht bricht - Inbegriff jenes aristokratischen Hangs zum Luxus, den die puritanisch Gesinnten unter Charles' Untertanen verabscheuten.

Ausstellung: Erstmals seit dem 17. Jahrhundert wieder in London: Tizians grandioses „Abendmahl in Emmaus“.

Erstmals seit dem 17. Jahrhundert wieder in London: Tizians grandioses „Abendmahl in Emmaus“.

(Foto: Royal Collection Trust / Her Majesty Queen Elizabeth II)

Charles I. prägte wie kein anderer den Fokus jener Sammlungen, die britische Adlige in den kommenden Jahrhunderten auf der Grand Tour für ihre Stately Homes anschafften. Er war der Inbegriff des kultivierten englischen Connaisseurs. Das macht "König und Sammler" mit seiner erlesenen, angemessen opulent präsentierten Auswahl sehr deutlich. Was die Schau hingegen kaum leistet, ist eine abgerundete historische Kontextualisierung. Dass diese Kunstwerke auf Staatskosten, aber zum königlichen Privatgenuss angeschafft wurden, dass sie in ihrer gegenreformatorischen Üppigkeit, ihrer fleischlichen Freizügigkeit dem ohnehin gärenden puritanischen Unmut in England weitere Nahrung gaben, erfährt man allenfalls beim intensiven Studium des Katalogs, nicht aber beim Besuch der Ausstellung. Diese übernimmt letztlich den Blickwinkel des Souveräns, der in seiner Sammlung den farbigen Abglanz eines (kritiklos als erstrebenswert präsentierten) Idealzustandes künstlerisch überhöhter Alleinherrschaft findet. Der kuratorische Impuls des Briten Desmond Shawe-Taylor und des Deutschen Per Rumberg ist unverhohlen royalistisch. Das überrascht zwar nicht sonderlich angesichts der mehr als hundert Leihgaben aus der königlichen Sammlung und des Katalog-Grußwortes von Charles' Namensvetter, dem Prince of Wales. Es führt aber zwangsläufig zu einer einseitigen Sicht geschichtlicher Zusammenhänge. Der Commonwealth Sale wirkt hier wie eine nationale Katastrophe. Jedes nach der Restauration von Charles II. wieder in die königliche Sammlung zurückgeführte Werk erscheint als Triumph, jedes heute nur als Leihgabe aus Frankreich, Holland, Spanien oder Österreich verfügbare Gemälde als bitterer Verlust.

Man müsste nicht mal auf politische Details eingehen, die so spitzfindigen wie politisch hochexplosiven liturgischen Differenzen zwischen Laudianern und Puritanern etwa, oder darauf, wie die vom Parlament erst forcierte und dann unterfinanzierte englische Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg zur Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Krone und Commons beitrug. Es wäre schon hilfreich, Charles' anachronistisches, absolutistisches Beharren auf seinen Herrschaftsrechten und sein mehr als unglückliches Agieren im Umgang mit den Parlamentariern zumindest zu erwähnen. Seine von Radikalprotestanten als Prunksucht empfundene Kunstliebhaberei war immerhin direkter Ausdruck dieser Haltung.

Doch der englische Hang zur auf Linie gebrachten, Brüche ignorierenden historischen Erzählung lässt eine solche Auseinandersetzung mit der Komplexität des historischen Augenblicks nicht zu. Abermals manifestiert sich hier jene hochselektive geschichtliche Selbstsicht, die auch zu den politischen Konvulsionen der Gegenwart beigetragen hat. Tatsächlich war England politisch seit den Tagen Charles' I. und Oliver Cromwells nicht mehr so gespalten wie heute. Doch um mögliche Parallelen zwischen damals und jetzt aufzuzeigen, hätte es eines anderen, scheuklappenfreien Ansatzes bedurft. So aber ist "Sammler und König" letztlich gleichermaßen ge- wie misslungen - eine grandiose Kunstfeier und eine vertane Chance.

Charles I. - King and Collector. Royal Academy of Arts, London, bis 15. April. royalacademy.org.uk, Katalog 28 Pfund.

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