Ausstellung:Inspiration im Herrgottswinkel

Gabriele Münter war begeistert vom einfachen Landleben und der dazugehörigen Volkskunst

Von Sabine Reithmaier

Dass Gabriele Münter eine Leidenschaft für Volkskunst hatte, ist nicht neu, sondern gut erforscht. Ebenso wenig unbekannt ist ihre Faszination für Hinterglasmalerei. Selten aber ist die Begeisterung der Malerin so intensiv nachzuerleben wie in zwei Ausstellungen die derzeit in Murnau und Oberammergau laufen. Das liegt auch an der Authentizität der beiden Orte: Münter hat schließlich in Murnau gelebt und gemalt. Und sie hat sich von den Hinterglasbild-Sammlungen, präsentiert in Oberammergau, immer wieder inspirieren lassen.

Schon die Adligen im 18. Jahrhundert spielten gern Landleben und kostümierten sich für ihre Rollenspiele entsprechend. Nicht viel anders verhielten sich Gabriele Münter und ihr Lebensgefährte Wassily Kandinsky, als sie sich in Dirndl und Lederhosen bei der Gartenarbeit fotografierten. Ihr 1909 in Murnau gekauftes Haus richteten die beiden bewusst einfach ein; elektrisches Licht gab es nicht, das Wasser musste vom Brunnen geholt werden. Münters Gemälde "Kandinsky und Erma Bossi am Tisch" (1909/10) zeigt die beiden sitzend vor einer holzvertäfelten Wand mit Hinterglasbildern, Geschirr und Vasen.

Münter hatte längst begonnen, Figuren und Bilder zu sammeln, kaufte oft auf der Auer Dult ein. Und sie suchte sich mit Heinrich Rambold (1872-1953) einen Lehrer, der sie in die Technik der Hinterglasmalerei einführte. Der Murnauer galt damals als der letzte traditionelle Hinterglasmaler. Zunächst beschränkte sich Münter auf exakte Kopien seiner Bilder, malte diverse Heilige, bevor sie begann, eigene Motive, auch profane umzusetzen. Ihrem zeichnerischen Talent kamen die schwarzen Konturlinien in der Hinterglasmalerei entgegen. "Ich bin von Kindheit auf so ans Zeichnen gewöhnt, dass ich später, als ich zum Malen kam[...] den Eindruck hatte, es sei mir angeboren, während ich das Malen erst lernen musste", schrieb sie später.

Kandinsky, der sich schon während seiner Reisen in Russland für Volkskunst begeistert hatte, malte sofort eigene Motive. Nutzte, um möglichst "unverdorben" zu gestalten, sogar einen Trick, wie Münter ihrem späteren Lebensgefährten Johannes Eichner berichtete. "Er bemühte sich wie ein Kind zu malen. Bisweilen vertauschte er die Hände und arbeitete mit der Linken."

Neben Rambold besuchten die beiden auch regelmäßig den Murnauer Braumeister Johann Krötz, der von Ende der 1880er Jahre an bis zu seinem Tod 1919 mehr als 1000 Hinterglasbilder zusammentrug, nicht nur aus der Staffelsee-Region, sondern auch aus Oberammergau, dem Bayerischen und Böhmischen Wald oder Winklarn in der Oberpfalz. Motive, Maler und Herkunft listete Krötz präzise in einem Buch auf - eine Freude für jeden Provenienzforscher. Kein Wunder also, dass von den zehn Hinterglasbildern, die Franz Marc und Kandinsky später für den Blauen-Reiter-Almanach aussuchten, neun aus seiner exquisiten Sammlung stammten. Die Gelegenheit, diese Bildchen einmal in einer Reihe nebeneinander zu sehen, wird tatsächlich selten geboten.

Ausstellung: Gabriele Münter, 1913 in ihrer Wohnung in der Ainmillerstraße.

Gabriele Münter, 1913 in ihrer Wohnung in der Ainmillerstraße.

Kandinsky war begeistert. "Ebenso wie wir suchten diese reinen Künstler nur das Innerlich-Wesentliche in ihren Werken zu bringen", schrieb er in seinem Buch "Über das Geistige in der Kunst" (1911). Constanze Werner, Leiterin des Oberammergauer Museums, teilt seine Ansicht nicht. Ist doch die Einfachheit der Darstellung eher der historischen Realität einer serienweisen Massenproduktion geschuldet als der Suche nach Innerlichkeit. Je farbiger ein Bild, desto höher waren seine Verkaufschancen. Das Schnitzerdorf produzierte Kreuze, Madonnen und andere Heilige, aber auch Spielzeug in rauen Mengen und exportierte in alle möglichen Länder, weshalb es sich Schnitzwarenverleger Guido Lang 1910 auch leisten konnte, seinem Heimatort ein Museum zu stiften. Dass er im Jahr 1902 ebenso wie Gabriel von Seidl oder Johann Krötz zu den Gründungsmitgliedern des Vereins für Volkskunst und Volkskunde zählte, überrascht nicht.

Freilich, die große Blüte der Volkskunst war zu dem Zeitpunkt längst vorbei, die Oberammergauer Schnitzereien litten unter dem Konkurrenzdruck billiger hergestellter Waren, die Hinterglasbilder mussten den ersten Farbdrucken weichen. Ein Teil der denkmalgeschützten Präsentation, von Architekt Franz Zell im Museum eingerichtet, ist noch immer original. Die Stube des Verlegers sieht der Essecke im Münterhaus übrigens ziemlich ähnlich. Aber nicht nur deshalb lohnt sich der Rundgang. Es ist auch sehr amüsant, auf Schritt und Tritt den Kreuzen und Madonnen zu begegnen, die Münter so einzigartig in ihren Stillleben arrangierte. Der Tisch mit ihrem "Madonnengeschwader" (Johannes Eichner) ist in Murnau zu sehen, ebenso das "Interieur mit Herrgottswinkel", ein strahlend leuchtendes Bild in drei verschiedenen Rosatönen und einem kräftigen hellen Grün, eine Leihgabe aus der Dauerausstellung der Vatikanischen Museen.

Dass Münter immer wieder auf ihre Figuren zurückgriff, zeigen andere Bilder. Bald gesellen sich zu den Heiligen auch andere Objekte, eine russische Henne, ein winziges Karussell aus dem Erzgebirge oder ein Berchtesgadener Pfeifrössl. Von ihrer Skandinavienreise (1915-1918), während der sie Kandinsky das letzte Mal traf, bringt sie das Dalarnapferd mit und einen englischen Kaminhund. Einige Motive setzt sie parallel in verschiedenen Techniken um. Ihre "Schneehocken" malt sie 1930 als Hinterglasbild, zwei Jahre später wiederholt sie das Motiv in einem Ölgemälde mit dem Titel "Winter im Murnauer Land." Und beide sind wirklich fantastisch.

Gabriele Münter und die Volkskunst, Schlossmuseum Murnau, Oberammergau Museum; bis 12. Nov.

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