Ausstellung in Paris:Kunst von Houellebecq - genial, banal, manchmal rührend

In Paris inszeniert Schriftsteller Michel Houellebecq sein Leben als Gesamtkunstwerk. In einem Raum wird Rauchen zur Performance, ein anderer ist seinem toten Hund gewidmet.

Ausstellungskritik von Joseph Hanimann, Paris

Dass die lakonisch beschriebene Tristesse bei Michel Houellebecq immer auch irgendwie lieblich lächelt wie ein schöner Sonnenuntergang, ist uns aus seinen Romanen und Gedichten bekannt. Unter der Kälte der Situationen wird einem oft warm ums Herz. Dieser Autor ist ein verkappter Schwärmer, auch visuell, wie eine große Schau im Palais de Tokyo in Paris nun deutlich macht.

Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt dort unscharf eine Winterlandschaft von oben und trägt die Aufschrift "Sie haben keine Chance. Fortfahren?". Darunter ein "OK"-Feld zum Anklicken. Ja, fortfahren. Es lohnt sich.

Dem Vielspartenkünstler Houellebecq fehlte bisher nach den Romanen, Gedichten, Essays, Fotografien, Filmen, Liedtexten und Konzertauftritten das Genre einer großen monografischen Ausstellung. Die von ihm selbst gestaltete Schau in Paris hätte ein schneller Aufguss seiner Lieblingsthemen sein können: Endzeit der Menschheit, Glück der Langeweile, Erlösung durch Erotik, die Welt als Supermarkt. Tatsächlich klingen diese Themen an, doch wächst das Ganze aus der Tiefe des Gesamtwerks empor, schon im Titel.

Absage an die Kunst als Lebenstrost

"Rester vivant" (Lebendig bleiben) hieß 1991 bereits eines der ersten Bücher, das eine frühe Absage an die Kunst als Lebenstrost war. Seit seinen Jugendjahren hat Houellebecq fotografiert, manche Landschaftsbilder von ihm sind auch schon ausgestellt worden, und bei der Zürcher Kunstbiennale "Manifesta" konnte man gerade die Ergebnisse seines medizinischen Check-up bestaunen. Im Palais de Tokyo ist das aber eine andere Sache.

Es ist die erste vom Schriftsteller in allen Einzelheiten konzipierte Selbstdarstellung: 18 Säle auf 2000 Quadratmetern mit Fotografien, Installationen, Filmauszügen, Zitaten und künstlerischen Gastbeiträgen, in der labyrinthischen Anordnung meist schwarzer Räume, die man wie eine lose Kapitelfolge durchschreitet. Sie zeigen Michel Houellebecq in all seinen Facetten: genial, banal, manchmal rührend.

Houellebecqs Fotos sind weder bloß dokumentarisches Arbeitsmaterial noch eigentliche Kunstwerke. Er habe für seine Bücher immer fotografiert, um sich in die entsprechenden Orte und ihre Stimmungen zu versetzen, erklärt er. Die Bilder zeigen, meistens unter durchnummerierten Herkunftsbezeichnungen wie "France", "Espagne", Landschaften von übersättigter Schönheit oder abgeklärter Trostlosigkeit. "Europe" steht in massiven, verwitterten Buchstaben aus Beton vor dem Parkplatz eines Supermarkts, den der Autor 1994 in Calais fotografierte. Sein Kommentar dazu heute: Diese Mischung aus Vorschrift und Verfall entspreche ziemlich genau seiner Europa-Vision.

Einfühlsamer Archäologe unseres Alltags

Ein anderes Bild zeigt einen Supermarkt der Kette "Leader Price" mit halbleerem Parkplatz von oben in einer üppig grünen Landschaft wie ein Stück Gegenwart als vorweggenommene Geschichtsablagerung. Houellebecq buddelt mit der einfühlsamen Distanz eines Archäologen unsere Alltagswelt frei. In seinen meistens unterbelichteten und farblich abgedimmten Aufnahmen von Vorstadtsiedlungen, Gebäudefassaden, Autobahnraststätten, Schnellstraßenabzweigungen sind die Maschendrahtgitter, Asphaltflächen, Grünanlagen und die grauen Himmel nicht Bestandteil der Landschaft, sondern die Landschaft selbst: undramatisch, gelassen, freundlich, allenfalls mit einem leisen Phantomschmerz von Glück.

"Ich hatte nicht mehr Grund als andere mich umzubringen", steht neben einem dieser Fotos. Gelungen ist an dieser Schau vor allem, dass sie die Bilder nicht nachträglich in einen Gesamtdiskurs zwängt, sondern als Einzelobjekte stehen lässt.

Manchmal kann Houellebecq ganz schon geschwätzig sein

Illustrativ wird es hingegen im großen Saal mit den Bildern von Robert Combas. Der Maler hat einzelne Gedichte abgeschrieben oder visuell umgesetzt und den Autor selber auch porträtiert. Auf Wunsch Houellebecqs hat er überdies seinen "Lebensraum", ein Zimmer als unwahrscheinliches Durcheinander aus Schallplatten, Bierflaschen, Zeichenmaterial, Zeitungsausschnitten im Museum nachgebaut. Diese grelle, überbordende Bilderwelt reibt sich seltsam am Parlando von Houellebecqs Literatur. Sie offenbart aber zugleich, wie viel Unvermutetes in diesem Schriftsteller steckt.

Eher flach ausgefallen ist unter den thematischen Sälen jener zum Tourismus. Die farbenfroh traurigen Traumwelten Spaniens oder Asiens mit ihren Sonnenterrassen, Strandparadiesen und vergammelten Kinderspielplätzen wirken am besten als Einzelfotos. In dem mit Restaurant-Tischsets ausgelegten Saal werden sie durch die Anhäufung plakativ. Doch man weiß es aus den Interviews: Der wortkarge Michel Houellebecq kann manchmal auch ganz schön geschwätzig sein.

Am direktesten ist er auf die Welt der bildenden Kunst in seinem Roman "Karte und Gebiet" eingegangen: der Geschichte vom Künstler Jed Martin, der den Schriftsteller Houellebecq porträtiert und ihm das Bild überlässt, woraufhin dieser grausam ermordet wird und sein Porträt auf mysteriöse Weise abhandenkommt. Hauptbezug in der Ausstellung ist aber der sechs Jahre zuvor erschienene Roman "Die Möglichkeit einer Insel". Der Autor hat dort das versucht, was ihn an Bildern - wie auch an Gedichten - besonders interessiert: die Möglichkeit, den Strang linearer Handlungsabläufe in eine Art stehende Zeitfläche aufzudröseln.

Totenschädel mit eingravierten Lebensdaten

Er verweigert in seiner Schau weitgehend einen festen Parcours und veranlasst den Besucher zu einem Hin und Her zwischen den verschiedenen Themen. Der in Zürich schon ausgestellte Scan seines Schädels hängt hier neben der Fotografie einer Buddha-Statue, als wäre das wissenschaftlich erfasste Ich noch undurchdringlicher als das Lächeln des fernöstlichen Gottes. Der Totenschädel hingegen, den Houellebecq mit dessen eingravierten Lebensdaten 1958 bis 2037 von einem Unbekannten zugeschickt bekam, liegt in einem Sarkophag aus Cola-Dosen, umgeben von archäologischen Vanitas-Fotos mit farbigen Gesteinsschichten und abgelagertem Müll.

Die Bestätigung des Erwarteten kommt allerdings ebenso häufig wie die Überraschungen. So etwa beim Thema Erotik. Was hier an Fotos und im Kurzfilm "La Rivière" (Der Bach) vorgeführt wird, erinnert eher an David Hamilton als an Nan Goldin. Ein Romantiker fantasiert von entblößten jungen Frauen, die in freier Natur oder vor Werbeplakaten feenhaft mit sich selber beschäftigt sind.

Noch rührender ist der Saal, der - auf psychedelisch gemustertem Spannteppichboden - dem Welsh Corgi Pembroke namens "Clément", Houellebecqs 2011 verstorbenem Hund, gewidmet ist. Privatfotos, Aquarelle und eine Unmenge verwaistes Hundespielzeug bezeugen dort eine untröstliche Anhänglichkeit, während der Rocksänger Iggy Pop vom Tonband die Huldigung "A Machine For Loving" rezitiert.

Rauchen als Kunstakt

Bleibt zum Trost nur die Zuflucht ins "Fumoir", das der Autor einrichten ließ. Es riecht dort wunderbar nach kalter Asche, denn an jenem Ort darf man rauchen, von der Jukebox Gedichte von Houellebecq abspielen und dabei träumen. Das Rauchen als Kunstakt hebelt mitten im Museum die Verbote der verordneten Welt aus und erlaubt unmittelbares Empfinden. Zartgefühl, ja Sentimentalität, und Sarkasmus gehen bei diesem Autor eng zusammen, wie man in der bei Dumont gerade herausgekommenen Ausgabe der "Gesammelten Gedichte" noch einmal nachlesen kann.

"Die Indifferenz der Wolken / Versetzt uns zurück in unsere Einsamkeit", heißt es dort einmal. In der Ausstellung hat Michel Houellebecq eine Kuschelecke eingerichtet, um kleine Wölkchen in einen für uns zu weiten Himmel zu blasen.

Michel Houellebecq: Rester vivant. Im Palais de Tokyo, Paris. Bis zum 11. September. Der zweisprachige Katalog französisch-englisch kostet 15 Euro. Info: www.palaisdetokyo.com

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