Ausstellung in Marbach:Kernige Aufmerksamkeit

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Das Deutsche Literaturarchiv in Marbach ehrt die Spender und Stifter, die seine Sammlungen bestückten, mit der Ausstellung "Die Gabe/The Gift". Ganz früh dabei war auch der Jungautor Hermann Hesse.

Von Volker Breidecker

Es muss wie Weihnachten gewesen sein, als der Bankier, Politiker und Mäzen Kilian Steiner (1833 - 1903) mit der Übereignung seiner Sammlung von Autografen, Erstdrucken und Bildern im Jahr 1895 den Grundstein zum Marbacher Literaturarchiv legte. Zuletzt habe er, schreibt Steiner in einem Brief an den befreundeten Nationalökonomen Gustav Schmoller, den ganzen "Rest - 790 Nummern - dem Kind in die Wiege gelegt". Steiners in einer Denkschrift festgehaltene Absicht, zur "Förderung nationaler edler Bildung" und Erquickung der Nachwelt "zu sammeln und zu bewahren, was zerstreut vorhanden ist", erinnert durchaus an die hundert Jahre zuvor von Johann Caspar Schiller, dem Vater des davongelaufenen Dichters, auf Schloss Solitude bei Stuttgart im großen Stil betriebene Pflanzung von Apfelbäumen.

Einer der frühen illustren Spender war im Jahr 1906 der 29-jährige Hermann Hesse

Es war gleichfalls ein philanthropisches Projekt, dem Schiller senior ein 1795 erschienenes Werk unter dem Titel widmete: "Die Baumzucht im Grossen aus Zwanzigjährigen Erfahrungen im Kleinen in Rücksicht auf ihre Behandlung, Kosten, Nutzen und Ertrag beurtheilt". Wie Jean-Baptiste Joly, der heutige Hausherr von Solitude, in einem Marbacher Heft der Reihe "Spuren" schreibt, sann Johann Caspar Schiller auf eine "wesentliche Verbesserung des Menschenschicksals auf Erden", indem er "den utopischen Traum einer idealen Republik" hegte, "in der Äpfel eine zentrale, symbolische Stellung einnehmen würden". Dazu säte er noch mit 72 Jahren Tausende Apfelkerne, wohl wissend, dass er deren reife Früchte selbst nie zu Gesicht bekommen würde, weil ein solcher Kern gut zwanzig Jahre benötigt, um zum Früchte tragende Apfelbaum zu werden.

"Kerne" - und damit sind die wunderbaren Wirkungen der Apfelkerne gemeint - heißt auch die erste Station der neuen Ausstellung in Marbach unter dem mehrsinnigen Titel "Die Gabe / The Gift", wobei das dem englischsprachigen Äquivalent unterlegte altgermanische Wortspiel weniger an vergiftete Geschenke als an die "Mitgift" denken lässt. Gezeigt wird, was das Archiv an Autografen, Bildern und Objekten einmal nicht an Eigenerwerbungen gesammelt, sondern was ihm durch die Großzügigkeit von Sammlern und Stiftern, von Erben und Mäzenen sowie von privaten wie öffentlichen Institutionen an Schenkungen, Stiftungen und Leihgaben zugewachsen ist. Die Namen der wohltätigen Geber treten sonst gewöhnlich hinter ihren Gaben zurück. In dieser Ausstellung werden sie auf Begleitkärtchen kenntlich, ohne dass sie sich dennoch vordrängen würden. Eine Gabe, das wissen wir seit der gleichnamigen Studie des französischen Sozialanthropologen Marcel Mauss, verlangt zwar Erwiderung in Gestalt einer Gegengabe, aber diese erfolgt innerhalb einer moralischen - ursprünglich rituellen - Ökonomie und mag auch zeitverzögert erfolgen: durch die im Umgang mit dem geschenkten Objekt gebotene Sorgfalt und Pflege sowie durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die als dem Objekt innewohnende Magie auf den Geber zurückstrahlt.

Wie in dieser ersten Sektion in Gestalt einer geschäftigen Kurzmitteilung eines Autors zu sehen, gehört zu den illustren Spendern von Autografen, die zum künftigen Marbacher Kernbestand zählen, im Jahr 1906 der damals erst 29-jährige Hermann Hesse: Mit der Übergabe erster Konvolute eröffnete er eine Praxis, die sich dort seit ein paar Jahren ausgebreitet hat, die Eröffnung sogenannter "Vorlässe".

Ein metaphorischer Pflanzbereich, der wie der Begleitkatalog etwas hölderlinesk formuliert, "voll mit gelben Birnen und roten Äpfeln" bestückt ist, öffnet sich im nächsten Saal, der nicht weniger metaphorisch mit "Blüten und Blättern" betitelt ist. Hier sind die sonst so unterkühlt wirkenden gläsernen Rundvitrinen wie einladende Gabentische mit weißen Stoffen drapiert. Als erstes Exponat wird der Besucher hier endlich vom Aquarell eines fleischig prallen Apfels von bestechend gelblich-roter Farbe begrüßt, nach dem er am liebsten greifen möchte, so wie Herakles nach den Äpfeln der Hesperiden. Doch stammt dieser Apfel von der Hand von Schillers Schwester Christophine Reinwald und war als Illustration für die pomologische Abhandlung des Vaters bestimmt. Das Blatt ist eine der vielen Gaben von Kilian Steiner, so wie im letzten, der "Marbacher Pomologie" gewidmeten Saal eine Erstausgabe von Hölderlins "Hyperion" mit der berühmten Widmung an die geliebte Frankfurter Bürgerstochter Susette Gontard: "Wem sonst / als / Dir".

Eine Einzelgabe ist auch ein Blatt aus dem Manuskript von Kafkas "Prozess" - die Erzählung "Vor dem Gesetz". Das Blatt weist die Spuren einer Falzung im Briefformat auf. Anzunehmen, dass Kafka es postalisch seiner damaligen Verlobten Felice Bauer zugestellt hatte und diese es nach der Lektüre wieder zurücksandte. Ein trauriges Dokument ist der mit dem Satz "Alles was ich Dir noch geben kann ..." schließende Abschiedsbrief des Flüchtlings Walter Hasenclever vor seinem Selbstmord im Internierungslager Les Milles. Unter den dreidimensionalen Objekten erstaunlich viele Gefäße, die an den rituell-eucharistischen Urgrund der Gabe als Opfergabe erinnern: Mit einer Silberschale als Geschenk suchte der als Jude aus Stefan Georges Kreis verstoßene Karl Wolfskehl Zugang zum Meister zu erwirken - vergeblich.

Als einen der Höhepunkte zeigt das Archiv erstmals seine Gemäldesammlung: Darunter Max Liebermanns großartiges Porträt des Verlegers Samuel Fischer und ein selten gezeigtes Gemälde Max Beckmanns des Schriftstellers Rudolf Binding, entstanden im Jahr 1935, einem für Beckmann bereits kritischen Moment. Ein Glücksfall schließlich, dass durch die britische Schenkung eines Bildes der nach London exilierten Wiener Malerin Marie-Louise von Motesiczky - Beckmanns Schülerin und beinahe lebenslang vertrauter Freundin - der Dialog zwischen dem Maler und seiner Schülerin eine postume Fortsetzung findet, auch wenn das Gemälde, das ihren Geliebten Elias Canetti im Gespräch mit dem Prager Dichter und Ethnologen Franz Baermann Steiner zeigt - vielleicht aufgrund des persönlichen Affekts gegenüber Canetti - nicht zu ihren besseren Arbeiten zählt.

Die Gabe / The Gift. Literaturmuseum der Moderne, Marbach. Bis 12. März 2017. Der Katalog (Marbacher Magazin 155/156) kostet 18 Euro.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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