Ausstellung:In der Wüste

Zum zweiten Mal präsentiert eine Biennale in Paris Fotografie aus dem arabischen Raum. Zu sehen sind poetische Ansichten jenseits der klassischen Reportagefotografie.

Von Joseph Hanimann

Überall stehen Mauern. Brüchige, vollgeschriebene Mauern, an denen junge Leute untätig herumstehen. Mauern, die den Horizont verbauen oder ihn durch Löcher freigeben; Hauswände, die hinter geschlossenen Fensterläden Geheimnisse erahnen lassen. Die Mauer dominiert als Thema die zweite arabische Fotobiennale in Paris. Wie bei der ersten vor zwei Jahren sahen sich die Macher im Dilemma, Ambiente, Eigencharakter, typische Atmosphären zu zeigen und dabei Stereotypen zu vermeiden. Dabei kommt der Veranstaltung die Vielfalt des fotografischen Angebots aus dem Raum zwischen Marokko und Saudi-Arabien entgegen sowie das Prinzip, arabische und westliche Fotografen gemischt zu präsentieren.

Acht Pariser Institutionen haben sich für diesen Zyklus zusammengetan und zeigen unter Leitung des Generalkurators Gabriel Bauret Ausstellungen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Das Institut du Monde Arabe lenkt den Blick vor allem auf Tunesien, das Land der größten demokratischen Hoffnung seit dem Arabischen Frühling. "West of Life" nennt der 1981 dort geborene Ziad Ben Romdhane seine Serie aus den Jahren 2013 bis 2016. Sie steht in der Tradition der Fotoreportage in Schwarz-Weiß. Vier Knaben spähen auf einem Bild an einer durchbrochenen Mauer auf das, was dahinterliegt. Doch durch die Öffnung errät man nur wieder eine andere Mauer.

Die aus dem Alltag geliehene Realität der Reportagefotografie bringt in den arabischen Ländern allerdings besondere Probleme. Die Menschen dort haben eine eigene Einstellung zur Personenabbildung. Was in den westlichen Ländern durch ein immer komplizierter werdendes fotografisches Persönlichkeitsrecht genormt wird, regelt sich im arabischen Raum meistens direkt: durch Bildverweigerung. Das sei auch ein Grund dafür, dass in den Alltagsbildern immer noch vorwiegend Männer zu sehen seien, erklärt der Fotograf Bruno Boudjelal, der in der Cité Internationale des Arts als Kurator eine Ausstellung algerischer Nachwuchsfotografen eingerichtet hat.

Manche arbeiten deswegen bewusst mit der diskreter als große Apparate zu handhabenden iPhone-Kamera. So ist von Fethi Sahraoui eine interessante Serie aus einem Fußballstadion zu sehen, in dem die geballte männliche Energie nicht, wie vermutet, grölend in der Masse daherkommt, sondern im überbordenden Durcheinander aufgedrehter Einzelwesen sich abreagiert, die dem Fußballspiel kaum Beachtung schenken.

Diese Männerdominanz im Alltag bedeutet nicht, dass die Frauen vor oder hinter der Kamera in der arabischen Welt abwesend wären. Doch sie konzentrieren sich eher auf Kunstfotografie in Porträt, Landschaft oder Privatsphäre. Die gestellten Frauenbilder der in Marrakesch lebenden Laila Hida mit extravaganter Körperhaltung, ausgesuchter Kleidung und teilweise verdecktem Blick sind Kabinettstücke einer ästhetisierten Symbolik mit politischem Nebensinn. Auch die 1969 in Tunesien geborene Héla Ammar zeigt Frauen mit kunstvoll geknüpftem Haarschmuck, lässt die von hinten gezeigten Figuren jedoch durch Doppelbelichtung mit dem dekorativen Kachelhintergrund verschmelzen, als wäre die Frau selber Zierstück der Umgebung.

Oft klingt bei den Fotografinnen und Fotografen das Thema von Abreise und eventueller Rückkehr an. Farida Hamak hat sechsjährig mit ihren Eltern Südalgerien verlassen und kehrte viel später dorthin zurück. Ihre im Maison Européenne de la Photographie ausgestellten Bilder erzählen von Frauen am offenen Fenster, einzeln herumstehenden Greisen oder Hausfassaden mit geschlossenen Läden. So zeigt sich die besondere Verschwiegenheit der Leute in einer so prächtigen wie kargen Wüstenregion.

Die politische Aktualität kommt nur als Anspielung vor

Im umgekehrten Blick westlicher Fotografen auf die arabische Welt dominiert hingegen eine ästhetische Spurensuche. Der Münchner Fotograf Stephan Zaubitzer zeigt in seiner Serie "Cinémas" den verwehten Zauber alter, menschenleerer Kinos in Libanon als einen Nachglanz vergangener Größe, und die russisch-schwedische Xenia Nikolskaya präsentiert in der Serie "Dust" zerfallende Prachtinterieurs aus Kairo und Alexandrien.

Die politische Aktualität in der arabischen Welt kommt bei dieser Biennale nur in Anspielung vor. Man mag diese Distanz bedauern. Vieles von dem, was dort passiert, ist aber schon aus den tagesaktuellen Medien bekannt. Interessant ist es also, nun aus der Gegenperspektive der Kunstfotografie die tiefere Erfahrungswirklichkeit von Krieg und Migration heraus zu lesen. In den absurden Sinnbildern des Syrers Jaber Al Azmeh zum Beispiel. Eine mitten in der Wüste aufgestapelte Ladung Polstersessel, bestellt und nie abgeholt, eine Kolonne vergammelnder Autobusse, wie ein Gedankenstrich durch den Horizont der Wüste gezogen, oder ein dürres Stück Erdboden, auf dem nur die Fahrspuren anzeigen, dass da größere Gruppen Migranten, vielleicht auch Kriegsfahrzeuge durchgezogen sein dürften - das sind Zeugnisse einer Gegenwart, die bald auch in den westlichen Museen ihren Platz finden dürften.

Zweite Fotobiennale der arabischen Gegenwart. Institut du Monde Arabe, Maison Européenne de la Photographie und sechs weitere Pariser Institutionen. Bis 12. November. Katalog 18 Euro. Info: www.biennalephotomondearabe.com

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