Ausstellung:In der Hitze der Stadt

Das Museum Villa Stuck präsentiert die beiden israelischen Künstler Efrat Natan und Nahum Tevet

Von Evelyn Vogel

Sie suchte nach einem Platz in der Stadt, der ihrer Kindheit auf dem Land am nächsten kam. "Ich bin an einem Ort geboren und aufgewachsen, an dem es fast das ganze Jahr über sehr heiß war", erinnert sich die israelische, 1947 im Kibbuz Kfar Ruppin geborene Künstlerin Efrat Natan. Ende der Siebzigerjahre lebte sie in Tel Aviv. Und der beste Platz, um ihre Erinnerung an das Kibbuz-Leben auf die Installation mitten in der Stadt zu übertragen, war das Dach. Dieses Flachdach war, wie die meisten Dächer in der "Weißen Stadt" am Mittelmeer, mit schwarzer Teerpappe isoliert und mit weißer Kalkfarbe gestrichen. "Tags war es blendend weiß und heiß, abends wurde das Licht sanft und die Temperatur angenehm."

In ihrer Installation, die nun in der Villa Stuck nachgebaut wurde, ließ Efrat Natan dann in Anspielung auf die Reinheit der Farbe Weiß einen "Chor der Engel" auftreten: eine Reihe von Besen, die in weiße Unterhemdchen "gekleidet" waren. "Alle Kinder trugen damals diese Unterhemden", erzählt sie - Schießer Feinripp hätte man sie bei uns genannt. Für sie standen die Hemdchen für die Unschuld der Kinder und waren ein Zeichen der Asexualität, denn erst als Erwachsene trugen nur noch Männer dieses Kleidungsstück, das damit geschlechtlich eindeutig konnotiert war. Dass eines dieser Unterhemden aufgeschnitten über eine am Boden eingelassene dunkle Tonne gespannt ist, dass sich Teile über Stühle ziehen, auf denen Schallplatten gestapelt sind und hervorlugen - alles an diesem Ready-Made-Environment in Schwarz und Weiß wirkt wie die Suche danach, sich von einer irdischen Last zu befreien, durch die Anrufung eines nicht-irdischen Reiches. Begleitet wurde die Dachinstallation damals in Tel Aviv von Bachs Kantate 140 "Wachet auf". Natan spielte die Schallplatte in ihrem darunter liegenden Zimmer ab und entließ die Klänge durch die geöffneten Fenster ins Freie. "Kein Aug' hat je gespürt / Kein Ohr hat mehr gehört / Halleluja".

Ausstellung: Einer Skyline ähnelt Nahum Tevets minimalistische Installation "Seven Walks", die hier im Detail zu sehen ist.

Einer Skyline ähnelt Nahum Tevets minimalistische Installation "Seven Walks", die hier im Detail zu sehen ist.

(Foto: Oded Lobel)

Diese fast schon sakrale Installation ist in der Ausstellung, die Efrat Natan und ihrem Künstlerkollegen Nahum Tevet in der Villa Stuck gewidmet ist, im Zwischengeschoss nachgebaut. Und nicht nur, dass die Plattform die Dachstruktur aufnimmt. Sie dient auch als Ausblick auf die anderen Arbeiten Natans, die sich im Erdgeschoss befinden und durch eine besondere Ausstellungsarchitektur strukturiert werden. Da finden sich Fotos und Dokumentationsmaterial zu einer der frühesten Performances Natans "Wind Rose" von 1972, mit der die Zusammenarbeit mit Tevet ihren Ausgang nahm. Weitere Arbeiten stammen aus Aktionen aus den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern sowie den Nullerjahren, das riesige Wandobjekt "The big window" von 2015. Das Unterhemd, das 1979 Einzug in Natans Werk gehalten hatte und danach immer wieder stellvertretend für den menschlichen Körper auftauchte, wird hier - gedehnt, zerrissen, über dunklen Samt gespannt - zum abstrakten Kunstwerk, das wie eine Milchstraße am Nachthimmel über der Wüste das Werk der Künstlerin überspannt.

Die Symbolik Efrat Natans kreist eng und beständig um ihre Kindheitserinnerungen. Aber sie findet immer wieder unterschiedliche Metaphern, um das Persönliche ins Allgemeine zu übertragen. Denn mit ihrer Erinnerung an das Kibbuzleben ist sie nicht allein. So spielt das Kinderbett eine wichtige Rolle. Kinder mussten im Kibbuz getrennt von ihren Eltern in einem Schlafsaal schlafen, was offensichtlich geradezu traumatische Spuren bei der Künstlerin hinterlassen hat. Die Videoarbeit "Phoenix", in der ein von einem Moskitonetz eingehülltes Kinderbettchen immer und immer wieder in Flammen aufgeht, bezieht sich auf einen Vorfall, den sie tatsächlich erlebt hat. "Eines Nachts holte uns die Aufseherin aus dem Schlafsaal, weil das Bett von einem der Kinder Feuer gefangen hatte. Das verbrannte Gesicht der Frau ließ mich noch Jahre später daran denken. Bis heute", so Efrat Natan, "stelle ich mir immer wieder vor, was damals passiert ist."

Ausstellung: Die Erinnerung an das brennende Kinderbett im Kibbuz Kfar Ruppin hat Efrat Natan in der Videoarbeit "Phoenix" verarbeitet.

Die Erinnerung an das brennende Kinderbett im Kibbuz Kfar Ruppin hat Efrat Natan in der Videoarbeit "Phoenix" verarbeitet.

(Foto: Efrat Natan/Assi Oren)

In starkem Kontrast zu den emotional geprägten Arbeiten Efrat Natans steht das konzeptuelle Werk Nahum Tevets. Er untersucht Malerei und Skulptur auf deren Struktur. Dabei vermisst er regelrecht die Bildkompositionen von Gemälden wie in "A Page from a Catalogue (Cézanne)" und die Verhältnisse von Formen im Raum. Die Referenz zu den Urvätern der Minimal Art wie Donald Judd und Sol LeWitt ist mehr als offensichtlich. Aber Tevet dekliniert die Formensprache weiterhin aktiv und lebendig durch, als ob die Zeit des Minimalismus nicht bereits ein halbes Jahrhundert zurückliegen würde.

Was der israelische, 1946 im Kibbuz Messilot geborene Künstler dabei im Stile der Arte Povera mit wenigen Farben auf dünnem Sperrholz umsetzt, folgt einer von ihm festgesetzten Formensprache, deren Module - Quadrate, Rechtecke, Tische, Stühle, Boote - er immer wieder variiert. Die Serie "Time after Time", sie zählt zu den jüngsten Werkgruppen, gleicht einer strengen Versuchsanordnung, deren architektonisches Prinzip nur erkennt, wer sich beinahe die Nase an der Wand platt drückt. Die raumfüllende Installation "Seven Walks" folgt zwar ebenfalls strengen modularen Regeln, aber der Betrachter, der sie nicht betreten, nur umrunden kann, empfindet sie eher als Labyrinth, dessen Struktur ihm verborgen bleibt. Im Katalog heißt es dazu, "Seven Walks" sei ein "orchestrales Werk" dessen Wirkung sich aus dem Hervortreten einzelner Gruppen ergebe. Die größte Wirkung erzielt die Installation jedoch, wenn man sie von einem erhöhten Standpunkt sieht. Dann strukturiert sich, was zuvor verborgen war, und man erkennt die architektonischen Qualitäten in Tevets Werk.

Efrat Natan

"Das verbrannte Gesicht der Frau ließ mich noch Jahre später daran denken."

Warum und wie die beiden Künstler schon seit so langer Zeit zusammenarbeiten, bleibt ein Rätsel. Ablesen lässt es sich nirgendwo in der Ausstellung, die die beiden Künstler streng getrennt präsentiert.

Efrat Natan / Nahum Tevet, Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr; bis 28. Januar

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