Ausstellung in Bremen:"N****mädchen"

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Wie soll man über Deutschlands koloniale Vergangenheit sprechen? Die Schau "Der blinde Fleck" fordert einen Wechsel der Perspektive. Vor allem aber sucht sie nach Schuldigen.

Von Till Briegleb

Der eine Satz fasst das Dilemma gleich am Anfang der Ausstellung "Der blinde Fleck" in der Bremer Kunsthalle zusammen: "Dieses Werk", steht da auf einem Wandtext, "zeigt die unreflektierte Aneignung afrikanischer Kunst durch den Künstler." Das Werk, das hier so kategorisch verurteilt wird, ist "Stillleben (afrikanische Pfeifenköpfe)" aus dem Jahr 1913. Es stammt von Karl Schmidt-Rottluff, und steht hier am Pranger einer Themenschau, die sich mit der kolonialen Geschichte der Kunst in Bremen befassen will, tatsächlich aber das Minenfeld des sogenannten "postkolonialen Diskurses" ausbreitet.

Denn der nassforsche Satz stammt von einer der dreizehn Studentinnen und Studenten der Universität Bremen, die von der Kuratorin Julia Binter aufgefordert waren, Rassismus in bedeutenden Kunstwerken der Bremer Sammlung zu kommentieren. Und die Anmaßung dieser Aussage, die so tut, als könne man die komplexe Deutungsvielfalt von Schmidt-Rottluffs Malerei auf ein moralisches Urteil zu seinem angeblich mangelnden Reflexionsvermögen reduzieren, steht ziemlich exemplarisch für einen engagierten Denkfehler, den inzwischen diverse kulturelle Institutionen begehen: In ihrem verständlichen Wunsch, die Verletzbarkeit bestimmter Besuchergruppen und ihre Wünsche nach moralischer Wiedergutmachung ernst zu nehmen, opfern sie den seriösen wissenschaftlichen Anspruch dem fraktionellen Anliegen und aktivistischem Eifer.

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Worum geht es hier genau? Bremen hat sich auf verschiedenen Ebenen dieses Jahr selbst dazu verpflichtet, die Herkunft seines Reichtums aus dem Handel der Kolonialzeit kritisch zu beleuchten. Das ist ein mutiges, extrem heikles Unterfangen. Denn natürlich wird nicht zu leugnen sein, dass aller Wohlstand, der zur Voraussetzung hatte, andere Völker zu unterdrücken, zu versklaven oder auszurotten, seinen Ursprung im Verbrechen hat. Und in der Stadt der Kaffee-, Kakao- und Teeba-rone, die unter nationalsozialistischer Herrschaft wegen ihres beharrlichen Eintretens für die Ausbeutung der "unentwickelten Länder" als "Stadt der Kolonien" geadelt wurde, geht solch eine Aufarbeitung natürlich ans Eingemachte.

Viele Gönner des Kunstvereins verdienten ihr Vermögen durch "überseeische" Zwangsarbeit

In dieser couragierten Manier setzt die Ausstellung der Bremer Kunsthalle - die von sich behauptet, die erste Auseinandersetzung eines Kunstmuseums in Deutschland mit seiner Kolonialgeschichte überhaupt zu sein - auch teilweise Zeichen. Etwa mit einem Dokumentationsfries rund um sein Kupferstichkabinett, der zeigt, dass die größten Gönner des 1823 gegründeten Kunstvereins, aus dem die Kunsthalle hervorgegangen ist, ihr Geld durch "überseeische" Zwangsarbeit mehrten. Oder mit einer vielstimmigen Dokumentation über die aktuelle Frage, ob Deutschland noch Reparationen an die Länder zahlen sollte, in denen unsere Ahnen Massenversklavung und Genozide verbrochen haben, und in welcher Form.

Aber bei der Kernaufgabe einer Kunstausstellung, ein Bildthema differenziert, wissenschaftlich und unabhängig darzustellen, kommt den Bremer Ausstellungsmachern ihr Gewissen in die Quere. Denn das mit der "Unabhängigkeit" ist beim Thema Kolonialismus plötzlich - nicht nur in Bremen - keine Selbstverständlichkeit mehr. Mit teilweise nachvollziehbaren Argumenten fordern schwarze Bürger und ihre weißen Sympathisanten schon länger, dass die "Deutungshoheit" über dieses Thema fallen müsse, sprich: dass eine Ausstellung (aber auch alle anderen kulturellen Erzeugungen wie Theaterstücke oder Filme, die sich mit Kolonialgeschichte und Rassismus beschäftigen) in der Konzeptionsphase von Menschen mitgestaltet werden müssten, die dank ihrer Vorfahren eine andere Perspektive mitbringen.

So hat sich auch die Bremer Kunsthalle mit dem dortigen Afrika-Netzwerk verständigt, dessen Mitglied Godefroid Bokolombe das schöne Motto dieser Ausstellung formuliert hat: "Wenn die Geschichte des Jägers nur vom Jäger und nicht vom Gejagten erzählt wird, erfährt man nie die ganze Geschichte." Nur leider ist die Präsentation problematischer Kunstwerke aus der Zeit um die Jahrhundertwende bis zur NS-Herrschaft gedanklich oft weniger an der "ganzen Geschichte" interessiert als an Schuldfragen. Paul Gauguin, Max Pechstein, Emil Nolde oder Ernst Ludwig Kirchner werden reduziert auf ihren "weißen männlichen Blick", mit dem sie bei ihren Südseereisen oder bei Kirchners Porträts der nackten schwarzen Artistin Milli "unreflektiert" dem lüsternen Exotismus gefrönt hätten.

Aus Rücksicht auf "traumatisierte Besucher" wurden die Werktitel umgeschrieben. Das ist Zensur

Kaum ein Erklärungstext ist frei von diesem besserwisserischen Ton, den Kunstwerken eine eindeutige Aussage moralischer Art beizufügen. Widersprüchliche Künstler werden so zu Kronzeugen einer kolonialen und sexistischen Volksgesinnung gemacht. Zurückhaltendes Verständnis für die Zusammenhänge und historischen Hintergründe der Bildentwicklung wird aufgegeben für klare Deutungsmuster, die nur noch Täter erkennen, die rassische Stereotype reproduzieren und damit einen schädlichen Einfluss auf die deutsche Gesinnung genommen hätten - so der Tenor der Bildkommentare.

Und mit der Umschreibung der Bildtitel durch Auslassungspünktchen aus Rücksicht auf angeblich durch Rassismus traumatisierte Besucher, denen bestimmte Worte nicht zugemutet werden dürfen, wird in geschichtsklitternder Manier kontextlose retrospektive Zensur eingeführt. Die Malerin Anita Rée hat dann um 1910 wohl ein "N****mädchen" gemalt, und Emil Nolde 1913 den "Kopf eines E********** mit hoher Frisur"? Wenn Museen in dieser Manier damit beginnen, politisch korrekte Sprachhygiene einzuführen, auf die dann auch jede andere Besucherfraktion mit Recht pochen kann, wird es in Zukunft unmöglich werden, die geschichtlich verortete Schmerzhaftigkeit von Diskriminierungsvokabeln überhaupt noch wahrzunehmen.

Die Austellung regt zum Nachdenken an

Wörter erhalten ihre Bedeutung durch den Kontext und sind nicht böse an sich. Und Traumatisierungen löst man nicht, indem man ihre Herkunft verleugnet und unkenntlich macht, sondern indem man offensiv die Frage stellt: Wie kann heute mehr Gerechtigkeit gewonnen werden, und was lässt sich dazu aus der Vergangenheit lernen? Mit neuen Schuldzuweisungen kommt man da nicht weit, mit Entschuldigungen vielleicht schon eher.

Dass die Ausstellung "Der blinde Fleck" die Balance nicht findet zwischen Rücksichtnahme und guter Aufklärung, zwischen ihrem umfangreichen und vielseitigen Material und dem Wunsch, Haltung für die Schwachen zu beziehen, ist aber gar nicht so ein Drama. Das Potenzial der Aufregung über diese etwas zu missionarisch geratene Schau mag mehr Stachel zum Nachdenken über neue und alte Stereotype bereithalten als eine herrlich ausgewogenen Ausstellung, zu der am Ende jeder "Bravo" sagen kann. Denn Zufriedenheit mit der Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen und ihrer Konsequenzen bis in die Gegenwart ist das Letzte, was man bei diesem schwierigen Thema braucht.

Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit ; Kunsthalle Bremen, bis 19. November; Katalog: 19,90 Euro

© SZ vom 24.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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