Ausstellung in Berlin:Im Puttennest

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(Foto: Cornelia Schleime/Archiv ex.oriente.lux)

1983 saß Cornelia Schleime in Furcht vor der Staatsmacht der DDR auf gepackten Koffern. Ein Teil ihres Schaffens ist verschollen. Jetzt zeigt eine Ausstellung ihr übriges Werk.

Von Jens Bisky

Eine junge Frau zieht sich an, schaut, wie ihr der Schleier steht. Es scheint, als ob sie gleich heiraten würde. Sie geht durch Räume, als erwarte sie da etwas. Die Männer, die sie sieht, sind mit sich beschäftigt, gefangen im Ich. Die Erwartende erblickt weiß bandagierte Wesen, konserviert, geschützt, handlungsunfähig. Dann hängt auch sie fest an einer Tür, so wie man einen Mantel an den Garderobenhaken hängt. Männer gehen vorüber. Sie bleibt hängen im Kokon. Wer sich einschließt, ist ausgeschlossen, wer ausgeschlossen wird, schließt sich ein. Melancholisch, aber nicht traurig wirkt der kurze Film "Unter weißen Tüchern", den Cornelia Schleime 1983 drehte. Die Künstlerin saß damals auf gepackten Koffern in Ostberlin. Während des Studiums in Dresden hatte sie sich der alternativen Kunstszene angeschlossen. Die Staatsmacht reagierte unverzüglich: mit einem Ausstellungsverbot. Schleime stellte mehrere Ausreiseanträge und drehte, während sie auf die Ausreise wartete, Super-8-Filme. Sie waren, sagt sie, wie ein Zettelkasten für ihre Bilder.

In diesem Jahr hat das Land Berlin Cornelia Schleime mit dem Hannah-Höch-Preis ausgezeichnet. Dazu läuft eine große Ausstellung im Landesmuseum Berlinische Galerie. Bis zum 2. Januar werden dort im Videoraum ihre Super-8-Filme gezeigt (siehe auch: berlinischegalerie.de). Es ist nicht selbstverständlich, dass man sie sehen kann. Als Schleime 1984 endlich nach West-Berlin ausreisen konnte, verblieb ein Großteil ihres Frühwerks in der DDR. Es ist heute verschollen. Nur weniges hat sie in den Westen retten können, darunter die Super-8-Filme aus den Jahren des Wartens, des Experimentierens mit Übermalungen, mit anderen Bildern. Es sind seltene Dokumente der scharf überwachten DDR-Bohème, Kunstwerke voller Energie und Zärtlichkeit.

Der letzte der vier nun zu sehenden Filme entstand 1984. "Das Puttennest" wurde in Potsdam-Sanssouci und an der Ostsee gedreht. Immer wieder sind Puttenköpfe zu sehen, in der Ecke stehend, herumliegend, angeschlagen. Und daneben agieren junge Männer, beschädigt, aus der Zeit gefallen auch sie.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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