Ausstellung:In Absurdistan und anderswo

Von Berlin aus die Welt erobert: Zum 25. Jubiläum der Fotografenagentur "Ostkreuz" endet deren Europatour-Ausstellung im Kunstfoyer in München

Von Evelyn Vogel

Man schrieb das Jahr 1990. Die Mauer war gefallen, Deutschland aber noch geteilt. Doch allen in der damaligen DDR war klar: Ihre Welt würde sich gewaltig verändern. Um sich für diese Umwälzungen zu wappnen, sich neu zu positionieren, dabei aber das eigene Profil zu bewahren, schlossen sich sieben, zum Teil schon sehr renommierte Fotografen aus Ostdeutschland zu einem Fotokollektiv nach dem berühmten Vorbild der Fotografenagentur Magnum Photos zusammen.

Ein Name war schnell gefunden: Ostkreuz. So wie die gleichnamige S-Bahnstation den Osten Berlins mit der ganzen Stadt verbindet, so wollten die Fotografen vom Osten aus in alle Richtungen aufbrechen und das, was sie in der Vergangenheit geprägt hatte, mit den Herausforderungen der Zukunft verbinden. Mit der Einladung des damaligen französischen Staatschefs François Mitterrand nach Paris, wo die sieben Fotografen gemeinsam mit anderen DDR-Künstlern die Ausstellung "Das andere Deutschland" bestritten, war die Sache besiegelt. Ostkreuz war geboren.

Zum 25. Jahr des Bestehens der "Agentur der Fotografen", wie sie sich stolz nennen, initiierte das Goethe-Institut 2015 eine Jubiläumsschau, die zuerst in Paris, dann in Marseille und Schwerin zu sehen war und zum Abschluss in München im Kunstfoyer gezeigt wird. Die Eröffnung in Paris fand just am Vorabend der Terroranschläge des 13. November 2015 statt. Auch wenn sich die Fotografen von Ostkreuz immer als Autoren empfanden, deren selbst gewählte Schwerpunkte auf umfassenden Fotoessays und globalen Bilderzählungen lagen, so wurden die angereisten Mitglieder von der brutalen Wirklichkeit daran erinnert, was ihr Auftrag war: "Die ganze Welt. Die ganze Wirklichkeit." So beschrieb es Wolfgang Kil, der auch das Vorwort zum Begleitkatalog verfasst hat, in seiner Eröffnungsrede zur Deutschlandpremiere der Ausstellung in Schwerin.

In der Jubiläumsschau zu sehen ist eine Auswahl der Arbeiten aus 25 Jahren Ostkreuz, darunter sind auch die Fotografien der sieben Agenturgründer, die noch zu DDR-Zeiten entstanden waren, etwa von Sibylle Bergemann, die 2010 starb, Harald Hauswald sowie Ute und Werner Mahler. Nicht weniger als 250 Werke von 21 Fotografen werden gezeigt. Dass die Bildautoren zwischen Anfang 30 und Mitte 60 sind und längst nicht mehr nur aus dem Osten des wiedervereinigten Deutschlands, sondern auch aus dem Westen kommen, zeigt, welchen Status Ostkreuz mittlerweile tatsächlich erlangt hat.

Die Fotografen schauen dabei auf ihre Heimatstadt Berlin und dokumentieren deren Wandel im Lauf eines Vierteljahrhunderts. Zu sehen ist öffentlicher Raum in Ostberlin, die Neue Mitte Berlin kurz nach der Wende und die versinkenden östlichen Randlagen der Stadt. Hinzu kommen Einblicke in Hinterlassenschaften der Staatssicherheit oder auch private Innenansichten des Westberliner (Groß-)Bürgertums. Außerdem sind da beeindruckende Langzeitstudien zur Jugend- und Subkultur zu sehen, zum Teil sehr persönliche Familienbilder, die ganze Generationen umfassen. Gezeigt werden Dokumentationen des Lebensalltags verschiedener Menschen, anhand derer man individuelle Schicksale ebenso nachzeichnen kann wie die von Paaren. Einige Serien rücken einzelne Bevölkerungsgruppen so in den Mittelpunkt, dass man nicht länger das Gefühlt hat, auf irgendwelche Randlagen zu schauen, sondern tief ins Herz dieser Republik - mit all ihren Facetten.

Dazu kommen weltweite Fotoreportagen von Orten, an denen in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten zum Teil Weltgeschichte geschrieben wurde, wo Revolutionen stattfanden oder einstige Herrscher wegen ihrer Untaten zu Rechenschaft gezogen wurden wie in den Aufnahmen aus dem Innenleben des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Orte im Wandel der Geschichte werden gezeigt wie Havanna in den Jahrzehnten des Umbruchs und der Ungewissheit vor Fidel Castros Tod oder das längst niedergegangene Detroit, das sich in seinem fast schon legendären Shabby-Shabby-Look sonnt. Auch das ständig umkämpfte und vom Krieg bedrohte Gaza haben die Ostkreuzfotografen immer wieder dokumentiert, haben die Länder rund um das Kaspische Meer bereist, die nach dem Zerfall der Sowjetunion zu einem Absurdistan der Reichen und Korrupten mutierten. Oder Manhattan besucht - Manhattan in Brandenburg, wo Menschen in halb leeren Wohnblöcken am Rande der Gesellschaft leben und nur durch den Zusammenhalt der restlichen Gemeinschaft den endgültigen Niedergang aufzuhalten versuchen.

Es ist ein beeindruckend vielfältiger Bilderbogen, der sich, gegliedert nach einzelnen Fotografen und Projekten, mal in Farbe, mal in Schwarzweiß durch das Kunstfoyer zieht. Mit Recht wurden die Fotografen vielfach ausgezeichnet und sowohl mit Einzel- wie mit Gruppenausstellungen geehrt. Denn alle konnten das bewahren und weiterentwickeln, weswegen sie sich damals zu "Ostkreuz, der Agentur der Fotografen" zusammengeschlossen haben: international aufzutreten und doch unverkennbar zu sein mit der eigenen fotografischen Handschrift und gesellschaftlichen Haltung. Und das ist in diesen Zeiten, in denen eine Debatte um die Zukunft der Fotografie anhält und jede in Echtzeit im Internet kursierende Aufnahme zu brisanten Themen auf ihre Herkunft hinterfragt werden muss, sehr viel.

25 Jahre Ostkreuz. Agentur der Fotografen. Kunstfoyer der Bayerischen Versicherungskammer, Maximilianstr. 53, noch bis 15. Januar, tägl. 9-19 Uhr. Ostkreuz-Fotografen im Dialog: Sonntag, 8. und 15. Januar, jeweils 13 Uhr und 15 Uhr; Katalog (Hatje Cantz) 38 Euro

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