Ausstellung:Im Reich der leuchtenden Lettern

Die Bayerische Staatsbibliothek öffnet ihre "Schatzkammern" und zeigt Künstlerbücher

Von Evelyn Vogel

Am Ende wird gleich ein ganzer Raum zu einem Buch. Einem Künstlerbuch, das sich auf die Spuren der "Sieben Bußpsalmen" begibt, jener kostbaren Musikhandschrift von Orlando die Lasso, die Herzog Albrecht V. zwischen 1565 und 1570 von Hans Mielich reich illustrieren ließ. Dieses äußerst ungewöhnliche Künstlerbuch wird sichtbar, wenn man einen schweren Vorhang in einer der "Schatzkammern" der Bayerischen Staatsbibliothek lüftet und eine Black Box betritt, in der nur etwa drei Personen Platz finden. Nur für wenige Minuten leuchten dort die von Emil Siemeister mit Nachleuchtfarben auf Kunststofffolien für diese Ausstellung geschaffenen Zeichnungen grün-geheimnisvoll auf, und verblassen dann nach und nach. Und noch während der Betrachter angestrengt den letzten Leuchtspuren der Menschen und Tiere, Wagen und Reiter nachforscht, geht für wenige Sekunden das Licht an, lädt die Zeichenspuren mit neuer Energie auf und lässt sie wieder erstrahlen. Ein fortdauerndes Werden und Vergehen.

Dabei kennt sich die Bayerische Staatsbibliothek eigentlich vor allem mit dem Bestehen aus. Mehr als zehn Millionen Bücher füllen die Bestände der BSB, besser bekannt als StaBi. Die meisten Druckerzeugnisse zählen zur kultur-wissenschaftlichen Abteilung. Doch die BSB war von Anbeginn an auch als Kunstkammer angelegt und verfügt über reiche Schätze an alten Handschriften, Inkunabeln und Drucken sowie - und das ist wenig bekannt - über eine der größten Sammlungen von Künstlerbüchern in Deutschland. Exemplare der alten Folianten werden in schöner Regelmäßigkeit in den Ausstellungsräumen im ersten Stock, den sogenannten "Schatzkammern", präsentiert. Einen Ausschnitt aus der Sammlung der zeitgenössischen Künstlerbücher jedoch gab es erst einmal zu sehen, vor 25 Jahren.

Dabei zählt die seit 1915 aufgebaute Sammlung, die in den vergangenen Jahren ganz wesentlich durch die Unterstützung der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung Ankäufe tätigen konnte, etwa 14 000 Künstlerbücher und Künstlerpublikationen. Da sollte man nicht noch einmal so lange warten, um weitere Schätze der Öffentlichkeit vorzustellen. Dass man die aktuelle Ausstellung "Showcase" in Emil Siemeisters zeitgenössischer Umsetzung einer alten Handschriftenbebilderung münden lässt, deutet auf die Vielfalt der Formen und Materialien und nicht zuletzt der Inhalte hin, die hier versammelt sind. Einen wunderbaren Überblick gibt auch der Katalog, der von der Staatsbibliothek herausgegeben wurde und der seine Existenz einer weiteren Kulturstiftung verdankt, der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung.

In den drei Räumen im ersten Stock der Bibliothek finden sich neben Büchern verschiedenster Formate auch Werke, die in Form und Material das Medium des Künstlerbuches erweitern - ganz dem von Anselm Kiefer nach Stéphane Mallarmé zugeschriebenen Leitspruch am zweiten Ausstellungsraum verpflichtet: "Alles auf der Welt ist da, um in ein Buch zu münden."

Herausragendes Beispiel: Die "Ereignis-Collagen" von Erró, zwölf illustrierende Kuben aus Polyesterharz, in denen Skulpturen eingegossen sind, die jede für sich wie auch im Zusammenspiel Geschichten erzählen. Eine mehrfach wiederkehrende Form des Künstlerbuches ist das des Leporellos. Wohl mithin das bekannteste ist das von Ed Ruscha "Every Building on The Sunset Strip", erstmals herausgekommen 1966, hier in der zweiten Auflage von 1971 zu sehen, mit den beiden gegenüberliegenden Straßenseiten am oberen und unteren Leporello-Rand. Ein Werk, mit dem der US-amerikanische Maler, Fotograf und Filmemacher Kunstgeschichte schrieb. Interessanterweise besitzt die BSB auch ein bereits 1954 erschienenes Leporello des Japaners Yoshikazu Suzuki, das sich tatsächlich - wie es im Katalog heißt - "als faszinierender Vorläufer von Ed Ruschas gefeiertem Werk" interpretieren lässt.

Showcase Künstlerbücher Stabi
Kasimir Malewitsch in: Troe, 1913 Umschlagvorderseite

Kasimir Malewitsch in „Troe“ (1913), Lithografie

(Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Typografisch bereits ungeheuer vielfältig sowie zeichnerisch, malerisch und fotografisch experimentierfreudig zeigten sich einerseits die Futuristen und Dadaisten Anfang des 20. Jahrhunderts, etwa Marinetti, Gontscharowa, Malewitsch, Kamenski und Lissitzky. Aber auch die Vertreter der Gruppe Spur und Fluxus-Künstler in den Sechzigerjahren bis hin zu Beuys in den Achtzigerjahren zeichneten sich durch experimentelle Künstlerbücher aus.

Aus der Gruppe der großformatigen Werke ragen die Schwergewichte von Anselm Kiefer und Katharina Gaenssler heraus. Kiefers Materialeinträge auf kartoniertem Malgrund müssen ein ziemliches Gewicht auf die Waage bringen. Aber auch die fotografische Zerlegung von Raffaels Sixtinischer Madonna lässt Gaenssler in einem Folianten münden, den man nicht so eben mal in die Hand nimmt. Wobei wir hier kurz auf die klassischerweise immer vorhandene Kritik bei Ausstellungen von Büchern kommen müssen: der Unmöglichkeit des haptischen Erlebens. Denn ob alte Handschriften oder zeitgenössische Künstlerbücher - immer bleibt dem Besucher solcher Ausstellungen das Erlebnis des "in die Hand nehmens" versagt. Alles wird in Vitrinen unter Glas präsentiert. Und auch die Unmöglichkeit, mehr als eine aufgeschlagene Seite sehen zu können, bleibt ein fortwährender Kritikpunkt. Dass keine Tabletts mit digitalisierten Büchern zum Durchwischen in den Ausstellungsräumen vorhanden sind, mag ja in Ordnung gehen, damit man sich auf das analoge Exemplar konzentriert. Aber ein paar digitale Beispiele im Vorraum hätten der Präsentation gewiss gut getan.

Schwerpunkt im letzten der drei Haupträume sind Plakate, Poster und Magazine, Einbände, Schallplattencover, Mappenwerke und ähnliche "Flachware" von Picasso bis Keith Haring, von Robert Crumb bis Art Spiegelman und von verschiedenen zeitgenössichen Gruppen, die in ihren oft von dokumentarischem Material geprägten kritischen Arbeiten eine gesellschaftspolitisch Wirkung in den Mittelpunkt stellen. Dazu zählten beispielsweise die Arbeiten der Atlas Group and Walid Raad, die die Geschichte des Libanon während des Bürgerkriegs erforschen. Oder auch das sogenannte "Combat Paper" des Künstlers Drew Matott und des Irak-Veteranen Drew Cameron, ein partizipatives Kunstprojekt auf handgeschöpftem Büttenpapier, das sich gegen den Kriegswahnsinn richtet.

Mehr als 70 Exponate sind bei "Showcase" zu sehen. Und mag der Titel auch ein wenig marktschreierisch wirken, sehenswert ist die Ausstellung allemal.

Showcase - Künstlerbücher aus der Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek, Bayerische Staatsbibliothek, Ludwigstraße 16, 1. OG, bis 7. Januar, So-Fr 10-18 Uhr; 23./24. Oktober: Showtime - Ein Symposium über das Künstlerbuch heute; 7. November, 19 Uhr: We keep on fighting ... - zwei Sammler, zwei Konzepte zum wahren Künstlerbuch, eine Diskussion

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