Ausstellung:Identitätswechsel

Ausstellung: Angela Fechter: Spider.

Angela Fechter: Spider.

(Foto: Angela Fechter)

Angela Fechter, Sandra Filic und Paul Albert Leitner bespielen die Rathaushausgalerie mit der Ausstellung "Ich ist ein anderer"

Von Jürgen Moises

Den Wunsch ein anderer zu sein, den haben schon viele Menschen irgendwann verspürt. Sei es aus Verzweiflung, Sehnsucht oder einfach nur aus Neugier, um herauszufinden, wie es sich aus anderen Augen auf die Welt blickt. Aber der eigenen Haut entkommt man nicht. Dafür kann man im Spiel in andere Rollen schlüpfen, etwa im Schauspiel oder im Computerspiel, oder sich literarisch in das Leben anderer hineinfantasieren. "Madame Bovary - das bin ich", soll Gustave Flaubert gesagt haben. Und von Arthur Rimbaud ist der Satz "Ich ist ein anderer" überliefert. Eine ästhetische Vision, aus der bald Realität wurde. Denn mit 19 Jahren hörte Rimbaud bekanntlich mit dem Dichten auf und begann als Söldner in Indonesien oder als Waffenhändler in Äthiopien ein völlig neues Leben.

Mit "Ich ist ein anderer" ist auch die aktuelle Ausstellung in der Rathausgalerie überschrieben, in der die Münchner Künstlerinnen Angela Fechter und Sandra Filic sowie der in Wien lebende Paul Albert Leitner ebenfalls mit eigenen und fremden Identitäten spielen. Auf eine autobiografische, ästhetisch überhöhte und selbstironische Art macht das Paul Albert Leitner in seiner Fotoserie, die inszenierte Selbstporträts mit teilweise abstrakten Naturaufnahmen oder Interieurs koppelt. Man sieht den ausschließlich analog arbeitenden Künstler, wie er in Hotels, am Pool oder auf der Straße in Städten wie New York, Brünn oder Nizhny Novgorod posiert: nackt, im Bademantel oder im zitronengelben "Fotoanzug", den er sich vor 20 Jahren für eine Kubareise gekauft hat und in dem er, inklusive Sonnenbrille, zur Kunstfigur mutiert.

Für seine Posen nennt Leitner Gilbert & George oder japanische Touristen als Vorbilder und versteht seine Serie als Reisetagebuch, das nicht nur um die Welt, sondern auch in das eigene Ich führt. Die Natur dient ihm dabei als Spiegel der Seele, wie sie das auch in der Literatur der Romantik, des Sturm und Drang oder im Märchen tut. Oder auch in Angela Fechters Fotoserie "Invisible", die den Betrachter in eine verlassene Bergwelt führt. Das heißt, ganz verlassen ist sie nicht. Denn dort treibt sich ein schwarzhaariges Mädchen herum, das sich teilweise auf mysteriöse Art verdoppelt. Man sieht es im Wald oder in einer Hütte, deren Besitzer sich das Leben genommen haben, wie man auf einem Text auf Fechters Webseite erfährt.

Das hat etwas von einem finsteren Märchen und ist tatsächlich literarisch inspiriert, aber nicht von den Gebrüdern Grimm, sondern von Ingeborg Bachmanns "Der Fall Franza". Was aber nicht weiter wichtig ist, weil der Betrachter aus den symbolisch aufgeladenen Bildern seine eigene Geschichte spinnen soll. Das ist in Sandra Filics Videoserie "Modelle der Wirklichkeit" anders. Auch hier wird in Rollen geschlüpft, aber in keine fiktiven oder symbolischen, sondern in die von realen Personen: zwei Männern aus Deutschland, von denen der eine blind, der andere Messie ist; und zwei Frauen und ein Mann aus Kroatien, die, so hat man den Eindruck, eine sehr einfache, bescheidene Existenz führen.

Alle fünf Filme, die über mehrere Jahre hinweg entstanden sind, funktionieren im Wesentlichen gleich. Man sieht zuerst die realen Personen von hinten aus ihrem Haus oder aus ihrer Wohnung gehen, dann kommt Filic und "übernimmt" ihr Leben. Das heißt: Sie macht an den realen Lebensorten all die Dinge nach, die - vom Kaffeekochen bis zum Einkaufen - die Personen aus dem Off über ihr Alltagsleben schildern. Filic macht das ohne Verkleidung, ohne Maskerade. Das heißt: Ihr "Ich" bleibt gleich und doch wird sie auf eine seltsam irritierende Art eine andere. Und der Film mutiert zu einer merkwürdigen Hybridform, zu einem Spiel mit Identitäts- und Genregrenzen, das trotzdem sehr intime Einblicke in das jeweilige Leben liefert.

Ich ist ein anderer, Rathausgalerie, Marienplatz 8, bis 28. Oktober, Di-So, 11-19 Uhr

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