Ausstellung:Ich weiß was, was du nicht weißt

Geheimnis Ausstellung Whitebox

Wer ein offenes Ohr sucht, um ihm ein Geheimnis anzuvertrauen, wird bei dieser Installation fündig.

(Foto: Nemetschek-Stiftung)

Die Ausstellung "Geheimnis - Ein gesellschaftliches Phänomen" führt die Besucher der White Box zu Orten von Geheimhaltung und Heimlichkeit

Von Barbara Hordych

Beim Beichtgeheimnis hält sich Rainer Maria Schießler, Pfarrer der Münchener St. Maximilian-Kirche, sehr streng an das Kirchenrecht: "In dreißig Dienstjahren habe ich schon alles gehört. Ich glaube, ich kenne jede Sünde, die es gibt". Gewissermaßen ist das Beichtgeheimnis der älteste Datenschutz der Welt. Schießler ist in der Ausstellung "Geheimnis - Ein gesellschaftliches Phänomen", die am 29. September in der White Box beginnt, einer von sechs Protagonisten, die in einem Videofilm ihre Haltung zum Thema Geheimnis bekunden.

"Ich persönlich würde das als zu große Belastung empfinden", bekennt der Physiker Ralf Nemetschek bei einem Rundgang durch die Ausstellungsräume. Ähnlich wie die ärztliche Schweigepflicht verlange es den betreffenden "Geheimnisverwahrern" zu viel ab. Nichtsdestotrotz hat sich der Geschäftsführer der überparteilichen Nemetschek-Stiftung, die mit ihrer Arbeit einen Beitrag zur demokratischen Kultur in Deutschland leisten will, in seinem neuesten Projekt dem Geheimnis verschrieben. Seit 2008 entwickelt die Stiftung Ideen, die sie zusammen mit Partnern wie dem Goethe Institut, den Münchner Kammerspielen und verschiedenen Landeszentralen für politische Bildung umsetzt. Die aktuelle Ausstellung hat Nemetschek gemeinsam mit seiner Programmleiterin Silke Zimmermann konzipiert. Die Schau macht nicht nur das Beichtgeheimnis zum Thema. Denn ob in Politik, im Beruf, in der Forschung, im Journalismus, in der Familie oder im Glauben - Geheimnisse spielen überall eine Rolle. So können sich die Besucher auf eine Spurensuche zu unterschiedlichen Orten von Geheimhaltung und Heimlichkeit begeben und sich an vielen interaktiven Installationen die Frage stellen, wie sie selbst zum Umgang mit Staats-, Betriebs-, Beicht- und Familiengeheimnissen stehen.

Ein Projekt, das im wörtlichen Sinne leicht zugänglich ist. Am Eingang muss der Besucher allerdings wählen: Entweder betritt er die Ausstellung über die Fußmatte, auf der "Öffentlich" geschrieben steht (mit dem Zusatz: Nichts zu verbergen?) oder über die, die mit "Privat" (und dem Zusatz: Nichts zu sehen?) gekennzeichnet ist. Letztendlich führen jedoch beide Wege wieder zusammen.

Da ist beispielsweise das Wohnzimmer, "die gute Stube", in dem sich die als privat deklarierten Familiengeheimnisse befinden. "Versprichst du mir, dass du mit niemandem darüber sprichst?" ist auf einem runden Glastisch zu lesen. Ein Ansinnen, das "schöne" wie "gefährliche" Geheimnisse betreffen kann. Zu finden sind sie auf den Rückseiten der Sofakissen, in den Regalen der Wohnzimmerwand oder in den Schubladen der Kommoden. Zieht der Besucher etwa letztere auf, lüftet er die Geheimnisse: ein Geschenk, eine geplante Überraschungsparty. Es können aber auch Geheimnisse zum Vorschein kommen, die Missbrauch und Gewalt verbergen.

Handlungsvorschläge werden in der Ausstellung nicht gegeben. Jeder muss für sich selbst abwägen, ob und wem er sich anvertrauen will. Dafür hängen im letzten Raum große Ohrskulpturen an der Wand, in die man zuvor beschriebene Zettel werfen kann. "Jede Art von Kultur beginnt damit, dass eine Menge von Dingen verschleiert wird. Der Fortschritt der Menschen hängt an diesem Verschleiern", befand bereits der Philologe und Philosoph Friedrich Nietzsche. Eine Aussage, die in einem der Bilderrahmen nachzulesen ist, die im Flur einer imaginären Wohnung hängen. Direkt daneben finden sich in einem weiteren Bilderrahmen die Worte des Soziologen Georg Simmel: "Das Geheimnis - das durch positive oder negative Mittel getragene Verbergen von Wirklichkeiten - ist eine der größten geistigen Errungenschaften der Menschheit".

Doch was ist im Gegenzug mit der Forderung nach mehr Transparenz in der Politik? Ein Aspekt, der nicht nur durch Hunderte gestapelter Bundestagsprotokolle innerhalb der Ausstellung sichtbar wird, sondern auch das Thema einer Podiumsdiskussion zwischen Politologen, Philosophen und Journalisten am 4. Oktober um 19 Uhr in der Black Box im Gasteig sein wird.

Geheimnis - Ein gesellschaftliches Phänomen, 29. September bis 30. Oktober, White Box, Atelierstraße 18, Eintritt frei

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