Ausstellung:Hühner, Händler und Spelunken

Bayerisches Nationalmuseum (BNM)

Die szenische Installation der Volkszählung nach Brueghel von Martina Singer im Nationalmuseum.

(Foto: Bayerisches Nationalmuseum)

Martina Singer hat das Gemälde "Die Volkszählung zu Bethlehem" von Pieter Brueghel dem Älteren in eine 3D-Installation übertragen. Als Kunstwerk des Monats ist es im Nationalmuseum zu sehen

Von Evelyn Vogel

Was ist das nur für ein Gewusel. Da drängen sich Menschen vor einer Schänke, ein Schwein wird geschlachtet, das Blut hat den Schnee dunkel verfärbt; da sind Hühner, Händler und Spelunken zu sehen, und ein Mann mit Bart schielt von unten aus der Menge heraus, als ob er sich ertappt fühlte. Rechts unten schieben sich Kinder auf Eisschlitten mit Stöcken über den zugefrorenen Fluss. Ein Stück weiter hinten tragen Männer bepackt wie die Lastesel Säcke und Fässer über das Eis und zwischen Häusern, Bäumen und einer Burgruine tobt eine wilde Schneeballschlacht. Ein echtes Wimmelbild ist das. Weil so viel los ist, bemerkt man kaum die wichtigsten Figuren, die sich von rechts her der Menschenansammlung nähern. Die schwangere Maria auf einem Esel reitend, der von Josef geführt wird, auf dem Weg zur Volkszählung in Bethlehem.

"Dass alle Welt sich schätzen lasse" heißt die szenische Installation der Münchner Künstlerin Martina Singer, die als Kunstwerk des Monats Dezember im Bayerischen Nationalmuseum ausgestellt wird. Und wer nun überzeugt ist, dass ihm die Szenerie schon sehr viel länger vertraut ist, als das mit einem Werk einer zeitgenössischen Künstlerin der Fall sein kann, liegt richtig. Auch wenn man angesichts des "Originals" einigermaßen überrascht sein dürfte. Das ist nämlich ein etwa zweieinhalb auf dreieinhalb Meter großes Tableau, auf dem Singer das Gemälde "Die Volkszählung zu Bethlehem" von Pieter Brueghel dem Älteren aus dem Jahr 1566 in 3D nachgestellt hat.

Hatte der alte Brueghel diese und ähnliche Szenen schon vielfach gemalt, so taten es ihm seine Söhne nach. Die erfolgreichen Genreszenen des Vaters wurden gnadenlos kopiert. Brueghel hatte die Zählung nicht historisch korrekt dargestellt, sondern sie ins heimatliche Flandern des 16. Jahrhunderts verlegt. Kranz und Krug machen die Herberge, zu der die Heilige Familie unterwegs ist, zu einem Wirtshaus, in dem die damals über Flandern herrschenden spanischen Habsburger die Steuern eintreiben - darauf weist das Aushängeschild mit dem Habsburger Doppeladler hin.

Drei Jahre lang hat Martina Singer an der Installation gearbeitet. Auch mit "Fehltritten" wie sie erzählt. Denn zunächst diente eine der Fassungen von Pieter Brueghel dem Jüngeren als Vorlage. Dann entdeckte sie das väterliche Original und erkannte, "dass diese Figuren viel detaillierter, differenzierter und lebendiger wirken". Standardisierte Märklin-Figuren wie bei früheren Arbeiten kamen nun nicht mehr in Frage. Deshalb hat sie jede Figur - 200 sind es mit allem Getier - einzeln aus Modelliermasse geformt und bemalt.

Als sie mit ihrer Idee, die Volkszählung derartig in Szene zu setzen, beim Bayerischen Nationalmuseum vorsprach, war man begeistert und skeptisch zugleich, wie Sybe Wartena, der damalige Referent für die Krippen im Nationalmuseum, zugibt. Dass das Ganze in lieblichen Kitsch abgleiten könnte, wurde befürchtet. Von dem Ergebnis war man dann jedoch genau so überzeugt, wie die ersten Besucher begeistert sind. Wer mit Hilfe des Blickrahmens die 3D-Installation aus dem richtigen Winkel betrachtet und mit dem Foto des Gemäldes daneben vergleicht, dürfte überrascht sein, wie nah das Werk von Martina Singer dem Brueghel-Gemälde in seiner Anmutung und Lebendigkeit kommt.

Dass alle Welt sich schätzen lasse. Skulpturale Interpretation nach Pieter Brueghel d. Ä., Bayerisches Nationalmuseum, Prinzregentenstr. 3 So., 4. Dez., 11 Uhr: Konservatorenführung

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