Ausstellung zur NS-Zeit:Selbstgleichschaltung

Spielzeug für den kleinen Nazi: Die Ausstellung "Hitler und die Deutschen" beleuchtet die Beziehung von Führer und Volk - doch über die Wirkung von Propaganda spricht sie nur unvollständig.

Stephan Speicher

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Hitler-Ausstellung

Quelle: dpa

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Spielzeug für den kleinen Nazi: Die Ausstellung "Hitler und die Deutschen" beleuchtet die Beziehung von Führer und Volk - doch über die Wirkung von Charisma und Propaganda spricht sie unvollständig.

Wie war es möglich? Das ist die erste und die letzte Frage, die der Nationalsozialismus uns stellt. Wie konnte eine zivile Gesellschaft, wie es die deutsche doch war, solche Energien zum Verbrechen entbinden? Dass Hitler eine überragend wichtige Rolle spielte, ist nicht zu bezweifeln, aber wie spielte er sie? In den letzten Jahren ist seine charismatische Qualität wieder in den Vordergrund getreten. Hans-Ulrich Wehler hat sie im vierten Band seiner "Deutschen Gesellschaftsgeschichte" stark betont, Ludolf Herbst hat in diesem Frühjahr das Gemachte, Konstruierte dargestellt: "Hitlers Charisma. Die Erfindung eines deutschen Messias".

Text: Stephan Speicher/ SZ vom 15.10.2010/ Alle Abbildungen aus: "Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen". Berlin, Deutsches Historisches Museum, bis 6. Februar 2011. Der Katalog (Sandstein Verlag) kostet in der Ausstellung 25, im Buchhandel 38 Euro.

HItler und die Deutschen, Austeluung im Deutschen Historischen Museum Berlin

Quelle: Scherl/Sueddeutsche Zeitung Photo

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Und nun nähert sich das Deutsche Historische Museum (DHM) dem Problem mit der großen Ausstellung "Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen". Die Kuratoren, Hans-Ulrich Thamer (Universität Münster) und Simone Erpel (DHM), deuten schon mit dem Titel an, dass es ihnen um die gesellschaftliche Seite, die "Selbstgleichschaltung" der Bevölkerung nicht weniger geht als um die Person Hitlers.

HItler und die Deutschen, Austeluung im Deutschen Historischen Museum Berlin

Quelle: Foto: Armin Herrmann Werkbundarchiv/ Museum der Dinge

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Hitlers Herrschaft, schreibt Thamer in seinem Beitrag zum Katalog, "entsprach wie kaum eine andere den Merkmalen einer charismatischen Herrschaft", wie Max Weber sie beschrieben habe. Die "entscheidende Grundlage" dieser Herrschaft sieht er nicht in der zwingenden Gewalt der Persönlichkeit Hitlers, sondern in der Bereitschaft der Bevölkerung, ihm diese Gewalt zuzubilligen. Oder um gleich Weber zu zitieren: Es ist eine Herrschaft "kraft affektueller Hingabe an die Person des Herren und ihre Gnadengaben (Charisma)". Der rote Faden ist das mittlerweile bekannte Wort des Staatssekretärs W. Wilkens, der es 1934 jedermanns Pflicht nannte, "zu versuchen, im Sinne des Führers ihm entgegenzuarbeiten". Die Wendung ist so interessant, weil sie einen allumfassenden Herrschaftsanspruch ausdrückt und zugleich ein egalitäres Moment enthält. Jedermann musste erst einmal erkennen können, was im Sinne des Führers sei. Um bloße Befehlserfüllung ging es ja gerade nicht.

HItler und die Deutschen, Austeluung im Deutschen Historischen Museum Berlin

Quelle: Sebastian Ahlers/ Privatsammlung Rainer Graefe

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Dazu passt, dass Hitler sich als Mann des Volkes inszenierte, als der "Gefreite". Eine Postkarte stellt ihn 1933 in eine Reihe mit Friedrich II., Bismarck und Hindenburg: "Was der König eroberte, der Fürst formte, der Feldmarschall verteidigte, rettete und einigte der Soldat." Mussolini benutzte noch die traditionellen Posen: Auf dem Pferde sitzend, reckte er für eine Propagandaaufnahme das Schwert in die Luft. So etwas war Hitler fremd, das machte den Eindruck seiner Neuartigkeit aus. Einer verbrauchten Welt erstand ein neuer Held, unbelastet von all dem überflüssigen Kram des alten Bürgertums.

'Hitler and the Germans Nation and Crime' Exhibition In Berlin

Quelle: Getty Images

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Ein Foto aus dem Jahr 1923 zeigt, worum es geht. "Hitler spricht" heißt das Bild, aber wir sehen nicht den Redner, sondern nur sein Publikum im Zirkus Krone. Die Scheinwerfer bilden einen Lichtkranz, hier bildet sich die Volksgemeinschaft. Diese Empfindung bekommt ihren privaten, intimen Ausdruck in den Briefen an Hitler, handgefertigten Grußkarten, Gratulationen. Das ging bis zum Wunsch mancher Frauen, ein Kind vom "Führer" zu empfangen. Komischer Höhepunkt ist hier eine Karte mit Micky-Maus-Figuren. Join the jamboree! Der kämpferische Kern, die SA, hatte auch für den kleinen seelischen Bedarf etwas im Programm. Die Zigarettenmarken "Trommler" und "Sturm" boten ein Identifikationsangebot, und weil sie nur über die Reichszeugmeisterei der SA bezogen werden konnten, kam auch Geld in die Kasse.

'Hitler and the Germans Nation and Crime' Exhibition In Berlin

Quelle: Getty Images

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Wie scharf man auch gegen die bürgerlich konservative Welt vorging, demonstriert ein Plakat zur Wahl des Reichspräsidenten 1932, als Hitler im zweiten Wahlgang gegen Hindenburg (und Thälmann) antrat. Da werden die Hindenburgwähler in hebraisierenden Schriftzeichen vorgestellt, die Hitlerwähler aber in "deutscher" Fraktur. Ein Vers zu dieser Wahl: "Nur wer nach Knoblauch stinkt und Zwiebel,/ wählt Hindenburg als kleineres Übel./ Wer deutsch jedoch noch denken kann,/ wählt Adolf Hitler Mann für Mann." Keine zehn Monate später machte Hindenburg auf Druck konservativer Kreise Hitler zum Reichskanzler.

'Hitler and the Germans Nation and Crime' Exhibition In Berlin

Quelle: Getty Images

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Anderes ist ein wenig unscharf. Siegfried auf einem Schimmel, ein Standfoto aus dem Nibelungenfilm von Fritz Lang, weist auf Quellen hin, die der Nationalsozialismus anzapfte. Aber interessanter ist, dass neben Siegfried als neuer Held Hagen tritt, der Meuchelmörder Siegfrieds. Himmler rühmte Hitler als wiedergeborenen Hagen (seiner Treue wegen), und die Zeitschrift Germanien beobachtete, "dass idealistisch gesinnte deutsche Jungen mit unbeirrbarer Treue und geheimnisvoller Liebe an dem harten, liebeleeren Mörder Hagen Tronje hängen". Für das Entstehen der nationalsozialistischen Gewalt ist die Verehrung Hagens viel aufschlussreicher als die des sonnigen Siegfried.

HItler und die Deutschen, Austeluung im Deutschen Historischen Museum Berlin

Quelle: Arne Psiller/ Deutsches Historisches Museum

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Es ist ein großes Anliegen der Ausstellung, hinter der Beziehung zwischen Hitler und den Deutschen nicht die Verbrechen verschwinden zu lassen. Der Besucher wird von drei Hitler-Porträts empfangen, hinter denen Bilder der Verbrechen und Zerstörung hängen, durch wechselnde Projektion wird mal der Vordergrund, mal der Hintergrund sichtbar. In einer Vitrine sind SA-Standarte, Offizierssäbel der Reichswehr und - auf der Rückseite - die Broschüre der KPD "Todeskampf der Freiheit" vereinigt. Ob das Gegeneinander von auftrumpfender Gestik und Verzweiflung regelmäßig wahrgenommen oder der Blick nicht doch vom wuchtigeren Exponat festgehalten wird?

Erste Ausstellung zur Wirkung Hitlers

Quelle: dapd

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Es liegt in der Natur des Gegenstands, dass die Propaganda des Regimes und die Lust am Mitmachen, das heißt Quellen affirmativer Art, im Vordergrund stehen. Wo die Gesellschaft in ihrem Eifer für den neuen Staat sich zeigt, tritt oft etwas unfreiwillig Komisches zu Tage. In der Abteilung Kinderspielzeug gibt es nicht nur Elstolinfiguren der Wehrmacht und SA. Der kleine Nazi konnte auch die große Politik mit Hitler (in mehreren Gesten), Göring und Mussolini nachspielen, ein Rednerpult wurde mitgeliefert.

HItler und die Deutschen, Austeluung im Deutschen Historischen Museum Berlin

Quelle: Indra Desnica/ Deutsches Historisches Museum

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Kasperlfiguren der "Vorbereitungsstelle für das Reichsinstitut für Puppenspiel" stellten die Feinde des Dritten Reiches dar: den Briten mit Tropenhelm, den Meckerer mit Brille (die Volksferne ist ihm auf die gerunzelte Stirn geschrieben), den Juden und einen König mit schwammiger Physiognomie. Ein Wandbehang der evangelischen Kirchengemeinde Rotenburg an der Fulda weckt ähnliche Empfindungen. Evangelische Frauenhilfe und NS-Frauenschaft stickten das Bild, auf dem HJ, BDM, SA und eine Frauenprozession kreuzförmig auf die Kirche zu marschieren. So sickert der Nationalsozialismus in die Gesellschaft ein. Die private Emsigkeit, auch die dafür notwendige Vereinsmeierei sind Kräfte, die der Nationalsozialismus mobilisieren konnte, sie sind auch eine Grundlage der Verbrechen. Und doch sieht man sich so etwas nicht leicht ohne Belustigung an.

Erste Ausstellung zur Wirkung Hitlers

Quelle: dapd

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Das größere Problem der Ausstellung allerdings ist ein anderes. Die Beziehung zwischen Hitler (oder dem Nationalsozialismus, es geht nicht allein um die Person Hitlers) und den Deutschen erscheint als von Charisma und Propaganda geprägt - und von der Bereitschaft, darauf einzugehen, sich der Herrschaft seelisch hinzugeben. Nicht zu sehen sind die handfesten Vorteile, die dem "Volksgenossen" geboten wurden. Das Dritte Reich arbeitete als eine gewaltige Karrieremaschine auf allen Gebieten. Nicht nur waren die Stellen neu zu besetzen, die Juden und überzeugte Republikaner hatten räumen müssen. Ein Aufschwung wurde in Gang gesetzt, der völlig neue Chancen schuf, aber hemmungslos kreditfinanziert war. Nur ein Beutekrieg gegen die Nachbarn konnte die zur Tilgung dieser Kredite notwendigen Mittel bereitstellen. Und als der Krieg entfesselt war, da wurde die Loyalität der Bevölkerung auch durch soziale Wohltaten und vermehrte Lebensmittelzuteilungen gesichert, die aus der Plünderung der Juden und der besetzten Gebiete stammten. Von dieser Loyalitätsquelle spricht die Ausstellung nicht.

'Hitler and the Germans Nation and Crime' Exhibition In Berlin

Quelle: Getty Images

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Und sie spricht über die Wirkung von Charisma und Propaganda unvollständig. Sie zeigt, wie das Regime die Stimmung zu beeinflussen versuchte. Sie zeigt, wie die Beeinflussbaren mitmachten und den Kindern zum Beispiel "Fliegeralarm. Ein Unterhaltungsspiel für Jung und Alt" schenkten. Sie zeigt auch in Umrissen, was jenseits der Führer-Volk-Beziehung auf den Kriegsschauplätzen und in den Konzentrations- und Vernichtungslagern geschah. Sie zeigt aber nicht, wie verschlungen und widersprüchlich die Wege des Mitmachens sein konnten. Bürger, die wenig von Hitler und dem NS-Regime hielten, waren gleichwohl bereit, sich aus nationalen Empfindungen der Kriegsführung zur Verfügung zu stellen. Vielleicht hätten diese Fragen nach der Reichweite der Propaganda die Möglichkeiten einer Ausstellung überfordert, manches wird auch in den Katalogbeiträgen erörtert. Die Ausstellung für sich genommen stellt den Erfolg der nationalsozialistischen Stimmungsbearbeitung wohl etwas zu stark dar. So ist das mit dem Reiz der Exponate.

© SZ vom 15.10.2010/kar
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