Ausstellung:Heiß-kalte Spannung

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Die Alexander-Tutsek-Stiftung zeigt Fotografie und zeitgenössische Glaskunst aus Japan

Von Evelyn Vogel

Glas. Material, das wir täglich in Händen halten. Das uns im Innern eines Gebäudes den Blick ins Freie gewährt. Formen, die im einfachsten Fall aus gepresstem oder gewalztem Glas bestehen, im aufwendigeren aus kunstvoll geblasenem. Wer an Glaskunst denkt, denkt vor allem an Gebrauchskunst. Da können die Objekte noch so aufwendig hergestellt sein und aus bester europäischer Glasbläsertradition wie der in Murano stammen, zumeist sind es Gefäße wie Kannen, Schalen, Vasen und dergleichen Gebrauchsgegenstände mehr, wie auch im vergangenen Jahr in einer hübschen Ausstellung der Neuen Sammlung in der Rotunde der Pinakothek der Moderne zu sehen war.

Dass Glaskunst aber unendlich viel mehr sein kann, das zeigt die vor 16 Jahren gegründete Alexander-Tutsek-Stiftung seit 2004 mit ihren Ausstellungen, in denen die Vielfalt künstlerischer Glastechniken und Ausdrucksformen zusammen mit Fotokunstentdeckungen präsentiert werden. Immer wieder steht hier der zeitgenössische Umgang mit Glas im Mittelpunkt. Mitunter richtet man den Fokus auf ein Thema oder ein Land oder widmet sich der Studioglasbewegung.

In der aktuellen Ausstellung "Lebenswelt / Life-World" werden Skulpturen zeitgenössischer japanischer Glaskünstler sowie Arbeiten der japanischen Fotografin Rinko Kawauchi präsentiert. Kawauchi, 1972 geboren und vielfach ausgezeichnet, ist in ihrer Heimat bestens bekannt. In Europa kennt man sie weniger, aber das kann sich schon bald ändern, denn derzeit ist sie für den Prix Pictet nominiert. Einem mit 100 000 Schweizer Franken dotierten Preis für eine Fotoserie, die sich am überzeugendsten dem Thema Nachhaltigkeit widmet. Die Nominierten werden mit einer Ausstellung im Mai im Victoria & Albert Museum in London geehrt, dort wird auch der Preisträger bekanntgegeben.

Von Rinko Kawauchi, die in Tokio lebt, werden in der Ausstellung in der Alexander-Tutsek-Stiftung großformatige Aufnahmen aus der Serie "Ametsuchi" gezeigt. Dabei, so wird erklärt, steht Ame für den Himmel oder das Oben, tsuchi für die Erde oder das Unten, zusammen bedeutet es so viel wie "die ganze Welt oder das Universum". Fotografiert hat Kawauchi den Berg Aso während einer traditionellen landwirtschaftlichen Brandrodung. Doch es ist bemerkenswert, wie dieser Bergkegel geometrisch exakt entlang einer Radiallinie abgefackelt wird, und wie Kawauchi den Moment festhält, in dem der Berg wie mittig geteilt wirkt - geteilt in Hell und Dunkel, in Leben und Sterben, in Himmel und Hölle. Fast wie ein chinesisches Yin und Yang. Im krassen Gegensatz zu diesem geometrisch genau komponierten Großformat stehen frühere Serien der Japanerin, die in ihrer Motivwahl, den Ausschnitten und der Belichtungstechnik mit der Ästhetik eines Wolfgang Tilmans oder Juergen Teller verwandt zu sein scheint.

Das Feuer in Rinko Kawauchis Fotografien vor Augen wandert der Blick zu Objekten aus Glas, die mit Hilfe des Feuers entstanden sind und von denen einige Assoziationen an den absoluten Gegensatz erwecken: an Eis. Schneeweiß und scheinbar jeglicher Schwerkraft entzogen leuchten die Objekte von Sachi Fujikake und Yoshiaki Kojiro, besonders Kojiros Arbeiten aus formgeschmolzenem, aufgeschäumtem Glas verwirrt die Sinne. Sind das federleichte Zylinder und Kuben aus Styropor oder aus Eis? Die aufgebrochene Struktur gibt den Blick ins Innere und auf das Material frei - und lässt den Betrachter noch mehr rätselnd zurück. Würden sie in einem Teich aus Wasser schwimmen, man wäre nicht erstaunt. Statt dessen liegt der große, seltsame Glaswürfel auf dem Boden, so dass man ihn umgehen kann. Anfassen sollte man ihn besser nicht: Wäre jammerschade, wenn das blütenweiße Objekt demnächst den kläglichen Resten verdreckten Schnees auf den Straßen ähneln würde.

Aber es geht bei Glas nie nur um Optik, sondern immer auch um die Fragilität des Materials. Und gerade das macht die Ausstellung so spannend. Die Glaskünstler scheinen die Grenzen, innerhalb derer man üblicherweise mit Glas umgeht, allenthalben zu sprengen. Formgeblasenes und -geschmolzenes Glas wird geschliffen, sandgestrahlt, bemalt und emailliert. Masahiro Sasakis filigrane Objekte muten wie Wirbeltierchen an, Masayo Odahashis und Shima Koikes figurative Arbeiten scheinen von Innen zu leuchten.

Dass Japan in Sachen Glas eine besondere Stellung einnimmt, wird dem Betrachter schnell klar. Ausgerechnet Japan, das man doch vorwiegend mit Porzellan, nicht aber mit Glas verbindet, hat in seiner noch jungen Tradition Glaskünstler von besonderem Format hervorgebracht. Die Geschichte des modernen Glases in Japan beginnt nicht lange nach der in den USA ins Leben gerufenen, internationalen Studioglasbewegung. 1976 gründete Makoto Ito, der mit einem eher abstrakten Glasbild auch in der Ausstellung vertreten ist, die erste Glasklasse an einer privaten Kunstschule in der Nähe von Tokio. Weitere Klassen an staatlichen und privaten Kunsthochschulen und Universitäten folgten. Sie brachten eine kleine, aber wie man so schön sagt feine Generation von Glaskünstlern hervor, wovon man sich nun in München überzeugen kann.

Lebenswelt / Life-World, Alexander-Tutsek-Stiftung, Karl-Theodor-Straße 27, bis zum 30. Juni, Di. bis Fr. 14 bis 18 Uhr

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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