Ausstellung:Heimkehr nach München

Die Städtische Galerie im Lenbachhaus präsentiert erstmals das, was in der Region geschaffen wurde.

Von Gottfried Knapp

Provinziell ist, wer sich seiner eigenen Herkunft schämt und krampfhaft versucht, mit ortsfremden Dingen eine Identität zu entwickeln. Nimmt man diese Definition als Maßstab, dann haben sich sowohl die staatlichen als auch die städtischen Museen in München über Jahrzehnte hinweg lächerlich provinziell benommen. Obwohl sie ihrem Auftrag, das bayerische und das Münchner Kunstleben durch Ankäufe und Ausstellungen zu fördern, in großen Abständen immer mal wieder lustlos nachgekommen sind, haben sie peinlich darauf geachtet, dass das in der Region gekaufte Zeug nicht in jene Hallen kam, in denen sich das Museum dem Publikum als ein hoch über den Niederungen der Regionalität schwebendes, transatlantisch inspiriertes, angloamerikanisch parlierendes Eliteinstitut anzupreisen versuchte.

Als die Städtische Galerie 2013 nach jahrelanger Schließung ihre Bestände erstmals im neu errichteten Foster-Bau präsentierte, war in der Abteilung "Kunst nach 1945", sieht man von Rupprecht Geiger ab, kein einziger in Bayern oder München tätiger Künstler berücksichtigt worden. Das Kunstinstitut der Landeshauptstadt, das seine große Beliebtheit beim internationalen Publikum ausschließlich den in München und Oberbayern geschaffenen Hinterlassenschaften des "Blauen Reiters" verdankt, distanzierte sich bei der Kunst der Nachkriegsjahrzehnte also von allem, was in dieser Region erdacht, versucht und geschaffen worden ist.

Jetzt, zwei Jahre später, bekennt sich die neue Museumsleitung unter Matthias Mühling plötzlich offensiv zur lokalen und regionalen Geschichte. Ja lang Versäumtes wird mit solcher Überzeugung nachgeholt, dass man als Besucher immer wieder fragen muss: Wie konntet Ihr diese Werke jemals der Kunst-Öffentlichkeit vorenthalten: die Avantgarde-Botschaften der Gruppe Spur etwa; dieses einzigartige Konvolut von Gemälden, Skulpturen, Texten, Entwurfszeichnungen, Filmen, Manifesten und Flugblättern, das die Münchner Künstler und ihre international berühmten Mitstreiter um 1960 der stumpfen Kunst-Öffentlichkeit entgegengesetzt haben; es hätte im Museum längst schon den inhaltlich vergleichbaren Aktivitäten des Blauen Reiters an die Seite gestellt werden müssen.

Die drei Räume am Beginn des Rundgangs geben einen lebendigen Eindruck von der Aufbruchsstimmung in München um 1960. Im ersten Raum treffen Bilder der SPUR-Verbündeten Asger Jorn und Jacqueline de Jong aufeinander. Auf einer freien Wand läuft der avantgardistische Film "So ein Ding muss ich auch haben", den der Däne Albert Mertz 1961 mit den SPUR-Leuten gedreht hat. Er wurde von Jorn und Dubuffet mit Chaos-Tönen versehen und lädt heute den Museumsraum mit surreal-anarchischer Energie auf.

Im zweiten Saal können die vier SPUR-Gründer Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer mit exquisiten Einzelwerken ihren historischen Rang beweisen. Ihr aberwitziges Gemeinschaftsprodukt aber, der "Spur-Bau", dieses blasenartig aus der Erde wuchernde, von Stegen umschwirrte Kulturhaus, müsste in jeder Anthologie utopistischer Architekturen einen Ehrenplatz innehaben.

Ein Bildobjekt erinnert an Michael Heizers "Munich Depression"

In einigen Fällen hat sich das Lenbachhaus erst durch Schenkungen von der Qualität der in München geschaffenen Arbeiten überzeugen lassen. So wird das landratsamtliche Spektakel, das der Aktionskünstler Hansjörg Voth 1975 bei der Aufstellung von vier maibaumhohen, an der Spitze mit Stoff und Schnüren umwickelten Baumstämmen auf einem Hügel bei Freising ausgelöst hat, in der detaillierten (foto-)grafischen Nachbereitung zum musealen Ereignis. Und auch die kritischen Töne, die Voth in der Aktion "Feldzeichen" mit den quasi verwundet in den Himmel ragenden Baumriesen lange vor der Erfindung des Wortes "Waldsterben" angestimmt hat, teilen sich in den wintertrüben Schwarz-Weiß-Fotografien von Ingrid Voth-Amslinger intensiv mit.

Im Jahr 1969 hat der amerikanische Land-Art-Pionier Michael Heizer auf dem Baugelände von Neuperlach die kreisrunde, fünf Meter tiefe Grube seiner "Munich Depression" anlegen lassen. Drei Jahre später hat er die Spuren, die er damals in die Erde hat fräsen lassen, auf einem großen Bildobjekt grafisch nachvollzogen. Dieses Munich Optical Peinting zeigt also eine Möglichkeit, wie Freiluftaktionen für die Geschichte bewahrt werden können.

Wie aber Landschaften und Kulturen, die aktuell bedroht sind, über Einzelzeugnisse ins Museum und damit ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden können, das hat keiner eindruckvoller vorgeführt als der bayerische Altmeister der Spurensicherer: Nikolaus Lang. Im Lenbachhaus ist er diesmal mit einer Arbeit aus Südaustralien vertreten: Die farbigen Sedimentablagerungen, die er in einem wandhohen Abdruck quasi als geologischen Querschnitt festgehalten hat, haben für die dort lebenden Ureinwohner existenzielle Bedeutung.

Eine schöne Überraschung hält der kleine Raum parat, in dem Arbeiten des 1925 geborenen Heinz Butz gezeigt werden. Da kann man beobachten, wie der Mann, der später Professor an der Münchner Kunstakademie wurde, in den Sechzigern mit einem Minimum an gestalterischem Aufwand aus Spanplatten und Kunstharz Wandobjekte geformt hat, die sich in ihrer pointierten Schlichtheit souverän außerhalb aller gültigen Spielregeln bewegen.

Zum zentralen Tummelplatz in den Ausstellungsräumen dürfte sich aber der "Laden" entwickeln, den Hans-Peter Feldmann, einer der Clowns des Kunstbetriebs, im großen Saal am Schluss des Rundgangs eingerichtet hat. Die vielen tausend Kitsch-, Kram- und Trödelobjekte, die Feldmann in 40 Jahren zusammengetragen und nun in gläsernen Vitrinen zur Schau gestellt hat, bilden nicht nur ein Formenreservoir von niederschmetternder Fülle und schrill-schrägem Reiz, sie lassen auch seriöse Formen des Kunstsammelns und -erwerbens plötzlich in einem so ironischen Licht erscheinen, dass man um einige Kunstwerke in den Nachbarräumen zu fürchten beginnt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: