Ausstellung:Du kommst hier nicht raus

Ausstellung: Albanische Saisonarbeiter auf ihrer illegalen Reise nach Griechenland - eine Fotografie aus der Pariser Schau "Frontières", die die Geschichte und Gegenwart von Grenzen erkundet.

Albanische Saisonarbeiter auf ihrer illegalen Reise nach Griechenland - eine Fotografie aus der Pariser Schau "Frontières", die die Geschichte und Gegenwart von Grenzen erkundet.

(Foto: Ad Van Denderen /Agence VU)

Vom Inlandspassierschein bis zur Transitzone: Eine Pariser Schau erkundet das Phänomen der Grenze.

Von JOSEPH HANIMANN

Eine dumme Idee geht um in den gebildeten Kreisen des Westens: dass die Welt besser dran wäre, wenn es keine Grenzen mehr gäbe - das schrieb der Intellektuelle Régis Debray vor fünf Jahren in seinem Buch "Lob der Grenzen". Nach den Spielen ohne Grenzen, den Ärzten und den Journalisten ohne Grenzen sei es Zeit für eine Vereinigung der "Zöllner ohne Grenzen", spottete er. Die jüngsten Migrationsdramen auf dem Mittelmeer haben dem Traum von der allgemeinen Bewegungs- und Begegnungsfreiheit einen Dämpfer versetzt. Dass hinter geöffneten immer neu sich schließende Grenzen liegen, zeigt sich mit hartnäckiger Evidenz. Eine Ausstellung im Pariser Museum für Immigrationsgeschichte sucht vor dem Hintergrund von Globalisierung, Flüchtlingsbewegungen, Umsiedlungen und wirtschaftlich bedingter Migration dem Phänomen näher zu kommen.

Zwar wird das archaische Mittel der Abgrenzung durch Mauern und Zäune weiterhin gern als Lösung aller Probleme präsentiert, zwischen den USA und Mexiko, Indien und Bangladesch, Israel und dem Westjordanland oder Gaza. Weltweit macht es heute an die vier Prozent der Festlandgrenzen aus. Doch sind gerade diese Einrichtungen oft mehr Orte der Durchgangsbeschleunigung als des Dichtmachens. An der Übergangsstelle zwischen Tijuana und San Diego passieren täglich zweihunderttausend Arbeiter die Grenze. Die heutigen Grenzen seien, abgesehen von Fällen wie Korea, nicht mehr territoriale Schnitte, sondern komplexe lineare Systeme von Passierstellen, schreibt der Geograf Michel Foucher im Ausstellungskatalog.

Gelungen ist an der aus Zeitdokumenten, Fotos und Kunstwerken bestehenden Schau vor allem, dass das Thema Grenze vom Gesichtspunkt der mit ihm einhergehenden menschlichen Erfahrungen dargestellt wird. Da sind nicht einfach Karten mit gestrichelten oder durchgezogenen Linien und den erklärenden Begleittexten zu sehen, sondern Orte, an denen Warteschlangen entstehen, Umgehungswege gesucht, unterirdische Gänge gebuddelt, Leben riskiert und neue Formen einer Schlepperwirtschaft entwickelt werden. Menschenschicksale ändern an solchen Orten jäh ihren Lauf. Die jüngste Massenmigration auf verschlungenen Wegen zu Land, zu Wasser und durch die Luft sowie die unkoordinierte Kontrolle innerhalb des Schengen-Raums hat aber dazu geführt, dass die Grenzerfahrung, gar nicht erst herein zu kommen, umschlägt in ein Drinnenfestsitzen: Festsitzen in Auffanglagern, Transitzonen, Einreisezentren, selbst gebastelten Notunterkünften.

Gegen Völkerwanderungen ist die die Bürokratie so machtlos wie früher Meere und Gebirge

Im Übergang zum 20. Jahrhundert, so deuten die beiden Ausstellungskuratoren Catherine Wihtol de Wenden und Yvan Gastaut an, sei in der Erfahrung mit Grenzen eine Wende eingetreten. Bis dahin sei es in Europa einfacher gewesen, in ein Land einzureisen, als es zu verlassen, denn die Staaten wollten ihre Bürger und künftigen Soldaten behalten. In Frankreich etwa wurde der Inlandspassierschein erst um 1860 abgeschafft. Die Ausreiseschwierigkeiten schlugen in Einreiseprobleme um. Dies hat sich nun aufs Neue gewendet. Die Migranten sitzen heute an den diversen Rändern Europas, bei Calais, auf dem Balkan, in Palermo fest, innerhalb der EU-Grenzen, und können zunächst weder vor noch zurück. Auf großformatigen Fotografien von Bruno Serralongue, Jodi Hilton, Sarah Caron ist in der Schau zu verfolgen, wie die dort zusammengepferchten Menschen unsichtbar werden: hinter gespenstisch leer wirkenden Zeltverstecken im Wald, als ausdruckslose Gesichter hinter Maschendraht oder als verwaiste Heimatgefühle in Form von Plüschtieren auf den Metallpritschen in Massenlagern.

Eher als reale Orte des Übergangs vom Einen ins Andere, vom Verlassenen ins Neue, sind die Grenzen für die Migranten heute Niemandsorte, weder das Eine, noch das Andere. In Frage gestellt werden sie nicht mehr hauptsächlich durch politisch motivierte Öffnungswünsche, sondern durch ihre relative Ineffizienz. Gegen Völkerwanderungen vermögen technologische und bürokratische Spitzenleistungen so wenig auszurichten, wie Gebirge, Wüsten und Meere es taten. Als stiller oder lärmender Akteur steht aber fortan die Volksmeinung der Auffangländer daneben. Sie setzt die Regierungen mit widersprüchlichen Forderungen unter Druck.

Aufschlussreich ist in der Pariser Ausstellung eine Presseschau über die Flüchtlingsströme des vergangenen Herbsts aus dem mittleren Osten nach Deutschland. Waren auf den Titelseiten der Zeitungen zuerst meistens Einzelpersonen, Familien und kleine Gruppen in Booten am Strand oder auf Wanderschaft zu sehen, wurden es im Lauf der Wochen Menschenscharen, aus Distanz im Weitwinkel aufgenommen, in schwer lokalisierbaren, beinah abstrakten Landschaften.

Zur Frage, ob die Welt besser wäre ohne Grenzen, halten die Pariser Ausstellungsmacher sich indessen zurück. Sie weisen auf eine Diskrepanz in der internationalen Rechtsordnung hin: Laut der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 hat jeder das Recht, sein Land zu verlassen, über die Aufnahmebedingungen in den anderen Ländern wird aber wenig gesagt. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist auf die klassischen Dissidenten aus totalitären Regimen in Zeiten des Kalten Kriegs zugeschnitten und scheint von den heutigen Mischformen aus Asylsuchenden, Wirtschaftsmigranten, Klimaflüchtlingen und Kandidaten der Familienzusammenführung überfordert zu sein. Eine Vertiefung des in der Ausstellung nur angedeuteten Zusammenhangs zwischen Kartografie, Kriegsführung und Zollwesen hätte hier interessant sein können. Die Zeit der Euphorie mit der Drahtschere vor einem Vierteljahrhundert zwischen Österreich und Ungarn ist jedenfalls vorbei. Verbrüderungsfreude, Realpolitik und Abschottungsobsession liegen miteinander wieder im Gefecht. Die Wirtschaft wird allenthalben globaler, die Politik provinzieller, merkt Régis Debray trocken an: Vom Mittleren Osten über Afrika bis nach Spanien, Italien strecke das "obszöne Fossil" Grenze den Verheißungen von Google Earth die Zunge heraus.

Frontières. Bis 29. Mai im Musée de l'Histoire de l'Immigration, Paris. Katalog 28,- Euro; www.palais-portedoree.fr

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