Ausstellung:Die elementare Macht der Farben

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Im Jahr 2014 hat Gérard Stricher in seinem Atelier in der Nähe von Vétheuil das Bild mit dem Titel "Der Tiger ist auf der Wiese" gemalt. (Foto: Gerard Stricher)

Gérard Stricher hat jahrzehntelang als Ingenieur gearbeitet, bevor der Sohn einer Künstlerfamilie seine Heimkehr zur Malerei antrat. Eine Ausstellung in Hohenaschau würdigt sein Werk

Von Gottfried Knapp

Als Gérard Stricher vor elf Jahren - er war damals 56 Jahre alt - das Industrieunternehmen, in dem er als Ingenieur erfolgreich gearbeitet hatte, verließ und sich als Maler in einem Künstlerdorf im Seine-Tal niederließ, dürften sich die Ingenieurkollegen sehr gewundert haben. Für Stricher selber aber war die Hinwendung zur Kunst nur eine logische Entscheidung, denn schon seit seiner Kindheit hatte er, der Sohn einer Künstlerfamilie aus Sarrebourg, seiner Neigung zum bildnerischen Gestalten folgen wollen.

Den ersten Ölgemälden, die er nach seiner Heimkehr zur Kunst malte, glaubte man zwar noch anzusehen, dass da ein Autodidakt auf der Suche nach einer eigenen Sprache sei. Doch schon erstaunlich bald formierten sich die mächtig auf die Leinwand gewuchteten Farbmassen zu ausdrucksvollen Großformen, die aufeinander Bezug nahmen, dabei mächtig an Gewicht gewannen und sich so mit Bedeutung aufluden, dass man sich als Betrachter immer wieder zu gegenständlichen Assoziationen aufgefordert fühlte.

In der großartigen Auswahl von Gemälden der vergangenen Jahre, die nun der Kunstverein Hohenaschau in den schönen Räumen des ehemaligen Reitstalls direkt am Fuß des Aschauer Schlossbergs zeigt, ist die Kraft, die der Maler innerhalb weniger Jahre erworben hat, überall intensiv zu spüren. Und da sich Stricher nicht, wie so viele seiner Malerkollegen, um Titel drückt, sondern sich zum gemalten Individuum mit einem Namen oder einer hinführenden Bezeichnung bekennt, bekommen die Lebewesen, die man in den Malereien zu erkennen glaubt, eine zusätzliche Bestätigung.

Immer wieder entdeckt man im Gewühl der Farbmassen Paare bedrohlich in sich kreisender Farbinseln, die einen anzustarren scheinen. Hat man sie als Augenpaare erkannt und akzeptiert, glaubt man bald auch schon die dazugehörenden Nasen oder Tierschnauzen aus dem Bild hervorwachsen zu sehen. Etwas Fleischiges wie Lippen oder Lefzen wölbt sich dem Betrachter entgegen. Manchmal tun sich die entdeckten Mäuler aber auch klaffend auf, gefletschte Zähne können dann sichtbar werden.

Der Betrachter wird also mit Gesichtern konfrontiert - man könnte auch sagen: mit Fratzen. Etwas Dämonisches, Gespenstisches geht von den gemalten Köpfen aus. Tragen sie dann auch noch die Namen antiker Götter oder Titanen, werden die Gedanken in Richtung Mythos gelenkt. Werden aber gar die Herren der vier Elemente im Titel herbeizitiert - Vulkan etwa, der Gott des Feuers, oder Neptun und Nereus, die Götter des Wassers - dann gewinnen die fließenden Bewegungen und die feurigen Farbgegensätze, die wir auf den Bildern erleben, zusätzlich an Tiefe.

Man muss aber nicht über anatomische Details wie die Augen in die Bilder einsteigen, man kann sich ihnen auch über eines der großen, die Fläche dominierenden Farbfelder nähern. Dann lassen sich die Kompositionen durchaus auch ohne gegenständliche Assoziationen, also einfach als kraftvoll freie Malerei genießen.

Aber auch dann wird man noch staunen über die Leichtigkeit, mit der Gérard Stricher die Grundfarben Rot, Gelb und Blau in ihrer leuchtkräftigsten Form immer wieder von Neuem aufeinanderprallen lässt. Der so erzielte starke Effekt könnte sich mit der Zeit abnutzen. Doch da der Maler für jedes Bild einen anderen Form- und Farbrhythmus wählt und sich erst im Lauf der Arbeit zur Präzisierung in Richtung Gesicht, also zur Personalisierung und schließlich zum Titel entschließt, heben die Bilder sich nicht gegenseitig auf, sondern setzen sich eindrucksvoll voneinander ab.

Gerade eine so dichte Ausstellung, wie sie jetzt in Hohenaschau zu sehen ist, zeigt, mit welcher Sicherheit Stricher die oft direkt aus der Tube gedrückten oder mit Spachtel und Fingern auf der Leinwand verteilten Ölfarben zu Schwergewichten bündelt und in immer neuen lebendigen Konstellationen gegeneinander setzt. Wer die elementare Macht der Grundfarben erleben will, wird in dieser Ausstellung fündig werden.

Gerard Stricher: Malerei. Kunst und Kultur zu Hohenaschau, An der Festhalle 4. Info: www.kuku-hohenaschau

© SZ vom 15.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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