Ausstellung:Die Achsendrehung

Die Ausstellung "Schloss. Stadt. Berlin" im Ephraim-Palais zeigt, wie das Schloss vom Rand in die Mitte rückte - ein Lehrstück für Stadtplaner.

Von Jens Bisky

Eigentlich ist der Haushaltsausschuss des Bundestages nicht für die Berliner Stadtplanung zuständig, aber da das Parlament mit dem Humboldt-Forum im Schlossneubau ein eigenes Kulturprojekt beschlossen hat, mischt es sich nun auch gern in Fragen der Umgebungsgestaltung ein. Im vergangenen Jahr stellte der Ausschuss zehn Millionen Euro für den Umzug des Neptunbrunnens an den historischen Standort vor dem Schlossportal II in Aussicht. Und vor Kurzem wurden 18,5 Millionen Euro für die Wiedererrichtung wilhelminischer Kolonnaden auf dem Sockel des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals versprochen. Dort sollte das Freiheits- und Einheitsdenkmal - die wankende Salatschüssel für "Bürger in Bewegung" - erstehen, bis der Haushaltsausschuss wegen der verlässlich steigenden Kosten den Planungen Einhalt gebot. Nun also was Neues, ohne lange Debatte, ohne Diskussion mit den Berlinern.

Schloss.Stadt.Berlin.Die Residenz rückt in die Mitte (1650 - 1800)Ausstellung 25.11.2016 bis 23.04.2017 (Pressematerial)

Das Berliner Schloss, um 1690, also vor dem barocken Um- und Neubau.

(Foto: Stadtmuseum Berlin)

Der aberwitzige Vorgang passt zum Schicksal des Ortes, an dem viele mit großer Leidenschaft ihren Traumbildern nachjagen. Keines von diesen ist verächtlich, aber wie sie eines Tages zusammenpassen könnten, wie das Schloss urban einzubinden wäre, hätte doch ein wenig Überlegung verdient. Der neue Senat will Unter den Linden partout eine Fußgängerzone haben, die Rekonstruktion der Schinkelschen Bauakademie rückt näher, 2019 soll das Humboldt-Forum eröffnen. Man möchte, angesichts der notorischen Schwäche der Berliner Stadtentwicklung, fast wetten, dass dann eine Situation wie am Hauptbahnhof droht: allerlei Wuselei und Improvisation inmitten städtischer Ödnis, die bewusst in Kauf genommen wird. Für keines der Probleme - Verkehrsführung, Ost-West-Verbindung, Schlossplatz und Schlossfreiheit - liegen überzeugende Konzepte vor. Da wird dann Städtebau mit Dekoration verwechselt.

Schloss.Stadt.Berlin.Die Residenz rückt in die Mitte (1650 - 1800)Ausstellung 25.11.2016 bis 23.04.2017 (Pressematerial)

Die Fassaden zum Lustgarten, kolorierte Radierung, beleuchtet (um 1780)

(Foto: Matthias Viertel/Stadtmuseum Berlin)

Als Besucher sieht man die Schwierigkeiten genauer, die ein Schlossneubau mit sich bringt

Wer der Postkartenschönheit misstraut und sich für tatsächliche Zusammenhänge interessiert, der sollte ins Ephraim-Palais gehen und durch die neue Ausstellung des Stadtmuseums schlendern. Unter dem Titel "Die Residenz rückt in die Mitte" werden die Beziehungen zwischen dem Schloss der Hohenzollern und der Stadt rekapituliert. Es geht in dieser wunderbar konzentrierten, eindrücklichen Ausstellung um die Jahre 1650 bis 1800, um 150 entscheidende Jahre zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und der Blüte der aufgeklärten Bürgergesellschaft. Man schaut danach anders auf jenes Areal, das seit den Neunzigerjahren "Historische Mitte" genannt wird. Man sieht die Schwierigkeiten genauer, die mit dem Schlossneubau verbunden sind.

Schloss.Stadt.Berlin.Die Residenz rückt in die Mitte (1650 - 1800)Ausstellung 25.11.2016 bis 23.04.2017 (Pressematerial)

Der Holzsäger - eine Radierung aus Spectaculum Naturae & Artium (um 1760) von Johann Wilhelm Mell.

(Foto: Michael Setzpfandt/Stadtmuseum Berlin)

Drei imposante Modelle erhellen Seltsamkeiten der Stadtgeschichte. Topografie, historische Stadtpläne, Veduten - das klingt nach Anstrengung, auf Monitoren aber kann man sich wischend leicht Orientierung verschaffen und versteht, was einst war, wo jetzt Straßen und Baustellen sind, sofort. Aus Papier, Karton und Kunststoff hat der 2006 verstorbene Horst Dühring ein Modell des Schlosses um 1690 gefertigt, jener vielgestaltigen, vor allem von Renaissanceformen geprägten Anlage, die Andreas Schlüter Ende des 17. Jahrhunderts in den Formen des europäischen Hochbarock umgestaltete.

Schloss.Stadt.Berlin.Die Residenz rückt in die Mitte (1650 - 1800)Ausstellung 25.11.2016 bis 23.04.2017 (Pressematerial)

Bildnis des Königs Friedrich I. in Preußen von einem unbekannten Künstler nach Samuel Theodor Gericke, Öl auf Leinwand.

(Foto: Michael Setzpfandt/Stadtmuseum Berlin)

Friedrich II. Eisenzahn hatte seine Residenz den Städten Berlin und Cölln ab- und aufgezwungen. Er ließ auf dem Cöllnischen Werder bauen, nördlich der Stadtmauer, auch stieß der Bauplatz an die Mauern des Dominikanerklosters. Die Bürger mussten Mitte des 15. Jahrhunderts nach einigen Widerstandsversuchen den Bau der Residenz hinnehmen, aber sie lag am Rande, entfernt vom städtischen Treiben, von den Märkten. Und dies blieb lange so.

Ein großes Stadtmodell zeigt die Situation der fachkundig, aber nutzlos mit einem Wehrgürtel aus Bastionen, Wällen, Wassergräben befestigten Stadt, genauer: der Städte, im Jahr 1688. Ein weiteres, das 1937 zur Siebenhundert-Jahr-Feier angefertigt wurde, die Stadt unter Friedrich dem Großen, 1750. Den teuren Barockbau hatte Kurfürst Friedrich III. mit Blick auf seine Standeserhöhung begonnen. Als er, endlich Friedrich I., König in Preußen, 1701 von der Krönung aus Königsberg zurückkehrte, war Portal I, im Südosten, das entscheidende, sein Triumphbogen in Stein. Die notwendigen Stadterweiterungen lagen im Westen und Norden. Es begann die Westorientierung Berlins, vorangetrieben vor allem unter Friedrich II., sichtbar am Aufstieg der Straße Unter den Linden zur Prachtstraße. Die mittelalterlichen Zentren Berlins und Cöllns aber traten so in den Schatten, ins Abseits. Diese Entwicklung lässt sich anhand von Plänen, Stadtansichten detailliert nachvollziehen. Den Achsenschwenk, den Sieg der Westorientierung, signalisierte am Schloss deutlich die erst Mitte des 19. Jahrhunderts aufgesetzte Kuppel. Die Mitte, so der Kurator Peter Schwirkmann, werde seitdem von Westen gesehen. Die städtebauliche Einbindung des Humboldt-Forums von Osten her ist heute eine der ungelösten Aufgaben rund um das neue Schloss.

Es ist die Neugier auf Objekte, die einen ins Museum zieht. Die Ausstellung wird dem gerecht

Die Ausstellung erinnert anhand von archäologischen Funden knapp an den Alltag der Bürger, berichtet über Soldaten und Flüchtlinge, Hoflieferanten und Luxuswaren. Gezeigt werden Fragmente des 1950 gesprengten Schlosses, Türen, Figurenköpfe, Blütengehänge. Nach einem Gemälde von Eduard Gärtner wird der Thronsaal in einem Raum durch Projektion und Spiegelung wieder Ereignis, in der Mitte laufen auf einem Bildschirm Filmsequenzen von der Sprengung.

Im obersten Geschoss des Ephraim-Palais, am Ende der Ausstellung, informiert ein Film über das Humboldt-Forum. Eine Video-Installation der Berliner Künstlerin Sony Schöneberger stimmt auf das Thema der nächsten Probeausstellung ein, die von April 2017 an in der Humboldt-Box zu sehen sein wird: "Kindheit". 16 Berlinerinnen und Berliner hat Sonya Schöneberger für "sich sicher sein" nach ihrer Kindheit, nach Momenten der Schutzlosigkeit, nach Brüchen und Geborgenheit befragt. Das ist interessant. Aber muss man dafür in ein Museum? Ist es nicht vielmehr die Neugier auf unbekannte, einzigartige Objekte, die dahin zieht? Wenn es nur um Themen und Erfahrungen ginge, könnte man doch ein Buch lesen, Videos im Netz suchen.

In die Ausstellung "Schloss. Stadt. Berlin" locken für die Stadtgeschichte kanonische Gemälde und Grafiken, auch Funde wie ein Guckkastenblatt mit den Schlossfassaden am Lustgarten. Es werden auch im Humboldt-Forum Objekte sein, die man sehen will, nicht belehrende Inszenierungen.

Schloss. Stadt. Berlin. Die Residenz rückt in die Mitte (1650 - 1800). Museum Ephraim-Palais, Poststraße 16. Bis 23. April 2017. Der Katalog ist im Holy Verlag erschienen und kostet 29,80 Euro. www.stadtmuseum.de/ausstellungen/schloss-stadt-berlin.

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