Ausstellung:Der Unzeitgemäße

Das Literaturhaus zeigt das bildnerische Werk von Wolfgang Herrndorf

Von Antje Weber

Man nehme folgendes Bild, das einen jungen Mann im Bett zeigt, angstvoll die Decke bis zur Nase hochgezogen. Der Bildtext dazu lautet: "Als ich erwachte, hing in der Mitte des Zimmers eine vollbusige Frau von der Decke herab, und mehrere Minuten wagte ich nicht, mich zu bewegen, weil ich fürchtete, sie würde verschwinden." Das ist eine Pointe ganz nach dem Geschmack von Wolfgang Herrndorf. Die vollbusige Frau sieht der Betrachter nicht, erst der Text liefert hier den Mehrwert - und das könnte man auch gleich symbolisch aufladen bei diesem Maler, der irgendwann als Schriftsteller Erfolg hatte und das Malen wieder sein ließ.

Die Eckdaten sind weithin bekannt; Herrndorf, mit Romanen wie "Tschick" und "Sand" spät sehr berühmt geworden, setzte seinem durch einen Hirntumor immer reduzierteren Leben 2013 selbst ein Ende. Weniger bekannt sind die Bilder, die er als Akademiestudent in Nürnberg malte, als Illustrator für das Satire-Magazin Titanic oder den Verlag Haffmans. 2015 wurde ein Teil davon erstmals in Berlin gezeigt. Für die Münchner Ausstellung hat Kurator Jens Kloppmann mit Herrndorfs Witwe Carola Wimmer die Auswahl auf 160 Bilder, Zeichnungen und Gouachen erweitert. Eine biografische Ausstellung, wie Ex-Literaturhauschef Reinhard Wittmann zunächst gewünscht hatte, ist es nicht geworden, sie ist unter dem Motto "Zitate" jedoch näher an das literarische Werk herangerückt worden. Doch auch wenn ein paar wenige Sätze aus Herrndorfs Blog-Tagebuch "Arbeit und Struktur" eingestreut sind, soll sich der Titel, so Kloppmann, vor allem auf die Bild-Zitate beziehen.

Und derer gibt es bei Herrndorf ja auch reichlich. Im eingangs beschriebenen Zimmer mit Busenblick zum Beispiel hängt ein Plakat einer Vermeer-Ausstellung an der Wand - nur eine von vielen Anspielungen Herrndorfs, der besonders die Alten Meister Jan Vermeer und Jan van Eyck liebte und das bis hin zu seinen strengen Selbstporträts deutlich zeigte. Er war, darin ein Unzeitgemäßer, geschult in verschiedensten Stilen und Techniken. Kombiniert mit modernen Motiven, hat das oft seltsame Verfremdungseffekte zur Folge. Ob Auftrags-Cartoons zur Kruzifix-Debatte in den Neunzigern, ob melancholische Landschaften oder eine Klassiker-Reihe zu Helmut Kohl, der in Vorlagen von Vermeer, Picasso, Magritte eingepasst wird - die Bilder bestechen, neben ihrem oft bitterbösen Witz, durch ihre Detailversessenheit.

Herrndorf war ein großer Schriftsteller, mit einem sehr eigenen Ton - war er bei aller handwerklichen Versiertheit auch ein großer Maler? Die nötige Begabung hatte er zweifellos. Dass er selbst das Schreiben irgendwann befriedigender fand als das Malen, verwundert jedoch nicht; dabei konnte er, der sich in einem Selbstporträt mit Bohrmaschine abbildet, wohl noch um einiges besser Tiefenbohrungen vornehmen. Die Ausstellung ist jedenfalls eine sehr gute Ergänzung, um dieses Multitalent in seiner Vielschichtigkeit noch näher kennenzulernen. Dazu gehört übrigens auch eine Reihe von Fußballer-Porträts, die bei der WM 2002 für Titanic entstanden. Man sieht Rudi Völler, Mehmet Scholl, Oliver Kahn und viele weitere Spieler - alle in Verzweiflungsposen. Ob auch diese Bilder aus der Vergangenheit direkt in die Gegenwart zielen?

Wolfgang Herrndorf: Zitate, bis 25. September, Literaturhaus am Salvatorplatz

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