Ausstellung:Der Stolz der Juden

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Zierde der Stadt: die Kuppel der Neue Synagoge in Berlin, wiederaufgebaut 1988 bis 1995. (Foto: Jörg Buschmann)

Das Berliner Centrum Judaicum eröffnet seine neue Dauerausstellung zur Geschichte der Neuen Synagoge. Sie belehrt und überwältigt nicht - und setzt vor allem auf denkende Besucher.

Von Jens Bisky

Die Kuppel über dem Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße gehört selbstverständlich zum Berliner Stadtbild. Wenn sie in der Sonne golden schimmert, kann man leicht vergessen, dass sie jahrzehntelang nicht da war und den Eingang zu einem Gebäude krönt, dessen Hauptteil fehlt. Wo denn nun die Synagoge sei, wollen Besucher ab und an wissen. Die Frage ist historisch uninformiert, was sich leicht ändern lässt, aber sie liegt nahe, wenn einer dem Augenschein vertraut. Wäre es nach den architektonischen Üblichkeiten gegangen, hätte die Kuppel sich über dem Hauptraum erheben müssen. Die Jüdische Gemeinde wollte es damals anders, sie verlangte von ihrem Architekten, die Kuppelanlage über dem Eingangsbereich an der Straßenfront zu errichten, damit der Bau als öffentliches Gebäude wahrgenommen werde und niemand ihren Anspruch übersehen könne, selbstverständlicher Teil der Stadtgesellschaft zu sein. Zur Einweihung 1866 kam auch der preußische Ministerpräsident, Graf Bismarck.

Nach acht Monaten der Renovierung und des Umbaus hat die Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum ihre neue Dauerausstellung eröffnet. Sie erzählt die Geschichte des Gebäudes, das ein Zentrum jüdischen Lebens in Berlin war. "Tuet auf die Pforten" stand über den Portalen, ein Zeichen der selbstbewussten Öffnung zur Stadt; bei Jesajas heißt es weiter: "dass einziehe das gerechte Volk, das wahret die Treue". Neben einer Vitrine mit den hebräischen Buchstaben der Inschrift hängt in der Rotunde eine stark vergrößerte Postkarte, eine Ansicht des Prachtbaus, darauf stehen private Belanglosigkeiten, Grüße und: "Riechste Knoblauch?" Das antisemitische Klischee wird mit jovialem Augenzwinkern aufgerufen. Auf der Rückseite der Postkarte stehen Äußerungen des "modernen Antisemiten" Paul de Lagardes und des Historikers Heinrich von Treitschke, der in der Neuen Synagoge einen Beleg für den übergroßen jüdischen Einfluss sehen wollte. Anderthalb Jahrzehnte nach Einweihung der Synagoge erlebte Berlin eine Welle judenfeindlicher Kampagnen, organisiert von der "Christlich-Sozialen Partei" Adolf Stoeckers oder dem Gymnasiallehrer Bernhard Förster, der später Nietzsches Schwester heiratete. Der Antisemitismus war auch damals eine Ideologie der Verrohung, verband den Versuch, Mitbürgern ihre Rechte abzusprechen, mit Straßenschlägereien.

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Das architektonische Kunstwerk in der Herzog-Max-Straße war ein Zeichen dafür, dass Juden ein Teil der Gesellschaft waren. Doch dann deklarierten die Nazis die Synagoge als "Verkehrshindernis".

In der Ausstellung ist davon nur wenig zu sehen. Sie konzentriert sich auf die Gemeinde und das Gebäude, jüdisches Leben in der Stadt. Sie belehrt und überwältigt nicht, setzt auf denkende Besucher. Diese Zurückhaltung ermöglicht viele Entdeckungen. Da Berlin heute wieder von einer Welle antisemitischer Stimmungen und Aktionen heimgesucht wird, vom Angriff auf Passanten über die Misshandlung von Schülern bis hin zu Pöbeleien und dem Verbrennen von Israel-Fahnen, wünscht man sich mehr Offensive. Das allerdings wäre in erster Linie die Aufgabe der Stadtgesellschaft. Es reicht der Rückblick auf das Kaiserreich und die Weimarer Republik, um zu sehen, dass zivilisiertes Zusammenleben nur dann möglich ist, wenn Antisemiten entschlossen unterdrückt werden.

Diskussion über den "Mythos des Jüdischen Berlin" zur Eröffnung

Am 9. November 1938 stürmten SA-Männer in die Neue Synagoge und legten Feuer. Der Polizeibeamte Wilhelm Krützfeld und sein Untergebener Otto Bellgardt stellten sich ihnen in der Nacht entgegen und sorgten für sofortige Löschmaßnahmen. Das Gebäude stehe doch unter Denkmalschutz. Ruth Gross, die Tochter des Fotografen Abraham Pisarek erinnerte später daran, dass auf dem Bürgersteig in der Oranienburger Straße Scherben, Bibeln, Gebetsbücher lagen. Sie ist eine der Zeitzeugen, denen man in der Ausstellung zuhören kann. Trotz der Verwüstungen überstand das Gebäude die Pogromnacht. Es wurde aber bei einem Luftangriff im November 1943 getroffen. Den einsturzgefährdeten Hauptraum der Synagoge sprengte man im August 1958.

Mit der gleichen Respektlosigkeit vor dem Wenigen, was Verfolgung und Krieg überstanden hatte, verfuhr man auch im Westen. Die Synagoge in der Münchener Straße in Schöneberg war in der Pogromnacht nicht angezündet, doch im Krieg beschädigt worden. 1956 riss man sie ab. In der Oranienburger Straße blieben wenigstens Teile der Ruine stehen, bis im November 1988 der Wiederaufbau für ein Museum begann. So kann man heute in den Fragmenten noch die Kühnheit Carl Heinrich Eduard Knoblauchs erleben, der die Neue Synagoge im "maurischen Stil" entworfen hat. Sein Freund Friedrich August Stüler, der Architekt des Neuen Museums, kümmerte sich nach Knoblauchs Erkrankung und Tod um die Verzierungen des Innenraums und die Baustelle. Das große Haus mit seinen 2300 Plätzen hielt Distanz zur typischen Berliner Kargheit. Es gab damals kein prächtigeres Gotteshaus in der Stadt. Über die Stilfrage ist viel diskutiert worden, die Entscheidung fürs "Maurische" betonte neben der Öffnung zur Stadt die Eigenständigkeit.

Blick in die Rotunde, hinten die im Text erwähnte, vergrößerte Postkarte mit antisemitischer Aufschrift. (Foto: Henry Lucke, Centrum Judaicum)

Das Treppenhaus muss man gesehen haben. Einst gingen hier die Frauen zu ihren Emporen, heute führt es den Besucher zum renovierten Repräsentantensaal, in dem vor dem Krieg die Repräsentanten der Gemeinde tagten.

Über 160000 Juden lebten 1933 in Berlin, 55000 von ihnen wurden ermordet

Dort sind auch Werke aus dem Jüdischen Museum zu sehen, das am 24. Januar 1933 in der Oranienburger Straße eröffnet wurde. Aus Tel Aviv kommt der Nachguss eines David, der bis zur Zerstörung im Museum stand. Ansonsten zeigt die Ausstellung vor allem Berliner Objekte, viele Fotografien und kaum bekannte Filmdokumente wie eine Wochenschausequenz aus dem Jahr 1932: ein Mitschnitt von Synagogenchören.

Mit einer Diskussion über den "Mythos des Jüdischen Berlin" beginnt am Montag das neue Veranstaltungsprogramm im Centrum Judaicum. Als die Gemeinde in der Mitte des 19. Jahrhunderts den Neubau beschloss, weil die alte, noch von Moses Mendelssohn besuchte Synagoge in der Heidereutergasse zu klein geworden war, zählte sie etwa 28 000 Mitglieder. Über 160 000 Juden lebten 1933 in der Stadt, 55 000 von ihnen wurden ermordet, 7 000 töteten sich selbst. Unter denen, die überlebten war Marie Jalowicz Simon, deren Sohn, Hermann Simon, der Gründungsdirektor des Centrum Judaicum war. Er hat 2014 unter dem Titel "Untergetaucht" ihre Erinnerungen an das Überleben in der Hauptstadt des Dritten Reiches veröffentlicht. Wer in der Ausstellung das Schicksal von Kurz Heinz Aron aus der Oranienburger Straße verfolgt hat, er wurde im Oktober 1943 in Auschwitz ermordet, der sollte danach dieses Buch lesen.

Heute gibt es wieder ein vielgestaltiges jüdisches Leben in der Stadt, aber es handelt sich, so die Kuratorin Chana Schütz, um "Inseln des Jüdischseins". Knoblauchs Fassade öffnet sich noch immer zur Stadt - und es steht wieder "Tuet auf die Pforten" über den Portalen. Aber davor wacht aus guten Gründen Polizei. Von Normalität und Selbstverständlichkeit sind wir noch weit entfernt.

Tuet auf die Pforten... Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum. www.centrumjudaicum.de.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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