Ausstellung:Der Gesamtkunstwerker

Die Villa Stuck erinnert an Hans Christiansen, der den Jugendstil zu seltener Blüte brachte

Von Jürgen Moises

Hier solle "kein Alltagsmensch wohnen", schrieb Hans Christiansen im Katalog zur Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt im Jahr 1901 über die Villa "In Rosen". "Aber einer, der seine Welt für sich hat und sich sein Nest nach seiner Neigung und nach seiner Individualität geschaffen hat." Damit meinte sich Christiansen selbst, der mit seiner Familie von 1901 bis 1911 in der Villa lebte. Ein Gesamtkunstwerk mit grünem Dach und quietschgelber Treppe, das seinen Namen dem zentralen Rosen-Motiv verdankt, das sich durch die gesamte Inneneinrichtung zog. Bis auf die Küche stammte diese bis hin zum Tischtuch oder Teppich komplett von Christiansen. Auch die Ideen für den architektonischen Entwurf kamen von ihm.

In der Hans-Christiansen-Retrospektive in der Villa Stuck, die einen lange zu Unrecht vergessenen "Gesamtkunstwerker des Jugendstils" zurück ins Bewusstsein rufen will, ist die Villa "In Rosen" als kleines Modell zu sehen, ergänzt durch Teile der Originalausstattung. Doch viel mehr als ein paar Wohnzimmermöbel ist nicht erhalten. Denn die Villa wurde 1945 bei Bombenangriffen zerstört. Dass wenigstens ein Großteil der von Christiansen geschaffenen Gemälde oder Grafiken noch existiert, das ist in erster Linie Ellen Redlefsen zu verdanken, die als Direktorin des Flensburger Museums im Jahr 1959 von Claire Christiansen den Nachlass erwarb. Dieser bildet auch den Grundstock für die Ausstellung, die als Kooperation zwischen der Mathildenhöhe Darmstadt, dem Berliner Bröhan-Museums, der Villa Stuck und dem Museumsbergs Flensburg realisiert wurde.

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Für jede Ausgabe ein neuer Stil: Hans Christiansen entwarf auch die Titelbilder der damals sehr beliebten Zeitschrift "Jugend".

(Foto: Museum Villa Stuck)

Flensburg, Hamburg, Paris, Darmstadt und Wiesbaden heißen die Stationen, an denen sich die Schau orientiert. In Flensburg machte der 1866 geborene Künstler eine Lehre als Dekorationsmaler, von 1886 an arbeitete er für den Hamburger Innenarchitekten und Ausstattungsmaler Peter Gustav Dorén. Nach einem Intermezzo an der Königlichen Kunstgewerbeschule München von 1887 bis 1889 machte er sich ebenfalls in Hamburg als Dekorationsmaler selbständig. Die ausgestellten Grafiken und Entwürfe aus dieser Zeit sind noch vom Historismus geprägt, Einflüsse des Symbolismus lassen sich ebenfalls erkennen. Zu einer wichtigen Zäsur führt ein Besuch der Weltausstellung in Chicago 1893, wo sich Christiansen für japanische Holzschnitte und die Glaskunst von Tiffany begeistert. Was sich auch erkennbar in seiner Arbeit niederschlägt.

Die vier Jahre, die er von Herbst 1895 an an der privaten Académie Julien in Paris verbringt, wirken ebenfalls prägend. Die vegetabilen Elemente des französischen Jugendstils, die Farbigkeit eines Paul Gauguin, der Plakat-Stil eines Toulouse-Lautrec: All das hinterlässt Spuren in seinen Plakaten und Entwürfen für Kunstverglasungen, Postkarten oder Teppichen. Von den entworfenen Glasfenstern aus dieser Zeit sind leider nur wenige erhalten. Eines davon wird in der Ausstellung gezeigt. Was an diesem oder an den Wandteppichen beeindruckt, ist, wie Christiansen seinen Stil und die Motive an die jeweilige Ausführungstechnik anpasst. Wie variantenreich sein Repertoire ist, das zeigen seine Titelbilder für die Zeitschrift Jugend. Fast jedes Bild in einem anderen Stil. Auch das Logo wurde jeweils neu und passend zum Motiv gestaltet. Kein Wunder also, dass Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein ihn 1898 mit dem Versprechen absoluter kreativer Freiheit als ersten Künstler für seine Künstlerkolonie nach Darmstadt holte. Dass Christiansen diese Freiheit nutzte, beweisen etwa die von ihm gestalteten Teller. In ihrem klaren, reduzierten Design würde man sie eher in die 1960er Jahre datieren.

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Ein Titelbild der Zeitschrift "Jugend".

(Foto: oh)

1911 siedelt Hans Christiansen von Darmstadt nach Wiesbaden über, gestaltet dort weiterhin Werbegrafiken und Modezeichnungen, schreibt philosophische Texte, in denen er die großen Welträtsel lösen will. Zu den avantgardistischen Strömungen verliert er zunehmend den Anschluss. Weil er sich von seiner jüdischen Frau Claire nicht trennen will, erhält er 1933 Berufsverbot. Er versteckt sie und rettet ihr damit das Leben. Als er 1945 stirbt, ist er als Künstler nahezu vergessen. Höchste Zeit also, den Universalkünstler und Jugendstil-Pionier Hans Christiansen wieder zu entdecken.

Hans Christiansen. Gesamtkunstwerker des Jugendstils, bis 20. Sept., Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60

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