Ausstellung "Böse Dinge" in Hamburg:Über Geschmack lässt sich trefflich streiten

Was ist Kitsch und was ist Kunst? Die Ausstellung "Böse Dinge - Enzyklopädie des Ungeschmacks" macht deutlich: Einfach ist die Frage nach dem guten Geschmack nicht.

Von Ruth Schneeberger, Hamburg

13 Bilder

Moeko Ishida  Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge

Quelle: Armin Herrmann / MKG

1 / 13

Was ist Kitsch, was ist Kunst, was kann weg und was muss bleiben? Die Ausstellung "Böse Dinge - Enzyklopädie des Ungeschmacks" und deren Rezeption zeigt: So einfach ist die Frage nach dem guten Geschmack dann doch nicht. Trotz Wackel-Penis, Unterleibs-Aschenbecher und Vergleichen mit dem Dritten Reich.

Die Bild-Zeitung titelt artgerecht: "Was macht der Wackel-Penis im Museum?", lässt die Frage dann aber doch so gut wie unbeantwortet. Die Welt hält hierzulande für böse, was als hässlich gilt. Und Spiegel Online attestiert Gustav Pazaurek, dem Ideengeber der Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, gar "Wortgewalt" und lobenswerte Leidenschaft. Und damit gehen alle bisherigen Rezensenten dem reißerischen Titel der Schau auf den Leim: "Böse Dinge".

Mit Schmucksteinen verziertes Handy, Entwurf: Moeko Ishida, Deco Loco, 2009, Kategorie: Ornamentwut und Schmuckverschwendung, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin

Ausstellungsansicht Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Michaela Hille / MKG

2 / 13

Die kleine Presseschau zeigt: Hätten die Rezensenten die Unterschrift "Enzyklopädie des Ungeschmacks" genauer betrachtet, mit der die Ausstellung in ganz ähnlicher Form schon 2009 im "Museum der Dinge" in Berlin zu sehen war, oder einen Gedanken daran verschwendet, dass der Titel "Böse Dinge" auch ironisch gemeint sein könnte, dann hätte auffallen können, dass es hier eben nicht schlicht um einen "Jahrmarkt der Scheußlichkeiten" (Spiegel Online) geht, der übelsten Kitsch aus Kunst und Gewerbe versammelt. Sondern um mehr.

USB-Stick Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

3 / 13

Ja, es stimmt: Vom 16. Mai bis zum 15. September werden in Hamburg ganz schlimme Sachen ausgestellt. Gebrauchsgegenstände, die die Welt nicht braucht.

Handy-Halter mit Totenkopf, Handy-Hülle mit quietschbunten Schmucksteinen. Kindersneaker mit Obama-Konterfei und eine überfahrene Katze als Stofftier. Ein täuschend echt aussehender menschlicher Daumen als USB-Stick. Ein als Salzstreuer fungierender Fliegenpilz mit Ansicht des Dessauer Rathauses. Oder Aschenbecher, die den Nutzer dazu veranlassen, seine Kippen in einem weiblichen Unterleib aus Porzellan auszudrücken. Und eben der vielzitierte Wackel-Penis, ein Scherzartikel zum Aufdrehen.

USB-Stick in Form eines Fingers, China, 2009, Kategorie: Konstruktionsattrappe oder Weithergeholte Phantasiegestaltung, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Obama-Kindersneakers Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

4 / 13

Richtig übles Zeug also, das es in Geschenkeläden und Nippes-Boutiquen oder in den Untiefen des Netzes zu kaufen gibt und das die Ausstellungsmacher aus der ganzen Welt importiert und sorgsam nach Hässlichkeit, irregeleitetem Nutzen, Piefigkeit oder schreiend schlechter Ästhetik ausgewählt haben. Wer also mag, kann sich hier tüchtig gruseln, wundern oder ekeln.

Obama-Kindersneaker, Entwurf 2008, Keds, USA, 2009, Kategorie: Hurrakitsch, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Salz- und Pfefferstreuer Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

5 / 13

Der Besucher kann außerdem aus seinem eigenen Repertoire von Fehlkäufen oder ungeliebten Geschenken sein Lieblingsobjekt auswählen, mitbringen und gegen eines der ebenfalls ungeliebten Objekt anderer Ausstellungsbesucher eintauschen, die hier auf einem Gabentisch gesammelt werden.

Da warten schon eine wirklich selten hässliche Obstschale in Schlammtönen, ein fleischfarbenes was-auch-immer-Massagegerät oder unförmige Plastikpuppen auf neue Besitzer. Wer also Feinde hat, kann sich hier mit den grässlichsten Geburtstagsgeschenken aller Zeiten eindecken - und sicher sein, von den derart Beschenkten nie wieder eingeladen zu werden.

Salz- und Pfefferstreuer in Form einer Frau, 2009, Kategorie: Konstruktionsattrappe oder Weithergeholte Phantasiegestaltung, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Zitronenpresse Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

6 / 13

Das ist alles ziemlich lustig, unterhaltsam - und auch erschreckend: Zu welch schlechtem Geschmack der Mensch doch fähig ist! Allein, die Ausstellung geht viel weiter. Es dreht sich nicht allein um den Ekel an sich. Sondern auch darum, zu verstehen, warum es eben nicht ausreicht, sich ein Urteil über den Geschmack anderer Leute zu bilden und sich darüber zu erheben. Oder einen bestimmten Stil über alle anderen zu stellen. Oder seinen persönlichen Geschmack als Maß der Dinge zu begreifen. Ganz im Gegenteil.

Zitronenpresse Juicy Salif, Entwurf Philippe Starck 1990, Alessi, Italien, Kategorie: Unzweckmäßigkeiten, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Unterleib-Aschenbecher Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

7 / 13

Noch viel lustiger ist es nämlich, zu beobachten, mit welchem Eifer, Sendungsbewusstsein, unerschütterlichem Tunnelblick und maßlosem erzieherischen Anspruch sich selbsterwählte Hüter des guten Geschmacks in Szene setzen. Wie zum Beispiel Gustav Edmund Pazaurek, auf dem die Ausstellung beruht.

Unterleib-Aschenbecher, 2009, Kategorie: Konstruktionsattrappen und Künstlerscherze, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Mobiltelefon-Halter Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

8 / 13

Jener Pazaurek, deutscher Kunstsammler und -historiker, eröffnete 1909 im Landesmuseum Stuttgart die "Abteilung Geschmacksverirrung" . Begleitet wurde die Schau von einem eigens angefertigten Katalog dessen, was das Kunstgewerbe alles falsch machen könne, angefangen von "Ornamentwut" über "Dekorbrutalitäten" bis zur "Materialvergewaltigung".

Um solche "bösen Dinge", die die Menschen nach seinem Dafürhalten zu schlechteren Menschen erziehen, zu kennzeichnen, zu brandmarken und für die Zukunft auszuschließen, entwickelte er zunächst die Stuttgarter Ausstellung als Ausdruck des allgemeinen Ungeschmacks. Später formulierte er zusammen mit dem Deutschen Werkbund als Vorläufer der Bauhaus-Bewegung gezielte Vorgaben, wie die Dinge des alltäglichen Lebens stattdessen zu sein hätten, nämlich: klar, puristisch, stilistisch eindeutig und ohne jeglichen Zierrat.

Mobiltelefon-Halter, Agora Gifthouse AB, Schweden, 2009, Kategorie: Unpassende Schmuckmotive, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Tischuhr Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

9 / 13

Den Urtypen des deutschen "Kitschmenschen" stelle überdies Adolf Hitler dar, urteilte damals der Schriftsteller Hermann Broch, und so machte sich der Werkbund daran, die Deutschen mittels stark reduziertem Alltagsdesign in den 50er und 60er Jahren zu besseren Menschen zu erziehen. Dazu wurden Musterkoffer entwickelt, die etwa zeigen sollten, wie man fortan zu speisen hatte: von schlichtem und funktionalem Geschirr.

Und die gute Hausfrau, so zeigt ein Werkbund-Video in der Ausstellung, müsse ganz genau beachten, wie "der gute Tisch" zu decken sei. Es werden hier sogar Kataloge ausgestellt, die allen Ernstes von "Geschirrschränken als Erziehern" berichten. Das könnte aus heutiger Sicht schreiend komisch wirken, wenn es damals nicht ganz so ernstgemeint gewesen wäre.

Historistische Tischuhr, 2. Hälfte 19. Jh., Kategorie: Jägerkitsch, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

"Der Schrei" als Schlüsselanhänger Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

10 / 13

Wer nun in der Rezeption der Ausstellung Pazaureks Argumentation einfach folgt, der verkennt, dass schon Jahrzehnte vor dieser Bewegung mit dem Jugendstil eine grundlegende Kunst- und Designrichtung geboren war, die aus dem Menschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts mittels schöner Dinge einen besseren Menschen machen wollte. Die Industrialisierung war in vollem Gange, der Mensch wurde zunehmend durch Maschinen ersetzt. Ästhetisch gesehen waren einerseits die rein praktische Formgebung und andererseits der nostalgische Historismus en vogue.

Da machten es sich Künstler, Designer und Architekten der Jugendstil-Bewegung zur Aufgabe, die Welt mit schöneren, natürlicheren und einfach menschenfreundlicheren Motiven zu füllen. Mit seinen berühmten Bauwerken und Gemälden gilt der Jugendstil bis heute als einer der prägendsten Einflüsse unserer Zeit. Und hat - im Gegensatz zu seinem Nachfolger, dem Bauhaus, dessen Ausläufer unter anderem auch die scheußlichsten DDR-Bauten zu verantworten haben - gerade dem Ornament zu neuen Höhenflügen verholfen.

"Der Schrei" als Schlüsselanhänger, nach Edvard Munch "Der Schrei", Kategorie: Relieftranspositionen, Robert Fishbone, On The Wall Productions, Inc., .USA, 1991, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Teletubbie Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

11 / 13

Zu argumentieren, dass alles Ornamenthafte, alles, was verziert oder verschnörkelt und nicht allein funktional, geradlinig und stringent ist, automatisch schlecht sei, ist also eine Forderung, die zwar immer wieder mal beliebt, kunsthistorisch aber nicht zu halten ist. Und das ist auch gar nicht die Linie, die die Ausstellung vertritt, wenn sie die "bösen Dinge" von damals den aktuellen Peinlichkeiten gegenüberstellt und für letztere sogar noch neue Kategorien erfindet.

Vom Markt genommene Teletubbie-Figur, die giftige Weichmacher enthält, Kategorie: Schlechtes oder verdorbenes Material, Hasbro, Inc., 1998, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Heilwasser-Flasche Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

12 / 13

Die Ausstellung "Böse Dinge" zeigt vielmehr, wie verführerisch, aber zugleich auch wie falsch es sein kann, auf die eine, die wahre Meinung über Ästhetik zu bestehen, allzu belehrend zu sein in Sachen guter oder schlechter Geschmack. Und ebnet damit eigentlich den Weg für mehr Toleranz und Gelassenheit. Denn die "bösen Dinge" sind natürlich nicht wirklich böse, und sie machen auch aus niemandem einen bösen Menschen. Sondern regen eher zum Lachen an.

Heilwasser-Flasche in Madonnenform, Kategorie: Devotionalienkitsch, "Lichen", undatiert, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

Stehlampe Böse Dinge MKG Hamburg

Quelle: Armin Herrmann / MKG

13 / 13

Wie im Übrigen auch die in der Ausstellung gezeigte Stehlampe von Philippe Starck, die nicht aus Gedankenlosigkeit oder gar Boshaftigkeit einen Pistolenfuß hat und den Namen "Lounge Gun" trägt. Sondern weil der Designer damit auch auf ironische Weise zeigt, wie nahtlos sich in vielen Teilen dieser schönen Erde Schusswaffen in den Hausgebrauch einfügen. Und dieses kritische Statement ist überhaupt nicht böse. Sondern sogar ziemlich gut.

"Böse Dinge - Enzyklopädie des  Ungeschmacks", Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz 1, 16. Mai bis 15. September 2013, www. mkg-hamburg.de.

Stehlampe "Guns - Lounge Gun", Kategorie: Unpassende Schmuckmotive, Entwurf: Philippe Starck 2005, Flos, Italien, 2009, Sammlung Werkbundarchiv - Museum der Dinge, Berlin.

© Süddeutsche.de/rus/ihe/leja
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: