Ausstellung:Bockige Inszenierungen

Marcel Broodthaers verspottet in seiner Kunst das Bedeutungspathos der Hochkultur. Eine Retrospektive in Kassel zeigt, warum der Betrieb ihn liebt.

Von Till Briegleb

Marcel Broodthaers ist der Picasso der Kuratoren. Wo immer dieser Berufszweig besondere intellektuelle Anstrengungen demonstrieren will, leiht man sich ein Werk des belgischen Konzeptkünstlers als Zentralreferenz aus - so wie einst, als Kuratoren noch Ausstellungsmacher hießen, immer ein paar Picassos gezeigt wurden, wenn es um Malerei ging. Als Garant für Konzeptausstellungen findet man Werke des 1976 verstorbenen Broodthaers in Dutzenden Gruppenschauen zwischen New York und Erlangen, von Havanna bis Seoul sowie in Museen.

Deswegen macht es Sinn, dass es zum 60. Jubiläum der Documenta (das seit Mittwoch in Kassel begangen wird), im Fridericianum eine große Retrospektive dieses Kuratorenkünstlers gibt. Das Kunstfestival der hundert Tage ist schließlich die Heiligsprechung der Kuratorenmacht, und vielleicht besteht mit dieser großen Werkschau jetzt endlich die Chance, die Prophetenrolle von Broodthaers für die Gemeinschaft der Konzeptseligen zu verstehen. Seine isolierten Referenzwerke, die meist in Ausstellungen mit sehr komplizierten Titeln wie betriebseigene Hausaltäre aufgestellt sind, vermitteln die große Prägnanz seines Werks nämlich nicht jedem sofort.

Die umfangreiche Schau auf drei Stockwerken, kuratiert von Fridericianum-Chefin Susanne Pfeffer, offenbart den wichtigsten Grund für die große Fangemeinde im Betrieb relativ schnell: Wie kaum ein anderer Künstler hat sich Broodthaers mit dem Museum beschäftigt. In nahezu allen seinen Arbeiten geht es darum, die Eingängigkeit musealer Präsentation zu stören, wie der Besucher sie aus den großen Kunsttempeln des 19. Jahrhunderts kannte. Ganz bewusst benutzte Broodthaers für seine bockigen Inszenierungen von Unzugänglichkeit Vitrinen, Rahmen und klassische Kabinette, um darin Dinge zu zeigen, die das Bedeutungspathos der Hochkultur verspotten.

Seine Wohnung baute der schrullige Belgier zu einem "Adlermuseum" um

Statt edles Geschirr zeigen seine Vitrinen leere Eier und ausgeschlürfte Muschelschalen. Statt Ölschinken mit stark symbolischem Gehalt fassen seine Rahmen Leinwände, auf die das Alphabet gedruckt ist oder nur der Satz: "Die Welt von Kant" mit den Lebensdaten (in einer Serie mit Marx, Goethe, Hölderlin, Nietzsche, Hegel). Und sein begehbares Diorama zur Schlacht von Waterloo beherbergt keine historischen Uniformen und Panoramen, sondern eine Gartengarnitur aus Plastik unterm Sonnenschirm mit Blick auf eine Sammlung zeitgenössischer Sturmgewehre, sowie einen Plastikhummer, der gegen eine Plastikkrabbe Patience spielt.

Am berühmtesten ist natürlich Broodthaers vielfach in den unterschiedlichsten Varianten gezeigtes "Adlermuseum", das er 1968 in seiner eigenen Wohnung in Brüssel gründete und danach ständig ausbaute. Im Stil von Aby Warburgs Bilderatlas, aber nur mit einem Thema, sammelte und gruppierte Broodthaers alle Formen der Adlersymbolik in Abbildungen. Vom russischen Aftershave mit Adlerlogo zur kaiserlichen Pickelhaube mit Vogelaufsatz, vom ziselierten Skythengold bis zum aufgenähten Apollo-Sticker der Nasa, vom schaumverschmierten Bierglas Marke Adler-Pils bis zum Ortsschild für das französische Nest Aigles startete Broodthaers einen manischen wie lustigen Kulturvergleich, der aber in seiner Fülle letztlich alles und nichts aussagt.

Zum Guru der Kunstveranstalter hat sich Broodthaers aber weniger durch den Inhalt dieses Museums erhoben als durch den Akt der völligen Selbstautonomisierung. Denn durch die Fünfeinigkeit aus Künstler, Kurator, Sammler, Kunsthistoriker und Museumsdirektor, die Broodthaers sich hier spielerisch zugestand, erfüllte er sich eine Allmachtsfantasie, die auch so manchen Kunstfunktionär von heute zum Tagträumen verleiten mag. Darüber hinaus hat Broodthaers in den rund zehn Jahren seines künstlerischen Schaffens von 1964 bis 1975 einen Gestus kultiviert, der seither zum prägenden Gestaltungsmerkmal in Kunst und Kunstdiskurs wurde: die Referenz.

Broodthaers hat seine Bezüge allerdings nicht künstlich verrätselt. In der Nachfolge von Kurt Schwitters "Ursonate" erfindet er sein eigenes Lautgedicht. Auf Magrittes Motiv "Dies ist keine Pfeife" bezieht er sich in zahllosen Werken, etwa mit seinen absurden großformatigen Hinweisschildern oder in der Unterhaltung mit einer Katze. Und Mallarmés Symbolismus wird mal ein Altar errichtet, mal mit dem schwarzen Filzstift zu Leibe gerückt. Dieses Bekenntnis, sich klar auf andere Werke und Einflüsse zu beziehen, um daraus die eigene intellektuelle Sprache zu entwickeln, ist sicherlich die wesentliche Ursache, warum Broodthaers Werk so eine bedeutende Etappe auf dem Weg zur Diskursverliebtheit heutiger Biennale-Künstler und Kuratoren wurde.

Eigentlich ist Marcel Broodthaers also eine schräge und mittlerweile mit seinem Bezugssystem zum 19. Jahrhundert auch ziemlich altertümliche Betriebsnudel, die den Profis zur Selbstvergewisserung dient. Außerhalb des Zirkels jener Menschen, die über nichts anderes als Kunst sprechen, wird der schrullige Belgier aber vermutlich nie große Wirkung entfalten. Denn diese doch eher unsinnliche und abstrakte Kunst bräuchte zur Vermittlung zumindest eine zuneigungsvolle Sprache.

Deswegen ist es so erstaunlich, dass Kuratoren den Humor in Broodthaers Werken eigentlich immer unerwähnt lassen. Stattdessen verfallen mündliche wie schriftliche Deutungen seiner Einmaligkeit meist in sehr lange Nebensatzkonstruktionen mit Fremdwort- und Substantivhäufungen, die am Ende auf Diskurs-Binsen der Art herauslaufen: Der Künstler zeige, dass Darstellung und Dargestelltes nicht dasselbe sind. Oder, um einen Satz aus dem Kassler Begleitheft zu zitieren: "Vielmehr ist es die verschwiegene Kluft zwischen Objekt, Wort, Bild und Bedeutung, die sichtbar wird."

Angesichts solcher Betriebsstilblüten fragt man sich dann doch neugierig, wie die Museumskritik des Marcel Broodthaers wohl heute aussehen würde.

Marcel Broodthaers - Retrospektive. Fridericianum Kassel, bis 11. Oktober 2015

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