Ausstellung:Blinder Passagier

Hiwa K "Moon Calendar", Kunstverein Hannover

Ausschnitt aus der Videoarbeit „Moon Calendar“ (2007).

(Foto: Kunstverein Hannover)

Der kurdische Künstler Hiwa K reiste zurück in die Folterkeller seiner irakischen Heimat - für eine Flamenco-Performance. Der Kunstverein Hannover zeigt seine neue Ausstellung.

Von Till Briegleb

Es war bei der letzten Documenta eines der wenigen Kunstwerke, das wohl jedem in Erinnerung blieb. Die 20 braunen Steinzeugrohre vor der Documentahalle, eingerichtet mit den Utensilien von Studentenbuden. Diese Etagenbetten aus Abwasserrohren waren das einprägsame Monument einer Diskussion, die westliche Gesellschaften zu zerreißen droht: Nachtlager und Verstecke von Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa wurden mit dem Stapel symbolisiert, klaustrophobisch, und trotzdem dankbar angenommen als Schutz auf einem Leidensweg, der aus Ländern führt, wo man bedroht ist, in Länder, wo einen keiner herzlich erwartet. Der Künstler, Hiwa K, kennt diesen Weg der Angst und Strapazen sehr gut.

In seiner aktuellen Einzelausstellung im Kunstverein Hannover tauchen die Rohre wieder auf als Teil einer Bilderzählung über die eigene Flucht. In den Neunzigern entkam der irakische Kurde Saddam Husseins Terrorregime zu Fuß, auf dem Landweg. Mit einer großen Balancestange auf dem Kopf, wie man sie aus dem Zirkus kennt, wandert Hiwa K in dem Video seinen Fluchtweg nach, von der Türkei nach Italien. Zahlreiche Spiegel sind daran befestigt, die dem Träger verwirrende Ausschnitte der Erde zeigen, auf der er sich gerade bewegt. Von struppigen Ebenen und bröckelnden Brücken über griechische Hafenstädte bis zu römischen Kirchen und dem Stadio Olimpico führt der Balanceakt, bei dem er auch erzählt, wie er in der Dunkelheit solcher Rohre darauf hoffte, mit auf ein Schiff über das Adriatische Meer verladen zu werden.

Es ist nicht die reine Verzweiflung des blinden Passagiers, um die es bei der spielerischen Darstellung jener "Handicaps" geht, die eine einsame Suche nach Asyl bereithält. Er will nicht anklagen, er will nicht einmal mehr kämpfen. "Ich habe mich über die Jahre vom Soldat in eine Krankenschwester verwandelt", beschreibt der 43-Jährige schmunzelnd seine Metamorphose zum heilenden Künstler. Aber diese Heilung bezieht sich deutlich auf Erlebnisse von Krieg uned Flucht. So wie er bei der Biennale in Venedig 2015 eine Friedensglocke aus den eingeschmolzenen Hinterlassenschaften des Iran-Irak-Kriegs zeigte, so präsentiert Hiwa K in Hannover ein Mehrkanalvideo aus einer Gießerei im Nordirak, die in Sandformen Gullideckel mit dem glühenden Rohstoff herstellt, der aus ehemaligen Kriegswaffen gewonnen wurde. Davor hat er riesige Sandformen aufgeschichtet, die exakt die Deckenkassetten des Pantheons in Rom nachbilden, monumental, flüchtig, und doch Ausdruck von kultureller Beständigkeit.

Hiwa K war auch Mitglied einer Künstlerband, die sich nach den Wirtschaftswissenschaftlern benannte, die im Anschluss an den Sturz von Augusto Pinochet in Chile erstmals die neoliberale Theorie von Milton Friedman durchexerzierten. Die "Chicago Boys" sind in der Ausstellung präsent als Streetband aus Leitern mit Instrumenten und Verstärkern, mit denen 2012 in London eine Performance zur freien Meinungsäußerung geplant war - die dann von den Behörden untergesagt wurde.

Oder der ausgebildete Flamencogitarrist kehrt zurück in seine Heimatstadt im Nordirak in die Ruine des dortigen Foltergefängnisses, wo Männer zur Vergewaltigung der Häftlinge angestellt waren. An diesem Ort der Zerstörung von Würde und Leben tanzt er seinen rasenden Herzschlag im Flamencostil. So zelebriert er sein Nachdenken über den Mangel an Humanität bei Zunahme von Ungleichheit in der Welt mal in einem Ringkampf mit einem Philosophen, mal durch das Ausbrennen von Buchstaben in Büchern mittels einer Lupe. Schließlich verwandelt er seine Kindheitserinnerungen an die Widerstandskämpfer gegen Saddam Hussein in Räume blauen Lichts, in denen erzählt wird, wie Wunden nicht aufhören zu bluten.

Hiwa K antwortet vorsichtig auf die Frage, ob er sich als politischen Künstler versteht, obwohl das offensichtlich ist. Er habe ein wenig resigniert in dem Glauben, Kunst könne die Welt verändern. Aber er suche nach einer künstlerischen Symbolik, die politisches Denken bestärken kann. Die Ausstellung in Hannover ist ein anregender Beweis, wie nahe Kunst ans Konkrete treten kann, um noch offen für Assoziationen der Betrachter zu bleiben. Und warum auf der Oberfläche der Gesellschaft Kunst vielleicht mehr Sinn macht als ein Krieg der Zeichen.

Hiwa K. Moon Calendar. Kunstverein Hannover. Bis 29. Juli 2018.

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