Ausstellung "Bin ich schön?":Hässlich in der schönen neuen Welt

Lesezeit: 4 min

Eine lebensgroße Topmodelschablone mit den Maßen 91-60-89 illustriert das überzogene Schema der Modewelt. (Foto: Museum für Kommunikation Berlin/Sandra Wildemann)

Wenn selbst dem Model per Computertrick der Schwanenhals verlängert wird: Eine interaktive Ausstellung in Berlin hinterfragt das Schönheitsbild des Menschen und was heute alles möglich ist. Am Ende versöhnt der Komplimente-Automat die Besucher mit sich selbst.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

"Du bist wieder zu dünn", begrüßt der güldene Schneewittchen-Spiegel Besucher im Museum für Kommunikation in Berlin. Oder auch: "Deine Schönheit kommt von innen". War das nun ein Kompliment - oder das Gegenteil?

Leicht verunsichert begibt sich der Besucher in die vor allem bei jungen Besuchern sehr beliebte interaktive Ausstellung "Bin ich schön?" an der Leipziger Straße. Und Verunsicherung ist auch das Stichwort: Was genau gilt denn nun als schön? Die berühmten Rubensdamen sind nicht mehr so en vogue wie zum Zeitpunkt ihrer Schöpfung. Eher schon ihr Gegenteil, filigrane Mädchen mit dünnen Knien, wie sie nächste Woche wieder über Laufstege und durch U-Bahnen in Berlin marschieren werden. Doch auch dort, bei der internationalen Fashion Week, tut sich was in der Ästhetik. "Curvy is sexy" wird eine Messe heißen, die auf sogenannte Übergrößen und auf üppigere Proportionen bei Frauen setzt.

Wie viel wiegt das Gewicht?

Aber ist das Gewicht, Mantra der Jahrtausendwende, wirklich alles? Worauf kommt es noch an in puncto Schönheit, bei Männern und Frauen, um beim anderen Geschlecht zu punkten, die Karriereleiter schneller zu erklimmen, bei anderen ein erfreutes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern? Ist es wirklich so, dass schöne Menschen es leichter haben im Leben? Die Ausstellung gibt auf diese Fragen nüchterne, wissenschaftliche Antworten, aufgepeppt durch Interaktionsmöglichkeiten.

"Ewige Hits der Biologie" können per Knopfdruck auf Gesicht, Schultern oder Hüfte eines Paares abgerufen werden, dahinter eine kunsthistorische Darstellung von Adam und Eva. Der Besucher lernt: Für Frauen sind und bleiben eine schmale untere Gesichtshälfte, gesunde Haut und leicht verbreiterte Hüften von Vorteil, für Männer die klassischen breiten Schultern, schmale Hüften und eine gewisse Körpergröße. Denn all das wird automatisch mit Gesundheit und der Möglichkeit einer besonders erfolgreichen Fortpflanzung gleichgesetzt.

Im Tierreich besticht der Flamingo die Weibchen durch flammend pinkes Federkleid, so wie der Enterich die Ente durch die Pracht seines leuchtend gelben Schnabels bezirzt. Weibliche Enten sind dagegen unscheinbar grau, um in Ruhe und von Fressfeinden ungestört die Brut aufziehen zu können. Im Tierreich herrscht vorwiegend Damenwahl. Im Gegensatz zum Menschen müssen sich ergo die Männchen aufhübschen, um sich fortpflanzen zu können. Ob es allerdings ausgestopfte Tierpräparate braucht, um das darzustellen, sei mal dahingestellt.

Wie stark sich hingegen vor allem die Weibchen der Spezies Mensch aufhübschen und vor allem, zu welchem Preis, ist ein Thema, das hier nur angerissen wird: 450.000 Tonnen verkaufte Schönheitsmittel für Gesicht und Haare sollen in Deutschland jährlich für makellosen Teint und glänzendes Haupthaar sorgen. Da steht im Museum halt eine Tonne. Den Rest soll man sich denken. Ginge wohl auch schöner.

Eine Stimme wie Harry Potter?

Und die Interaktivität leidet leider an genau der Stelle, wo sie - eigentlich ein guter Ansatz - auch das Hören und Empfinden ansprechen soll. Theoretisch könnte sich der Besucher in das jeweils andere Geschlecht und in andere Altersgruppen hineinversetzen, indem er in kleinen Kabinen über Mikrofon und Kopfhörer die eigene Stimme weiblicher, männlicher, wahlweise nach Harry Potter oder Reich-Ranicki klingen lässt. Doch die Technik versagt an den meisten dieser Stellen. Auch das Gesichtsmorphing-Tool ist, um es höflich auszudrücken, nicht ganz ausgereift.

Es gibt aber andere Gadgets, die funktionieren. So wundert sich eine Besucherin, dass sie entgegen ihren Erwartungen doch keine Model-Maße hat. Denn die sehen vor, dass sie so groß wie ein Mann und so leicht wie eine 14-Jährige wäre, dazu die Hüfte einer 13-Jährigen und die Taille einer Fünfjährigen hätte. Das verdeutlicht die Silhouette des perfekten Models, mit der die Besucherin sich hier messen kann.

Auch ein wahrlich unschönes OP-Video, das sich nur anschauen sollte, wer starke Nerven oder ein wissenschaftliches Interesse daran hat, zeigt, was Millionen von Menschen sich mittlerweile auch in Deutschland antun, um dem aktuellen Schönheitsideal zu entsprechen. Das ist die Stärke dieser Ausstellung: Sie schönt nichts.

Schönheitswettbewerbe gibt es mittlerweile zu Hauf - von "Miss Euter" bis zu "Mister Altersheim" - eine Ansicht aus der Ausstellung "Bin ich schön?". (Foto: Museum für Kommunikation Berlin / Sandra Wildemann)

Gruselige Videos von Miss-Wahlen für Kinder aus den USA, eine Elfjährige als Vogue-Model - beides erinnert eher an Kinderpornographie als an das Streben nach Schönheit. Eine abstruse Schautafel über das Züchten und Beurteilen der perfekten Kuh, dessen Streben neben der absoluten Wirtschaftlichkeit unter anderem auch im Erzielen des Titels "Miss Euter" liegt, macht deutlich, welche Ausmaße der Perfektionierungswahn bei Mensch und Tier angenommen hat.

Das unschöne Model

Noch deutlicher wird die Kritik am ständigen Messen, Vergleichen und Perfektionieren durch einen Film, der die Verwandlung eines handelsüblichen Models in eine Leinwandgöttin zeigt. Im sekundenschnellen Zeitraffer macht das Video den Zuschauern klar, dass eben nicht nur Make-up, Haare und ein bisschen Bildbearbeitung ausreichen. Es zeigt konkret, wie stark die Augen vergrößert, die Gesichtsform manipuliert, der Schwanenhals verlängert, Lippen und Nase fast komplett verändert werden, damit das Gesamtbild den gewünschten Wow-Faktor erzielt. Und es zeigt vor allem: die Verwandlung zurück zum - im direkten Vergleich - dann doch verblüffend normalen Entlein.

"Was für eine Hackfresse", entfährt einem jugendlichen Betrachter denn auch automatisch über das - wohlgemerkt - eigentlich hübsche blonde Model im Normalzustand. Und wir lernen: Im direkten Vergleich mit der schönen neuen Welt der computergenerierten Schönheit sind wir alle hässliche Hackfressen. Darüber zu sinnieren, regt die Ausstellung an. Weshalb sie sich für Schulklassen, in denen Generationen von Kindern mit diesem Überangebot von medial gesteuerter Schönheit aufwachsen, ziemlich gut eignet.

Am Ende wird auch der Normalbesucher nach der Begegnung mit dem bösen Schneewittchen-Spiegel wieder mit sich selbst versöhnt, wenn er aus einem "Komplimente-Automaten" die Botschaft fischt: "Man sollte eine Eiscreme nach Dir benennen." Schöne Idee.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 23. Februar und ist danach in Frankfurt zu sehen. Weitere Infos: http://www.mfk-berlin.de

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: