Auktionen im Netz:Abstrakte Kunst

Herbstauktion von Christie's - Gauguins 'L'homme à la hache'

Bald Geschichte? Christie's-Auktionator Christopher Burge versteigert 2006 in New York einen Gaugin.

(Foto: dpa)

Die Umsätze im Online-Handel sind noch bescheiden, doch die Sparte wächst rapide und verändert die gesamte Branche schon jetzt. Zum Guten, wie alle Beteiligten finden.

Von Peter Laudenbach

Revolutionen können klappen, oder auch nicht. Zu Beginn des Jahres scheiterte das Internet-Unternehmen Auctionata mit dem Geschäftsmodell, Kunst und Antiquitäten online zu versteigern. Das Berliner Start-up, in das Risikokapitalgeber wie Earlybird oder HV Holzbrinck Venture rund 130 Millionen Euro gepumpt hatten, musste Insolvenz anmelden. Dass Mitgründer Alexander Zacke bei den Auktionen selbst verdeckt mitgeboten haben soll, um die Preise in die Höhe zu treiben, verstieß gegen die Regeln des Auktionshandels und bescherte der Neugründung ein Image-Problem. Um überhaupt attraktive Ware anbieten zu können, soll Auctionata, so ein Brancheninsider, Einlieferern überhöhte Verkaufspreise garantiert haben.

Die Insolvenz könnte als neuerliches Indiz dafür verstanden werden, dass der Handel mit hochwertiger Kunst einfach nicht ins Internet passt. Frühere Versuche, etwa Kooperationen von Sotheby's mit Ebay und Amazon, scheiterten schon in den Nuller-Jahren. Beim auf den Kunstmarkt spezialisierten New Yorker Online-Dienstleister Artnet sorgen die seit 2008 veranstalteten Internetauktionen bisher nur für Verluste, 2015 war es ein Defizit von 738 000 Dollar. Die New York Times schrieb vor kurzem, der Kunsthandel sei eine der wenigen Branchen, die "nahezu resistent gegenüber der Bequemlichkeit des Clicks" bleibe.

Internet-Datenbanken machen das Geschäft erstmals auch für Laien transparent

Das könnte ein Irrtum sein. Schon jetzt hat die Digitalisierung den Informationsfluss, den Zugang zu Zielgruppen, das Käuferverhalten und damit die Spielregeln des Kunstmarkts verändert. Dass in Online-Datenbanken wie Artnet oder Artprice die Auktionsergebnisse der letzten Jahrzehnte aus allen großen Auktionshäusern einsehbar sind, sorgt für eine nie da gewesene Markttransparenz. Nach Überzeugung von Jacob Pabst, dem CEO von Artnet, hat das erheblich zum Wachstum des Gesamtmarkts beigetragen.

"Es gibt jetzt mehr Käufer, die sich vorher nicht getraut haben, der Markt ist gigantisch gewachsen", beobachtet er. Einsteiger und junge Sammler müssen nicht mehr fürchten, überhöhte Preisen zu zahlen. Mit wenigen Clicks ist der Wert vieler Werke abrufbar. Allein die Artnet-Datenbank versammelt elf Millionen Auktionsergebnisse. Das senkt Schwellenängste.

Auch ein deutsches Haus erreicht im Netz ein globales Publikum von Interessenten

Noch ist das Online-Segment eine Nische, aber sie ist stabil und sie wächst. Der für seine nüchternen, datenbasierten Analysen branchenweit geschätzte Tefaf Art Market Report bringt in seiner diesjährigen Ausgabe den Einfluss des Internets auf den Kunsthandel auf eine knappe Formel: "It is a game changer."

Bei Christie's, dem umsatzstärksten Auktionshaus der Welt, spielen die Online-Verkäufe noch eine relativ kleine Rolle. 2016 machten sie 67 Millionen Dollar aus, bei einem Gesamtumsatz von 5,4 Milliarden. Doch das Wachstum dieses Segments zum Vorjahr betrug satte 84 Prozent. Auch beim Konkurrenten Sotheby's ist der Trend eindeutig. Die Online-Umsätze erreichten 2016 155 Millionen Dollar, ein Anstieg um 20 Prozent im Vergleich zu 2105.

In Deutschland ist der Anteil der Online-Verkäufe von Kunst und Kunsthandwerk nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von gerade einmal zwei Prozent des Gesamtumsatzes 2008 bis 2014 (die letzte verfügbare Angabe) auf mehr als das sechsfache gestiegen, auf 12,7 Prozent oder rund 200 Millionen Euro. Im globalen Kunstmarkt sieht es ähnlich aus.

Der aktuelle Art Market Report der Art Basel und der UBS, eine gut recherchierte Datensammlung, geht in einer konservativen Schätzung davon aus, dass 2016 etwa neun Prozent des gesamten Volumens im Handel mit Kunstwerken und Antiquitäten online abgewickelt wurden, insgesamt 4,9 Milliarden Dollar und vier Prozent mehr als im Vorjahr.

Mehr als zwei Drittel der für den Tefaf Art Market Report befragten Händler sind überzeugt, dass Anzahl und Bedeutung der Online-Verkaufs-Kanäle und die Höhe ihres eigenen Online-Umsatzes weiter wachsen werden.

Die Hälfte der befragten größeren Galerien gab an, dass etwa ein Zehntel ihrer Verkäufe über ihre eigenen Internet-Seiten stattfinde, wobei ihre Online-Verkäufe allerdings deutlich weniger als zehn Prozent des Umsatzes ausmachen - online werden eher im niedrigeren Preissegment Kunstwerke gehandelt. Laut Daten von Auction Mobility, einem auf Auktionen spezialisierten Software-Provider, kosten rund dreißig Prozent der in den USA online ersteigerten Kunstwerke weniger als 1000 Dollar und nur zwei Prozent mehr als 250 000 Dollar.

Wie die digitale Transformation den Kunsthandel verändert, lässt sich beim Auktionshaus Lempertz beobachten. Mit einem Jahresumsatz von 58 Millionen Euro im vergangenen Jahr ist es eines der größten deutschen Auktionshäuser. Das älteste ist es ohnehin: Das Familienunternehmen wurde 1845 gegründet und wird heute in der sechsten Generation geführt.

Alice und Kilian Jay von Seldeneck leiten die Berliner Dependance. Ihre Haltung zur Digitalisierung ist eindeutig: Sie wollen dabei sein, wenn die Technologie ihre Branche verändert. Als wichtigste Vorteile nennen sie neben der größeren Preis-Transparenz die Möglichkeit, Geschäfte diskreter abzuwickeln, enger mit den Kunden zu kommunizieren und neue Kunden und Einlieferer leichter zu gewinnen.

Was Auctionata versuchte, kann das Traditionshaus schon lange. Lempertz zeigt wie alle größeren Auktionshäuser die zur Versteigerung kommenden Exponate auf der eigenen Website und überträgt die Auktionen dort seit Jahren live. Lag der Schwerpunkt früher bei Gegenwartskunst zu moderaten Preisen, wird heute in jeder Preisklasse online geboten. Besonders in der ostasiatischen Abteilung ist der Anteil der Online-Verkäufe in den letzten Jahren stark gestiegen. "Bei einer unserer letzten Berliner Auktionen kam preußisches Porzellan des 18. und 19. Jahrhunderts zur Versteigerung, da erwartet man nicht unbedingt digital natives als Sammler. Die beiden Top-Vasen haben wir online verkauft, eine Vase für 135 000 Euro, die andere für 45000 Euro. Beide Vasen gingen nach Russland", berichtet Kilian Jay von Seldeneck.

Wer online bietet, muss seinen Reichtum nicht zeigen. Heute ist das vielen lieber

Der russische Sammler war während der drei Auktionen des Tages permanent online und hat öfter mitgeboten. "Der größte Freund des Auktionators ist der Unterbieter, der mit seinem Gebot den Preis in die Höhe treibt", freut sich Jay von Seldeneck. "Wir sehen bei Auktionen, wie sich die Besucher einer Plattform gegenseitig überbieten. Bei einem telefonischen Gebot muss man sich für bestimmte Lose anmelden. Online kann man spontan auf alle Lose bieten und ist für die konkurrierenden Sammler weniger durchschaubar." Das schätzen erfahrene Händler und Sammler, die ihre Interessen gerne kaschieren, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf die Werke zu lenken, die sie kaufen wollen. Das könnte andere Bieter animieren und den Preis in die Höhe treiben.

"Die Möglichkeit, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, ist für potenzielle Käufer bares Geld wert. Das macht Online-Auktionen attraktiv", erzählt Alice Jay von Seldeneck. Der Tefaf -Report nennt einen weiteren Grund dafür, dass viele Sammler lieber im Verborgenen des Internets bleiben, als sich bei Auktionen zu zeigen: In diesen politisch unruhigen Zeiten stellen sie ihren Reichtum ungern zur Schau.

Dass der Online-Handel bei Lempertz besser als bei Auctionata funktioniert, liegt unter anderem daran, dass er hier das traditionelle Geschäftsmodell ergänzt, statt es zu ersetzen. "Wir haben nicht verstanden, weshalb Auctionata so viel Geld von Investoren einsammeln konnte. Das war ein Me-Too-Produkt, weder skalierbar noch disruptiv", sagt Kilian Jay von Seldeneck mit einer für die diskrete Branche bemerkenswerten Offenheit. "Online-Auktionen machen andere großen Häuser auch, aber mit sehr viel professionelleren Apparaten und der Möglichkeit, die Werke vorab im Original zu besichtigen. Auctionata hat als Einlieferer die falschen Leute angelockt, indem die Überprüfung der Exponate durch Experten möglicherweise etwas oberflächlicher war."

Auktionshäuser konkurrieren um Käufer, aber vor allem konkurrieren sie um erstklassige Einlieferungen. Dafür, dass hochkarätigen Werke bei ihnen landen, ist das Renommee entscheidend, das Lempertz oder, ein paar Nummern größer, Sotheby's und Christie's, genießen. Das Internet sorgt für neue Möglichkeiten - etwa durch Suchmaschinenoptimierung. Bei Lempertz zum Beispiel kümmern sich vier Mitarbeiter nur um Social Media Marketing. Wer bei Google zum Beispiel den Namen Otto Dix oder Max Liebermann eingibt, soll auf Lempertz stoßen, am besten mit einem Gemälde, das hier zu einem hohen Preis verkauft wurde. So gewinnt man neue Einlieferer wertvoller Bilder.

Das sind erst die Anfänge, sind die Jay von Seldenecks überzeugt. Als digitales Beiboot und Versuchsballon haben sie 2013 zusammen mit dem Werber und Groß-Sammler Christian Boros "Artusiast" gegründet, eine Internet-Plattform, auf der sie Kunstwerke zu Preisen zwischen 40 und über 100 000 Euro verkaufen - schnell, unkompliziert, transparent in der Preisgestaltung. Die Entwicklung dort nennen sie bei wachsenden, sechsstelligen Jahresumsätzen mit Kunsthändler-Diskretion "sehr zufriedenstellend."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: