Auktionen auf hoher See:Schwimmende Galerien

Reedereien holen neuerdings Kunst unterschiedlicher Güte an Bord. Wo früher Reproduktionen hingen, prangen heute Originale. Das ist vor allem ein einträgliches Geschäft.

Von Michael Wolf

Schwarzer Rumpf, weiße Aufbauten, rote oder gelbe Schornsteine - so präsentierten sich die ersten Oceanliner. Über 100 Jahre lang waren sie die einzigen regelmäßigen Verbindungsmöglichkeiten für Menschen zwischen den Kontinenten und auch immer Aushängeschilder für die Kunststile der entsprechenden Zeit, von außen wie von innen.

Die goldene Ära der luxuriösen Schiffe der Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts ist besonders gut dokumentiert im "Escal'Atlantic", einem sehenswerten Museum, das in den ehemaligen deutschen U-Boot-Bunkern im französischen St. Nazaire eingerichtet ist. Vor allem Objekte der legendären "French Line" sind dort zu sehen, etwa Lack- und Wandmalereien zeitgenössischer Künstler von der Normandie und der France (Jean Dunand), ein kompletter Musiksalon der Liberté, Glasmalereien von Auguste Labouret, Glaskreationen von René Lalique oder fein gearbeitete Wandkoffer von Vuitton.

Schmückten früher oft billige Reproduktionen die Kabinen, sind es heute oft Originale

Kunst an Bord war von jeher ein wichtiges Thema. Sie verkörperte den Geist der Zeit, den Chic der jeweiligen Reederei.

Mit der Demokratisierung der Kreuzfahrt wurden schnell andere (Kunst)-Töne angeschlagen. Der amerikanische Schiffsarchitekt Joe Farcus, der unter anderem den charakteristischen roten Flügelschornstein für die Carnival-Schiffe entworfen hat, steht für den Einzug von schrillen Farben, überdimensionalen Skulpturen und Gemälden - Las Vegas hielt Einzug an Bord. "Die amerikanischen Gäste haben wenig Urlaub - sie wollen ihre Zeit nutzen und sofort in ein neues Umfeld eintauchen, um abzuschalten", erklärte Farcus. Noch heute betreut er viele Designprojekte bei Costa Crociere, einer Tochter von Carnival Cruises, schafft mit innovativen Raumkonzepten "neue Traumwelten", auch auf dem neuen Flaggschiff Costa Diadema. Mittlerweile hat er sich dem europäischen Geschmack angepasst, versteht sich auch auf die leisen Töne. Nur die Idee ist geblieben: die Passagiere aus ihrer gewohnten Umgebung zu lösen. Denn das kann Kunst.

Die Reedereien haben erkannt, dass Kunst auch neue Kunden auf die Schiffe bringen kann, die bis jetzt keine Kreuzfahrt-Fans waren.

Und so kommunizieren sie es auch: Im Unterhaltungsprogramm auf Kreuzfahrtschiffen finden sich vermehrt Kunstkurse, Vorträge von Experten, Kunsthistorikern, Treffen und Workshops mit Künstlern oder auch Kunst-Themenreisen. Dazu werden an Bord Tausende Kunstwerke, Gemälde, Design-Ideen oder Skulpturen präsentiert. Wo früher in den Kabinen billige Reproduktionen von bekannten Impressionisten hingen, prangen heute oft Original-Lithografien oder Gemälde von jungen Kreativen, von denen man in der Szene gerade spricht.

Richtig nachgerechnet hat es wahrscheinlich noch niemand. Aber der geschätzte Gesamtwert von Kunstgegenständen, die sich gegenwärtig an Bord der mehr als 300 Kreuzfahrtschiffe auf den Weltmeeren befinden, dürfte an die Milliardengrenze gehen.

Allein die amerikanische Reederei Royal Caribbean International gab vor Kurzem an, ihre Schiffe mit Kunst im Wert von insgesamt mehr als 120 Millionen Dollar ausgestattet zu haben. Sei es die überdimensionale Giraffe mit dem Schwimmreifen auf der neuen Anthem of the Seas oder der farbige Bär auf dem Schwesterschiff - die Open-Air-Eyecatcher täuschen nicht über die zahllosen Gemälde oder Werke im Bauch der Schiffe hinweg.

Etwa drei Millionen Euro hat Tui Cruises allein in die Kunstsammlung auf der Mein Schiff 4 investiert. Einige der Exponate bekannter zeitgenössischer Künstler, darunter die junge deutsche Konzeptkünstlerin Jorinde Voigt oder der österreichische Maler Jacob Gasteiger, sind auch Auftragsarbeiten. Eine eigene App informiert über das jeweilige Ausstellungsstück und den Künstler. In der Kunstgalerie an Bord können die Werke erworben werden - Udo Lindenberg, Otto Waalkes oder Volker Kühn gehören zu den Top- Sales, die zwischen 250 und 12 000 Euro angeboten werden.

Bei Aida ist die Bandbreite der Verkäufe größer: Ein Unikat von James Rizzi wechselte für stolze 155 000 Euro während einer Auktion den Besitzer, dafür liegt der Startpreis bei einigen Objekten schon bei 20 Euro. Die etwa 10 000 Kunstwerke auf der Aida-Flotte werden in eigener Regie kuratiert, als sicher bekanntester internationaler Künstler wurde im Juli der argentinische Cartoonist Guillermo Mordillo eingeladen, der mit seinen Knollennasen-Karikaturen weltweit bekannt wurde.

Der Wert der Kunst an Bord des Luxusschiffes Europa 2 befindet sich nach Angaben der Reederei in einem einstelligen Millionenbereich. Gerhard Richter, David Hockney, Hans Hartung - auf die Liste der Künstler ist mit prominenten Namen bestückt. Zusammengestellt durch internationale Kuratoren sollen die Werke kein "dekoratives Element" der Architektur sein, sondern Teil des Reiseerlebnisses. Einige der Werke können in der bordeigenen Galerie erworben werden, Auktionen gibt es dagegen nicht.

Ganz im Gegensatz zu fast allen amerikanischen Reedereien. Auf feinstem Papier wird dort zum Champagner-Empfang zur Vorstellung der neuen Kunst-Kollektion gebeten. Die angebotenen Werke decken fast alle Geschmäcker ab, von Mickey Mouse bis Picasso. Im Minutentempo wird die kurz zuvor aufgebaute Galerie von professionellen Auktionatoren abverkauft. Über die mit Kunstverkäufen an Bord pro Jahr generierten Umsätze mochte sich auf Anfragen keine Reederei äußern.

Gastronomisches Cabaret

Dinieren vor der Show - das ist alte Tradition bei den großen Cabarets in Paris. Und auch an Bord einiger Kreuzfahrtschiffe ist dieser Trend zu beobachten: das "Dinner Spectacle" kommt wieder in Mode. Ansatzweise wurde schon immer in jedem großen Speisesaal auch Show gemacht - sei es bei der beliebten Parade oder der "O-Sole-Mio"-Gesangseinlage der Kellner, vorzugsweise beim Gala-Dinner. Aber jetzt wird auch großes Theater zum Menü geboten, allerdings fast immer im Zuzahlungsprogramm: Bei NCL wurden auf den neuesten Schiffen Lounges speziell zum Dinieren während einer Zirkus- (mit eigenem Zelt) oder Magie-Show konzipiert, wobei die Gäste auch mit in das Geschehen einbezogen werden. MSC will auf seiner nächsten Schiffsklasse den Cirque du Soleil mit seinen weltberühmten Akrobaten auftreten lassen, nachdem die Gäste direkt vor Ort speisen konnten. Auf den Disney-Schiffen erwachen während des Essens Zeichentrickfiguren zum Leben - auch Mickey Mouse lässt sich zwischen den Tischen sehen. Und beim interaktiven Krimidinner von TUI Cruises gehen die Gäste zwischen den Gängen mit Schauspielern auf Mörderjagd - und finden ihn meist zum Dessert.

Michael Wolf

Eine Journalistin der Huffington Post empfand solche Kunstauktionen an Bord vieler Schiffe als "the worst place on a cruise ship". Manche der Passagiere hätten so in wenigen Minuten viel Geld für wenig Wert investiert.

Mit ihrem signifikanten Aussehen waren die Oceanliner einst selbst Kunstwerke

Ihre Empfehlung: das gewünschte Bild fotografieren und einen lokalen Kunsthändler bitten, etwas Ähnliches zu finden. Oder einfach ein schönes Landschaftsfoto während der Cruise zu machen und es gut einrahmen zu lassen - die ihrer Meinung nach beste und preiswerteste Kunstanlage mit obendrein hohem Erinnerungswert.

Mit ihrem signifikanten Aussehen sind seinerzeit die alten Oceanliner selbst zum Kunstwerk geworden und auf zahllose Gemälde gebannt. Aber "Kunst am Bau", also die Bemalung der Bugflächen als Teil der Corporate Identity, gibt es übrigens erst seit wenigen Jahren. Erst waren es italienische Fähren, die mit ihren überdimensionalen Bemalungen von Figuren aus Zeichentrickfilmen auffielen. Eines der augenfälligsten Beispiele für die Verbindung von Kunst und Firmenidentität ist sicher der rote Kussmund von Aida, ein Werk des Rostocker Künstlers Feliks Büttner. Aber auch andere Cruise Lines wie NCL oder Star Cruises lassen mittlerweile ihre Megaschiffe mit riesigen Malereien von Skylines, Seejungfrauen oder Meerestieren verzieren. Eine neue Art von Galionsfiguren.

Informationen zum Museum Escal'Atlantic in St. Nazaire: www.visit-saint-nazaire.de/page/2/12

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