Augsburger Brechtfestival:"Jeder Satz kann tödlich treffen"

Drei Schauspieler über ihre Beziehung zu dem Dichter der Stadt

Von Sabine Reithmaier, Augsburg

Reicht es Augsburg endgültig von Bert Brecht? Oder will ihn vielleicht nur Joachim A. Lang beerdigen? Er ist der künstlerische Leiter des Brechtfestivals, das an diesem Freitag beginnt, und hat sich jedenfalls den "Nachruf auf Brecht" (Sonntag, 6. März, 16 Uhr) ausgedacht. Die Schauspieler Meret Becker, Dominique Horwitz und Thomas Thieme, die er dazu eingeladen hat, einen persönlichen Blick auf Brecht zu werfen, haben allerdings nicht vor, den Dichter im Goldenen Saal endgültig zu Grabe zu tragen.

Es sei absolut nicht die Zeit, um sich von ihm zu verabschieden, sagt Horwitz. "Er ist aktueller denn je." Und während Thieme darüber nachdenkt, ob der Titel deshalb gewählt wurde, weil es sich um die vorletzte Veranstaltung des Festivals und damit möglicherweise auch um die vorletzte des künstlerischen Leiters handelt, hat Meret Becker gleich einen neuen Namen parat. "Ruf Brecht", schlägt sie vor. Schließlich sei es schade, dass der Dichter nicht mehr um Rat gefragt werden könne, gerade jetzt, wo die Welt so bewegt sei und wir uns in vielen Kriegen gleichzeitig befänden. Daher kein Nachruf, sondern lieber "Ruf Brecht".

Meret Becker hat mit Brechts Liedern ihre Kindheit verbracht. "Er ist neben Erich Kästner mein absoluter Lieblingsdichter." Sie erzählt davon so begeistert, dass man nur darauf wartet, dass sie sofort das "Einheitsfrontlied" anstimmt. "Mag ich total gern", sagt sie. Mit 16 brach die Tochter der Schauspielerin Monika Hansen, Stieftochter des Schauspielers Otto Sander und Schwester Ben Beckers die Schule ab, um Schauspielerin zu werden. Schon früh begann sie auch zu singen. "Doch an Brecht habe ich mich anfangs nicht rangewagt", sagt sie. Aber da sie am liebsten brüchige, vielschichtige Lieder singt, erreichte sie schnell das Ende des relativ begrenzten Chanson-Repertoires. "Irgendwann habe ich mich dann getraut." Auch weil die Musik so wunderschön sei.

Thomas Thieme ist ebenfalls mit Brecht groß geworden. "Das blieb in der DDR nicht aus." Der 67-Jährige kommt aus Weimar, und in Weimar gibt es natürlich zunächst einmal vor allem Goethe. "Wir hatten den intensivsten Deutschunterricht, den man sich vorstellen kann", erinnert sich Thieme. Von Goethe kam man schnell auf Brecht, der vor allem als ideologischer Dichter vermittelt wurde. Seinen Beruf lernte Thieme an der Staatlichen Schauspielschule in Ost-Berlin. "Ich bin ganz streng im Brechtschen Sinn ausgebildet." 1984 verließ er ganz legal die DDR, nachdem er allerdings drei Jahre lang wegen seines Ausreiseantrags schikaniert worden war. Die Indoktrinierung mit Brecht verübelte er dem Dichter nie. "Dafür ist er einfach zu gut", sagt Thieme. "Er trifft den Ton, und zwar auf den Punkt."

Genau diesen richtigen Ton mochte Dominique Horwitz früher gar nicht. Er konnte Brecht nicht ertragen, als er jung war. "Ich traue grundsätzlich Menschen nicht, die wissen, wo es lang geht", sagt Horwitz. Er ist 1957 in Paris geboren. Seine jüdischen Eltern hatten Deutschland wegen der Nazis verlassen. Erst 1971 kehrte die Familie nach Berlin zurück. In seiner Jugend sei ihm das Leben einfach und durchschaubar erschienen, sagt der Schauspieler. Weltpolitisch gab es zwei Blöcke, "politisch warst du entweder CDU oder SPD". Die Brechtsche Selbstsicherheit löste nur ein großes Unbehagen in ihm aus. "Das hatte für mich was Verlogenes."

Aber inzwischen sei alles so kompliziert geworden, so undurchschaubar, kaum mehr zu begreifen, unmenschlich. "Eine Wirrwarr-Welt, in der wir leben", sagt Dominique Horwitz und seufzt. Brecht liefere einfache Sentenzen, Denkanstöße: Sollten wir nicht vielleicht solidarischer sein, für mehr Gerechtigkeit kämpfen, mehr Mitgefühl haben? "Der gute Brecht hilft nicht, um sich in dem Dschungel zurechtzufinden. Aber er hilft, damit man sich nicht mehr so verloren und einsam fühlt."

Horwitz plant zu lesen und vier Songs aus der "Dreigroschenoper" zu singen, für ihn ein Meisterwerk, vor allem die Lieder, die die Substanz, die Seele der Oper darstellten. Meret Becker will auf jeden Fall "Mutter Beimlein" singen. Und es wagen, ihr "absolutes Weltlieblingsgedicht" vorzutragen. Schweren Herzens, behauptet sie, schließlich habe sie sich das noch nie getraut. Welches das ist, verrät sie nicht, bekundet nur, dass sie am liebsten die Lieder mag, in denen Brecht Lebenssituationen beschreibt und das Ende offen lässt. "Mag ich lieber als die, in denen er eins zu eins ausspricht, was er von einem will." Und natürlich wird sie mehrere Brecht-Komponisten vorstellen, neben Kurt Weill und Hanns Eisler auch Paul Dessau.

Und Thieme, der zuletzt in einer ZDF-Dokumentation über den gefallenen FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß die Titelfigur spielte? "Ich singe nicht öffentlich", wehrt er erst einmal ab. "Außer wenn es nicht anders geht wie im 'Baal'." Daher werde er ein oder zwei Lieder daraus machen, ansonsten aber Texte lesen. Thieme hält Brecht für einen der größten Lyriker des Jahrhunderts. Es sei fast egal, welches Gedichte man von Brecht nehme - "ich präferiere nichts". Die Liebesgedichte einzigartig gut, die Lehrgedichte intelligent, sie würden die gesellschaftlichen Verhältnisse grandios durchdringen. "Brecht kannte sich einfach aus in der Gesellschaft und war in der Lage, das auch noch in dichterisches Wort zu fassen."

Thieme, bereits zum vierten Mal in Augsburg zu Gast, war während der vergangenen Festivals bereits mit zwei Inszenierungen vertreten: "Baal" und "Das Leben des Galilei" . Dieses Mal verknüpft er beide und bringt sie als "Brecht XXL" ungekürzt auf der Bühne (1. März, 19 Uhr). Ziemlich anstrengend für ihn: Nicht so sehr wegen der Länge - Baal dauert 40, Galilei 50 Minuten - sondern wegen der Intensität, mit der Thieme spielt. Sich bloß hinstellen und die Texte vorzutragen, ist nicht seins. "Da kannste auch zu Hause bleiben." Das Publikum übrigens auch, da wäre Lesen dann einfach besser. "Ich habe die Latte hochgehängt, was die Emotion der Texte betrifft."

Baal, Brechts erste große Figur, ist dabei noch die einfachere Rolle, schließlich besteht Baal nur aus Emotion. Aber im "Galilei" wird argumentiert - und das in einer hitzigen Atmosphäre. Es geht um Leben und Tod, genauer um das Leben des Galilei. "Die Gespräche, die da geführt werden, das sind keine Plaudereien im Fauteuil, jeder Satz kann Galilei tödlich treffen." Thieme ist es wichtig, herauszuarbeiten, wie dünn das Eis ist, auf dem sich einer bewegt, der der Wahrheit zur Geltung verhelfen will. "Hochaktuell", findet er. Ein Mann, der ein Fernrohr hat und zu den anderen sagt, gucken Sie durch, dann sehen Sie, was sich auf dem Mond abspielt. Die aber lehnen ab, weil sie an Aristoteles glauben und deshalb gar nicht erst durchschauen wollen. "Das ist doch grotesk." Und erinnert ihn fatal daran, dass es derzeit Menschen in Deutschland gibt, die sich weigern, durchs Fernrohr zu schauen. Sonst könnten sie ihre falschen Thesen nicht mehr weitervertreten.

Brechtfestival Augsburg, 26. Februar bis 6. März, Infos unter www.brechtfestival.de

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