Auftakt ihrer Deutschland-Tour:Adele versprüht in Berlin Glamour für alle

Adele beim RTL-Jahresrückblick 2015

Die Sängerin Adele beim RTL-Jahresrückblick "2015! Menschen, Bilder, Emotionen".

(Foto: Getty Images)

Die Sängerin spielt ein intimes Konzert, gibt sich verbindlich und bescheiden. Adeles Botschaft: Jeder ist ein Star.

Konzertkritik von Jan Kedves, Berlin

Ihr Hit "Hello" war wochenlang die Nummer eins in unzähligen Ländern, das dazugehörige Album "25" hat sich fast 20 Millionen Mal verkauft. Beim Tourauftakt in Berlin brachte Adele nicht nur wie gewohnt ihre Stimme, sondern auch das Publikum zum Strahlen. Es war eine intime und gerade wegen ihrer reduzierten Mittel spektakuläre Show. Eine Konzertkritik mit den fünf wichtigsten Aspekten des Konzerts.

Wechselt Adele wirklich kein einziges Mal das Kostüm?

Nein, kein einziges Mal. Das Programm dauert zwei Stunden, es führt durch die Hits von Adeles Alben "19", "21" und "25" und lässt selbstverständlich auch "Skyfall", ihren superdramatischen James-Bond-Song, nicht aus. Adele singt all dies in ein und demselben schwarzen, bodenlangen, hochgeschlossenen, etwas tantig wirkenden, aber sehr glamourösen, weil komplett mit Strass besetzten Showkleid. Wie viele Sicherheitskopien es davon backstage wohl gibt? Adele wird wohl kaum jeden Abend in dasselbe Kleid steigen, es muss doch vom Vorabend noch sehr verschwitzt sein?

So oder so: Wer denkt, Adele wäre einfach nur zu faul zum Umziehen, der irrt. Man soll sich bei Adele auf die Stimme konzentrieren, und von der würden ständige Kostümwechsel - wie sie in Shows von Madonna, Beyoncé oder Lady Gaga obligatorisch sind - nur ablenken. Abgesehen davon illustriert das Kleid Adeles Erfolgsrezept: Bescheidenheit und Verbindlichkeit. Denn es bringt nicht nur Adele zum Strahlen, sondern - dank der Scheinwerfer, die auf sie gerichtet sind - auch ihr Publikum. Prinzip Diskokugel: Glamour für alle! Oder jedenfalls für alle, die zwischen 75 Euro (regulärer Preis) und 1400 Euro (Schwarzmarktpreis) bezahlen konnten.

Wenn Adele sich schon nicht umzieht, dann ist vermutlich der Rest der Show sehr spektakulär?

Auch nicht, beziehungsweise: spektakulär mit reduzierten Mitteln. Adele hat ein zwanzigköpfiges Ensemble mitgebracht, Streicher, Bläser, Background-Sängerinnen, Gitarristen und so weiter. Sie sind auf einer terrassierten Bühne arrangiert, die von einem beleuchteten, vierzig mal fünfzehn Meter großen Rahmen umschlossen wird. Ein riesiger, aufgeblasener Schminkspiegel!

In diesen Schminkspiegel hinein werden zu Beginn in etwa dreihundertfacher Vergrößerung Adeles schwarzweiße Katzenaugen projiziert, betont mit dickem Eyeliner und künstlichen Wimpern - so kennt man sie vom Cover des inzwischen fast 20 Millionen Mal verkauften "25"-Albums. Trotz der gigantischen Dimensionen schreit hier alles: Intimität! Jeder der 18 000 Fans soll sich fühlen, als sitze er mit Adele in ihrer Garderobe und ließe sich von ihr kleine Witzchen erzählen.

Witzchen erzählt Adele sehr gerne. Vermutlich auch, um zwischen den strapaziösen Songs ihre Stimmbänder mit Gegacker ein bisschen zu lockern. "Tanzt ihr hier in Berlin nicht alle gern im Berghain zu Techno?" Gacker, gacker, gacker. Zwischendurch singt Adele im Regen, ohne nass zu werden, und am Ende blasen Konfettikanonen kleine weiße Zettelchen in die Halle. Auf ihnen steht in Adeles Schreibstift: "We could have had it all" - die Zeile aus ihrem Hit "Rollin' In The Deep". Wir hätten alles haben können.

Hat Adele auch wirklich alles gegeben?

Oh ja, und wie! Tricks wie Playback, Auto-Tune oder andere Tonhöhenkorrektur-Programme können im Grunde unmöglich involviert gewesen sein, denn der eine oder andere Ton lag dann doch ein paar Nuancen daneben. Man hat schon lange keine große Arena-Pop-Show mehr gesehen, die so um eine einzelne Live-Stimme herum konzipiert und auf diese fokussiert war.

Das führt auch zu tollen Beobachtungen, die man etwa bei einem Madonna-Konzert nie machen könnte: Adele scheint ihre beeindruckenden melismatischen Stimmmanöver durch körperliche Impulse anzutriggern. Sie ballt ihre Faust, als wolle sie ihre Stimmbänder zusammenquetschen, und sie gibt ihrem Hinterkopf einen Ruck nach vorn, was ein dramatisches "Drrrrrengg!" produziert. Vermutlich, weil der Ruck tief in Adeles Kehle ihre Stimmbänder, an denen ja schon mal operiert werden musste, zum Flattern bringt. Man stellt sich das vor wie bei den Kehllappen einer Henne, oder wie bei einem Tennisnetz, das ein bisschen zu locker gespannt ist: Drrrrreng!

Wie war das Publikum?

Sehr global. Menschen aus Tottenham, Ecuador, Neuseeland, Helsinki, Glasgow, Los Angeles, Brasilien, und natürlich viele Menschen aus Berlin. Adele fragt all diese Orte einzeln ab und stößt jedes Mal, wenn aus dem Publikum ein "Yeah!" zu ihr herüber hallt, ein überraschtes "Oh, really!?" aus. Als könne sie selbst kaum glauben, dass Berlin eine so internationale Stadt ist oder dass die Menschen extra für sie so weit angereist sind.

Abgesehen davon: Viele haben sich für Adele so schick gemacht, als würden sie in die Philharmonie gehen - vermutlich, weil es sich für sie so anfühlt, als würden sie in die Philharmonie gehen? Auch auffällig: Es sind viele Familien da. Teenage-Töchter und ihre Väter liegen sich in den Armen und brüllen gemeinsam "When We Were Young". Das lässt an die jüngste Studie des Sinus-Instituts denken, nach der Teenager heute gerne "so sind wie alle", also auch wie ihre Eltern, die ja eigentlich ganz cool sind und einen ganz coolen nostalgischen Musikgeschmack haben.

Und was will uns Adele mit ihrer Show sagen?

Nicht viel eigentlich. Einfach nur: Jeder ist ein Star. Jeder hat das Recht darauf, von einem Strasssteinchen aus Adeles Showkleid angeblinkt zu werden, und jeder hat das Recht darauf, dass sein Leben präsentiert wird, so wie Adele ihr eigenes Leben in ihren Alben präsentiert. Das heißt: Jeder hätte theoretisch auch das Recht darauf, seine alten Kinderfotos hervorzukramen, sie bei Adele abzugeben und sie dann - wie Adeles Kindheitsfotos - auf die riesige Leinwand in den gigantischen Schminkspiegel hineinprojizieren zu lassen.

Ja, wir waren alle mal jung, vielleicht haben wir auch alle mal - wie Adele - im Sommer an einem Strand auf einer weißen Bulldogge gesessen und mit Zahnlücke in die Polaroidkamera gegrinst. Und jetzt fühlen wir uns vielleicht auch schon ein bisschen alt oder werden jedenfalls eines Tages alle alt sein. Das macht uns zu Menschen, zu Menschen wie Adele. Wer daran etwas auszusetzen hätte, wäre wohl ein Unmensch. Also hat niemand daran etwas auszusetzen. Adele forever!

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