Auftakt der Filmfestspiele Venedig:Zwischen Selbstironie und Geltungssucht

Szene aus "Birdman"

Magisch und poetisch: Szene aus "Birdman".

(Foto: Twentieth Century Fox)

Mit "Birdman" eröffnet Alejandro González Iñárritu die Filmfestspiele von Venedig. Ex-Batman Michael Keaton spielt einen abgehalfterten Star des Superheldenkinos. Manches daran ist grandios.

Von Susan Vahabzadeh

Festivaleröffnungsfilme sind ein eigenes Genre. In den vergangenen Jahren zeigen sie ein wiederkehrendes Merkmal, das aktuell auch "Birdman" hat - man könnte sagen, dass es da um vorgespiegeltes amerikanisches Star-Kino geht.

Da hat man die Hollywoodstars dann auf dem roten Teppich, muss sich den bösen Mächten der Studios aber nicht beugen. So ein Film war "Gravity", der voriges Jahr Venedig eröffnete, und "Grand Budapest Hotel", mit dem man in Berlin loslegte. Auch "Birdman" hat Stars zu bieten: Emma Stone, Edward Norton und Michael Keaton, der Ex-Batman, der die Hauptrolle spielt.

Keaton und das Venedig-Festival passen gut zusammen. Beide sind in die Jahre gekommen, bei beiden ist der Glanz ein wenig ermattet - aber man weiß nie so recht, ob ein bisschen von der magischen Macht nicht doch noch da ist. Man könnte sich also gut vorstellen, dass Keaton vielleicht ein wenig durch den Nachthimmel über dem Lido schwebt und über dem stillgelegten, vor sich hin rottenden Hotel Des Bains seine Runden dreht.

Der Mexikaner Alejandro González Iñárritu konkurriert mit "Birdman" um den Goldenen Löwen, zusammen mit Regisseuren, von denen auch einiges zu erwarten ist: Andrew Niccol ("Gattaca") zeigt "Goodwill", Fatih Akin ist mit seinem Armenien-Film "The Cut" dabei, Xavier Beauvois ("Von Menschen und Göttern") mit "La rançon de la gloire", Abel Ferrara mit "Pasolini". Ein würdiger Eröffnungsfilm ist "Birdman" auf jeden Fall - der ganz große Wurf ist es dann aber doch nicht.

Iñárritu ist ein großer Szenen-Regisseur - es gibt Momente in seinen Filmen "21 Grams" und "Babel", die unvergesslich sind, in letzterem beispielsweise, wenn Brad Pitt mit Cate Blanchett auf dem Boden einer marokkanischen Hütte sitzt und Angst hat, dass sie sterben wird. Iñárritu will aber auch immer ein bisschen viel - den ganz großen Kontext.

Er braucht auf jeden Fall Selbstironie

Hier geht es nun um Schauspieler, ihre Träume und ihre Egos - nur was die urgewaltigen Naturaufnahmen damit zu tun haben, die er dazwischen einstreut, bleibt ein wenig diffus. Vor allem hat er sich sein Unwohlsein am dem großen Hollywood-Betrieb von der Seele gefilmt.

Ein abgehalfterter Blockbuster-Star, der seinen Superhelden-Ruhm lang hinter sich gelassen hat und nun am Broadway den Intellektuellen herauskehren möchte, während alle in ihm nur den alten "Birdman" sehen - das ist die Rolle, die Michael Keaton hier spielt. Dafür braucht er auf jeden Fall schon mal Selbstironie.

Die Superkräfte haben sich magisch auf diesen Mann übertragen

Dieser Riggan Thomson sitzt in einem schäbigen Theater fest, die schmuddeligen Wände versteckt er hinter den Plakaten seiner größten Erfolge, seine Tochter (Emma Stone) ersetzt ihm die Assistentin, er sehnt neue Höhenflüge herbei - für seine Karriere und seine Selbstwahrnehmung.

Er hat, eigenhändig, eine Geschichte von Raymond Carver adaptiert, "What we talk about when we talk about love". Fragmente dieses Stücks im Stück sieht man immer wieder, aber es ist dann tatsächlich nicht so wichtig, was genau Carver da erzählt: Riggan hat sich für diese Geschichte entschieden, weil Carver ihn ermutigt hat zu spielen, als er noch ganz jung war, mit einem hingekritzelten Lob auf einer Cocktail-Serviette.

Von Liebe versteht Riggan nicht viel. Einmal sagt seine Exfrau, die er in die Flucht geschlagen hat und die doch zu ihm hält: Du kannst nicht unterscheiden zwischen Liebe und Bewunderung.

Der Birdman, seine große Erfolgsfigur, ist der Dämon, der seine Seele bewohnt - er sieht ihn und spricht mit ihm. Ein bisschen haben die Superkräfte sogar auf Riggan abgefärbt. Er kann Gläser verrücken. Und fliegen. Und Scheinwerfer abstürzen lassen. Der Schauspieler, den er als seinen Gegenpart engagiert hat, ist ganz schrecklich, wird dann prompt fast erschlagen - und muss ersetzt werden. Riggan engagiert Mike Shiner (Edward Norton). Und damit gehen seine Probleme erst richtig groß.

Denn Mike Shiner ist brillant, viel besser als Riggan. Riggans Tochter findet ihn toll. Und er trägt nicht diese Last der Superhelden-Vergangenheit - die Leute nehmen ihn ernst. Da sitzt eine Kritikerin in einer Bar neben dem Theater, jedes Mal, wenn Mike Shiner und Riggan dort auftauchen, von der Sorte, die ein Theaterstück totschreiben können. Sie verehrt Shiner - und sie ist nicht wirklich eine widerliche Erscheinung aus der bösen Medienwelt: Denn Iñárritu zeigt uns immer wieder, wie recht sie hat.

Manches an diesem Film ist einfach grandios. Beispielsweise das Zusammenspiel von Norton und Keaton. Norton ist ja tatsächlich einfach ein großartiger Schauspieler, einer, der alles spielen kann, laut oder leise, böse, charmant, fragil. Michael Keaton dagegen ist keiner, der einen ganzen Saal in Bann schlagen kann - aber auch so einen muss man ja erst mal glaubwürdig verkörpern können. Und überhaupt hat "Birdman" eine ganze Reihe von Szenen, die für sich genommen wunderschön sind - manche magisch und poetisch, andere spektakulär. Aber finden sie zusammen?

Szenen voller Poesie

Dazu bleibt dann zu viel in der Schwebe. Da ist die Nachkriegs-Deko auf Riggans Bühne, die nur wenig Sinn ergibt - so alt war Carver nun auch wieder nicht. Oder Iñárritus Spielereien mit dem Schnitt - er hat "Birdman" nämlich zum Teil so gedreht, als wäre es eine einzige, ewige Kamerafahrt. Was ganz hübsch ist, aber auch sinnlos - denn die Geschichte spielt nicht in Echtzeit. Warum also sollte sie nicht geschnitten sein? Das wirkt dann ein wenig wie die beliebig durcheinandergewirbelte Chronologie von "21 Grams".

Die Szenen voller Poesie, wenn Keaton einfach abhebt, den Boden der Tatsachen verlässt und in den Himmel über Manhattan entschwebt, die haben ihren Reiz, nur wirkt der magische Realismus hier ein bisschen - bemüht. So, als gehöre er für lateinamerikanischer Künstler einfach zum guten Ton.

Diese Szenen sind für sich genommen wunderschön - doch zu Riggans Welt aus Geltungssucht und Selbstbeweihräucherung wollen sie nicht recht passen. Es ist eben nicht so wie mit der schönen Remedios in Gabriel García Márquez' "Hundert Jahre Einsamkeit", die eines Tages beim Wäscheaufhängen davonschwebt.

Nicht einmal Gott hätte sie aufhalten können, hat Márquez über diese Szene einmal gesagt. Bei Riggan Thomson wird man das Gefühl nicht los, ein Anruf von seinem Agenten würde genügen, und die Erde hätte ihn wieder.

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