Aufarbeitung von 9/11 im Comic:Superhelden-Dämmerung

Wenn der Ernstfall eintritt: Die Zerstörung ganzer Städte oder gar von Planeten war schon lange ein Teil der Phantasiewelt in amerikanischen Comics. Doch als die Realität mit dem 11. September 2001 tatsächlich apokalyptisch wurde, verunsicherte dies auch die Comic-Autoren: Bis dahin waren ihre Superhelden dem wirklichen Leben stets voraus - seit 9/11 hinken sie der Realität hinterher.

Daniel Wüllner

Die wahren Helden vom 11. September sind nicht super. Ihre Kräfte gleichen denen von Menschen, sie tragen Uniformen und leben in der Realität. Sie arbeiten als Feuerwehrmänner, Polizisten und andere Hilfskräfte. Sie erledigten nach den Anschlägen in New York und Washington D. C. einfach nur ihren Job.

Aufrecht stehen sie in der ersten Reihe, vor ihrer Flagge und auch noch vor den heldenhaften Vorbildern der Populärkultur. Auf der letzten Seite des Comics Amazing Spider Man 36, dessen Cover komplett Trauerflor trägt, zollte die Populärkultur diesen Männern und Frauen so ihren Respekt.

Im Comic selbst erzählt Autor J. Michael Straczynski von der Hilflosigkeit der Superhelden, die trotz ihrer Superkräfte nicht in der Lage waren, die gekaperten Flugzeuge zu stoppen. Ein Kunststück, das Superman bereits unzählige Male auf dem Papier vollbracht hat. Aus Demut reihen sie sich hinter den Hilfskräften ein, denen in Comics wie The Call of Duty sogar die Ästhetik der Superhelden übergestülpt wurde.

In der Zeit nach 9/11 zeichnet sich eine nachhaltige Veränderung vom Verhältnis zwischen Populärkultur und Realität ab. Mehr als sechzig Jahre waren die amerikanischen Superhelden die Speerspitze amerikanischer Einbildungskraft: Sie repräsentierten positive Werte, bekämpften soziale Probleme und zogen bereitwillig gegen jeden Gegner in den Krieg.

Oft waren sie der Realität sogar einen Schritt voraus: Bereits acht Monate vor dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg verpasste Captain America im Comic Adolf Hitler einen Kinnhaken. Im Kalten Krieg bekämpften die Heroen den Sowjetkommunismus. Das ist Vergangenheit: Nach den Anschlägen auf das World Trade Center schmälerte sich ihre breite Heldenbrust.

Lag zuvor der Fokus auf Katastrophen wie der Verwüstung ganzer Städte oder gar von Planeten, so standen die Superhelden nun selbst im Blickpunkt. Nur einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erschien eine Superman-Geschichte, in der die "Twin Towers" eines dem World Trade Center ähnlichen Gebäudes beschädigt wurden. Alles, was nur entfernt mit sinnloser Zerstörung zu tun hatte, wurde in Bezug zum 11. September gesetzt.

Doch erst mit dem zeitlichen Abstand gelang eine kritische Auseinandersetzung mit den Ereignissen. Der Patriot "Captain America" stellte als erster Superheld im Frühjahr 2002 die selbstkritisch gemeinte Frage: "Warum haben uns diese Terroristen überhaupt angegriffen?"

Captain America in Guantanamo

Solche Reflexionen ihres Heroen wollten die Leser nicht hinnehmen und John Ney Rieber gab daraufhin seinen Job als Captain-America-Autor auf. Doch auch Riebers Nachfolger Robert Morales blieb kritisch und schickte den Supersoldaten sogar ins berüchtigte Gefangenenlager in Guantanamo Bay.

Die Marvel-Comicreihe Civil War ging 2006 überdies so weit, amerikanische Regierungsentschlüsse indirekt zu kritisieren. Autor Mark Millar beschreibt eine Welt, in der sich alle Superhelden registrieren lassen müssen - angeblich zur Sicherheit der Bevölkerung. Die Parallelen zum Patriot Act, dem Anti-Terror-Gesetz der US-Regierung in Folge der Anschläge, sind nicht zu übersehen.

Doch obwohl sich die Comics in der Folge von 9/11 ganz offensichtlich stark veränderten, bildeten sie nur das ab, was schon immer Gegenstand ihrer Betrachtung gewesen war: Wie in den Jahrzehnten zuvor passte sich die Populärkultur dem Zeitgeist langsam wieder an.

Heiliger Terror, Batman!

Der Zeitgeist wandelte sich, je länger 9/11 in der Vergangenheit lag: Die Superhelden traten vorsichtig aus der zweiten Reihe hervor und nahmen ihre angestammte Rolle als Gerechtigkeitskämpfer wieder auf.

Mit dem wiedergewonnenen Selbstbewusstsein schlich sich in einigen Fällen aber auch eine härtere Gangart ein. In neuen Superheldenverfilmungen wie Kick Ass und Super wird die Rolle des selbstlosen Superhelden durch die übertrieben brutale Selbstjustiz des kleinen Mannes ersetzt. Es wird suggeriert, dass der Amerikaner seine Probleme wieder selbst lösen kann.

"Widerstand ist brutal"

Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung ist der Comic Holy Terror!, geschrieben und gezeichnet vom Comic-Künstler Frank Miller. Sein Werk soll am 14. September im amerikanischen Verlag Legendary Comics erscheinen. Herausgeber Bob Schreck verspricht einen "schnellen, beißenden Kommentar über unsere unberechenbare und unsichere Zeit".

Das ist ein hoher Anspruch, doch der Werdegang des Autors mit einem starken Schwenk der Lebensanschauung sowie die Entstehungsgeschichte des Comics sind selbst bereits als Kommentar geeignet.

Aufgewachsen als Kind der sechziger Jahre wusste Miller, nach eigenen Aussagen, mehr über John Lennon als über die amerikanischen Präsidenten. Die amerikanische Flagge, so gesteht er in einem Interview aus dem Jahr 2006, war für ihn nicht mehr als ein altes Stück Stoff und Patriotismus hatte als Ideal längst ausgedient.

Seine Ansichten änderten sich schlagartig mit dem Angriff auf das Word Trade Center. Als die Terroristen direkt vor seiner Haustür agierten, radikalisierten sich Millers Wertvorstellungen. Er tauschte den Ex-Beatle Lennon gegen die amerikanischen Gründerväter ein und entdeckte den Patriotismus für sich.

In der amerikanischen Comicbranche gilt Miller als Extremist. Dies trifft sowohl auf seine hochstilisierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen zu, bekannt aus seinem Comic und dem gleichnamigen Film Sin City, sowie für seine radikal-konservativen Einstellungen, die ebenso wenig Raum für Grautöne lassen.

Obgleich seine Comics radikal erscheinen, zeichnen sie sich doch stets durch ihren Realismus aus.

Die Veröffentlichung von Holy Terror zieht auch deswegen Aufmerksamkeit auf sich, weil Miller an dem Comic zehn Jahre lang arbeitete - seit dem 11. September 2001. Zunächst trug die Graphic Novel den Arbeitstitel "Holy Terror, Batman!", doch nach dem Erfolg von Batman: The Dark Knight Returns (1986) wollten Miller und die Fledermaus nicht wieder zusammenfinden. In einem Interview aus dem Jahr 2010 erläuterte der Künstler seine Entscheidung: "Ich habe Batman so weit wie nur möglich gepusht, aber an einem bestimmen Punkt hört er einfach auf, Batman zu sein."

Aus "Holy Terror, Batman!" wurde schlicht Holy Terror. Statt des dunklen Ritters soll es "The Fixer" richten, ein von Miller neu geschaffener kostümierter Held. Während Batman den Tod eines Gegners kategorisch ablehnt, schießt der Fixer mit seinen Pistolen zurück. Die Gewalttätigkeit schlägt dem Leser bereits auf dem Cover entgegen und zieht sich durch den ganzen Comic: "Widerstand ist brutal" so der Slogan der Bildergeschichte. Für Fragen nach dem "Warum" bietet Holy Terror wenig Platz, doch gibt es ein Gefühl von Stärke zurück, wo zuvor nur Machtlosigkeit herrschte.

Bereits in seinem später verfilmten Comic 300 zelebrierte Miller die Ästhetik der Gewalt. Ob er in Holly Terror noch weiter geht, bleibt abzuwarten, doch in jedem Fall wird die amerikanische Populärkultur nicht innehalten, sich der Realität immer wieder anzunehmen, sie zu interpretieren und zu kommentieren - das hat die Zäsur des 11. Septembers deutlich belegt.

Daniel Wüllner ist Comicwissenschaftler. Seine Texte über die neunte Kunst finden Sie auf seinem Blog "Neues aus dem Elfenbeinturm" und bei Twitter.

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