Attac in der Krise:Irgendwie dagegen

Lesezeit: 3 min

Wege aus der Krise: Muss es erst so richtig schlimm kommen, bevor es besser werden kann? Attac-Anhänger treffen sich zur Kapitalismuskritik in Berlin und feiern die Ratlosigkeit.

T. Moorstedt

Eine Attac-Veranstaltung darf man sich nicht als einen Kongress vorstellen, in dem es, wohl organisiert und fachlich strukturiert, um die Erschließung eines bestimmten Themas geht. Die Nicht-Regierungsorganisation (NGO) stellt nur den Raum und den Rahmen zur Verfügung, den Ortsgruppen und Einzelpersonen dann nutzen können. Und immerhin: etwa zweitausend Menschen kamen, als Attac am vergangenen Wochenende zum Kongress "Capitalism (No) Exit" an die TU Berlin rief.

Mit wehenden Fahnen zogen 2001 die Globalisierungsgegner in die TU Berlin ein.Nun trafen sich dort die Kapitalismusgegner. (Foto: Foto: dpa)

In rund hundert Veranstaltungen widmeten sie sich der Frage nach der "Geldökonomie und der Antwort buddhistischer Philosophie, Teil 2", nüchternen Nachhilfestunden in Volkswirtschaft und ein paar hitzig geführten Podiumsdiskussionen. "Das ist der größte Event seit unseren Anfangsjahren", erklärten die Veranstalter stolz und wollten einen Aufbruch spüren, so wie in den letzten Jahren, als viele Hunderttausend nach Seattle oder nach Genua kamen, um gegen die "Globalisierung" zu protestieren.

Allein - ist die Bedeutung, die einer Besucherzahl zugeschrieben wird, nicht etwas sehr Bedenkliches, wenn Gegenstand und Inhalt der Veranstaltung offenbar völlig gleichgültig sind? Was soll so gut daran sein, dass man irgendwie dagegen ist?

Wie sehr der Glaube, jede Art von Protest gegen das "System" sei schon ein Schritt zu dessen Überwindung, oder besser: zu dessen ultimativer Verbesserung, das Denken von Attac prägt, offenbart schon das Logo der Veranstaltung: Das Kongress-Artwork zeigt eine Piktogramm-Figur vor grünem Plastik, wie man sie von den Notausgang-Schildern in Flugzeugen und öffentlichen Gebäuden kennt. Der Kapitalismus als Flugzeugabsturz, Großbrand, Ausnahmezustand. Die Krise des Finanzsystems, und die Unsicherheit und "bad vibes", die sie hervorbringen, seien, so war immer wieder zu hören, "ein Schritt in die richtige Richtung".

Auch die New Yorker Soziologin Saskia Sassen, die bekannteste Gestalt auf dem Eröffnungspodium, war dieser Ansicht. Die Krise sei die Bedingung der Veränderung. Wie fatal, wie zynisch diese Logik ist, fiel offenbar niemandem auf: Wie viel Verelendung, wie viel Armut, Hunger, Heimatlosigkeit braucht man, damit Attac erfreut zur Kenntnis nehmen kann, dass die Voraussetzungen für den Widerstand erfüllt sind? Während gleichzeitig, abgesehen von ein paar wilden Protesten in Griechenland, keineswegs zu beobachten ist, dass sich irgendwo ein Unwille formiert.

Eine Frage schlechter

Die Frage "Wer ist schuld?" lässt sich einfacher beantworten als die nach dem "Warum" oder gar die nach dem "Was tun?". Und so kam es bei den Veranstaltungen, die der "Analyse" gewidmet waren, zu starken Meinungsverschiedenheiten, zum Beispiel unter den Teilnehmern des Forums "Staatliche Steuerung im globalen Kapitalismus": Während Peter Wahl, einer der Wortführer von Attac, die Krise darauf zurückführte, dass der Globalisierung der Wirtschaft keine Globalisierung der Kontrollmechanismen gefolgt war, sprach Norbert Trenkle, Redakteur der Zeitschrift Krisis, von einer fundamentalen Krise des "kapitalistischen Akkumulationsregimes". Und meinte: "Wer behauptet, dass die Krise ein Ergebnis politischer Entscheidungen ist, der sagt auch, die Krise ist politisch lösbar, und hält am System fest."

Derartige Äußerungen wurden mit viel Applaus bedacht: "Wir müssen die Systemfrage stellen" oder "Es muss zur Gegnerschaft aufgerufen werden". Solchen Appellen aber wohnt etwas unfreiwillig Komisches inne: Denn was bedeutet eine Aufforderung zur Aufforderung zu einer Gegnerschaft, wenn nicht das Eingeständnis, keinen Grund zu einer Gegnerschaft zu kennen - während man sich gleichzeitig moralisch dazu verpflichtet fühlt?

Richtig schlimm

Saskia Sassen, die die Krise und die "diabolische Intelligenz ihrer Auslöser" mit humorvoller Anerkennung zu verfolgen scheint, bemerkte schließlich: "Wir wollen keine Depression. Wir müssen immer noch wohnen und essen."

Nein, Attac ist keine revolutionäre Bewegung, und am Ende allen scheinbaren Aufruhrs - die erfolgreichste Erfindung von "Attac" ist sicherlich der eigene Name - steht doch immer wieder nur der Appell an dieselbe Politik und dieselben Instanzen der Wirtschaft, ohne deren erfolgreiches Wirken auch die gegenwärtige Krise nicht zustande gekommen wäre: So wurden die Transparenz des Bankenrettungsfonds verlangt oder die Re-Regulierung des Finanzsystems, Dinge also, die gegenwärtig jeder zweite Politiker im Mund führt.

Auf die Frage, was mit den Millionen Arbeitern der Autofabriken und ihrer Zulieferbetriebe geschehen solle, hatten die Aktivisten, die nun die ökologisch korrekte Abwicklung der entsprechenden Industrie forderten, folglich keine Antwort. Und selbst Norbert Trenkle konnte ihnen statt Lohnarbeit nur eine "andere Form der sinnlich-stofflichen Partizipation anbieten".

Das wirkt, gelinge gesagt, schon sehr hilflos. Fast so hilflos wie der in allem Ernst vorgetragene Vorschlag, sich angesichts der Weltwirtschaftskrise wieder mit dem Nationalstaat als Regulierungsinstrument anzufreunden, denn die internationalen Institutionen wie IWF, UNO oder EU hätten offensichtlich versagt. Aber vielleicht gehört auch diese Idee zur seltsamen Logik von Attac, es müsse erst richtig schlimm werden, bevor es besser werden könne.

© SZ vom 9.3.2009/irup/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: