Asylstreit der Union:Die Rhetorik der letzten Frist ist eingeleitet

Warum Horst Seehofers Gerede vom Sonntagabend ein missglückter Sprechakt war. Und warum er de facto damit schon zurückgetreten ist.

Von Lothar Müller

Von einem "Endspiel um die Glaubwürdigkeit" begann Mitte Juni, pünktlich zum Beginn der Fußball-WM, der bayerische Ministerpräsident Söder zu sprechen. Damit war im unionsinternen Streit um die Asylpolitik die Rhetorik der letzten Frist eingeleitet. Wenig später wurde das Wort "Asyltourismus" zu einer Lieblingsvokabel mancher CSU-Politiker. "Die Tonart verschärfen", so ließ sich bis zum Wochenende diese rhetorische Strategie beschreiben.

Seit der Nacht zum Montag aber, seit Horst Seehofer mit seiner bizarren nächtlichen Rücktrittserklärung vor die Presse trat, ist die Eskalation der politischen Konfrontation mit dem Übergang von der rhetorischen Zuspitzung zur performativen Dramatisierung verbunden. Die "performative" Dimension der Sprache beginnt dort, wo sprachliche Äußerungen mehr sind als Aussagen über Sachverhalte in der Welt oder Benennungen von Dingen, wo das Sprechen also zugleich Handeln ist.

Einfache Aussagesätze wie "Der Hund ist bissig" oder "Dobrindt weiß, was er will" können Warnungen oder Drohungen sein, eine Frage wie "Wann hast du dir zum letzten Mal die Haare gewaschen?" in die Rubrik "Jemanden provozieren" fallen. In der Sphäre der Politik ist die performative Dimension der Sprache allgegenwärtig, eine herausgehobene Rolle nehmen in ihr aber die "deklarativen" Sprechakte ein, der Satz "Ich erkläre die Sitzung für eröffnet" zum Beispiel.

Ein klassisches Exempel der Sprechakttheorie für eine "deklarative Sprachhandlung", denen eine starke Kraft der Selbst- oder Fremdverpflichtung ("Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau") innewohnt, ist der Satz: "Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt." Diesen einfachen Satz, der in der politischen Sphäre in der Regel von einer sorgfältig formulierten Rücktrittserklärung ummantelt ist, hat Horst Seehofer in der Nacht auf Montag vermieden. Er sagte: "Ich habe gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle. Dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe. Dass wir aber jetzt noch einen Zwischenschritt einlegen zur Verständigung mit der CDU."

Wie man eine Rücktrittserklärung formuliert, weiß Horst Seehofer. Er kennt die des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, dessen Amt er im Februar 2012 in seiner Eigenschaft als Präsident des Bundesrats kurzfristig übernahm. Nun hat er eine Erklärung formuliert, die weithin als Rücktrittsdrohung verstanden wurde. Eine Rücktrittsdrohung ist eine Sprachhandlung mit paradoxer Struktur. Sie setzt das stärkste Mittel der Selbstverpflichtung ein, um den oder die Angesprochenen zu Handlungen zu bewegen, die es dem Sprecher erlauben, die Selbstverpflichtung nicht einzulösen.

Eine solche Rücktrittsdrohung hat aber, nimmt man ihn beim Wort, Horst Seehofer nicht formuliert. Die ersten beiden Sätze seiner Erklärung enthalten zwar keine formelle Rücktrittserklärung, wohl aber das feste, uneingeschränkte Versprechen, binnen drei Tagen zurückzutreten. Diese Selbstverpflichtung wird durch den dritten Satz keineswegs wieder aufgehoben. Eine denkbare Antwort der Kanzlerin wäre gewesen: "In der Tat, wir sollten uns verständigen. Im Übrigen werde ich deinen für Mittwoch angekündigten Rücktritt annehmen."

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