ARD-Korruptionsskandal:Versunken im öffentlich-rechtlichen Sumpf

Der Fall des Sportreporters Emig steht für kriminelle Machenschaften, für Gier und für das Verschwinden von Grenzen zwischen Journalismus und PR. Es ging um Geld, viel Geld.

Hans Leyendecker

Die Übertragung des Radklassikers "Rund um den Henninger Turm" am Dienstag dieser Woche - das wäre wieder ein Tag für den ARD-Sportmoderator und Radsportexperten Jürgen Emig, 61, gewesen.

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Jürgen Emig, 61, Radsportexperte, Journalist und Moderator. Er wollte Erfolg - offenbar um jeden Preis.

(Foto: Foto: ddp)

Schon Wochen vorher hätte sich der frühere Sportchef des Hessischen Rundfunks (HR) nicht nur als Journalist auf das Rennen vorbereitet, sondern auch mit potentiellen Sponsoren verhandelt. In der Akquise war er ein Ass.

Der Henninger Turm war in mehrfacher Hinsicht seine Hausstrecke. Emig hat jahrelang für den Veranstalter, die Gesellschaft zur Förderung des Radsports GmbH, und für die Firma SMP Sport Marketing & Production GmbH, an der heimlich seine Frau beteiligt war, Türen geöffnet und seine Kontakte eingebracht. Da ging es um viel Geld.

Bestens bekannt mit Strecke wie Kunden

Beispielhaft sind interne Dokumente aus dem Jahr 2002, die mit handschriftlichen Anmerkungen Emigs versehen sind: Bei der Bergwertung Kittelhütte wurde der Rhein-Main-Verkehrsverbund ins rechte Bild gerückt (60.000 Euro). Auf dem Feldberg zeigte die Uhrenmarke Festina (50.000 Euro) nicht nur den Fahrern die Zeit. Eine Lotteriegesellschaft fand an der Verpflegungskontrolle (ebenfalls 50.000 Euro) ihren Platz. Fiat stellte mit dem Firmen-Logo versehene Autos für die Übertragung (45 Pkw, davon 35 mit Schiebedach, zwölf Busse) zur Verfügung und legte noch 50.000 Euro drauf.

Emig kannte nicht nur jeden Meter Strecke, sondern auch jeden Kunden. Ein Mann mit Verbindungen. Weil er mit den Telekom-Gewaltigen vertraut war, bekam sein alter Sender HR bei den Leitungskosten immer wieder mal einen Rabatt von 100.000 Euro.

Doch Emig war an diesem 1. Mai 2007 nicht auf Sendung. Er ist, seit er wegen seiner Geschäfte im Juli 2005 gefeuert wurde, eine Weile aus dem Geschäft. Am Montag hat ihm das Landgericht Frankfurt eine rund 100-seitige Anklage zugestellt, auf die er wohl gewartet hatte: Der Frankfurter Staatsanwalt Michael Loer, der gegen Emig seit Jahren ermittelt, wirft ihm vor, als Amtsträger (Sportchef HR) seine Dienstpflichten verletzt und zur Bestechung angestiftet zu haben.

Seine Frau kassierte über die inzwischen aufgelöste SMP heimlich rund 390.000 Euro. Auch zum Henninger Turm finden sich Hinweise in den Akten. Gegen drei weitere Beschuldigte wurden auch Anklagen gefertigt.

Herdenweise schwarze Schafe

Emigs Fall steht für kriminelle Machenschaften, für Gier und für das Verschwinden von Grenzen zwischen Journalismus und PR. Die offensive Selbst-Kommerzialisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat offenkundig ein Moor entstehen lassen, in dem Sumpfblüten besonders gut gedeihen können.

Es wäre Heuchelei, die Schuld nur in individuellem Fehlverhalten zu suchen. Emigs Fall gehört in die Kette der Skandale über Product-Placements und Schleichwerbung, mit denen das gebührenfinanzierte Fernsehen seine Glaubwürdigkeit riskiert.

Stets war von schwarzen Schafen die Rede, stets zeigte sich am Ende, dass diese herdenweise unterwegs waren. In Schriftsätzen der Anwälte des Journalisten ist vom "System Emig" und vom "System HR" die Rede, die verwachsen gewesen seien - das ist natürlich eine Verteidigungsstrategie, aber so abwegig ist dieses Bild nicht.

Jedenfalls hat der im HR kursierende Spruch: "Öffentlich senden, privat kassieren", vielerlei Bedeutungen. Nach Emigs Berechnungen hat er rund dreizehn Millionen Euro akquiriert, damit der HR im Sport vorne war. Für das Sammeln ist er belobigt worden. Da fallen die 390.000 Euro, die der Familie illegal zugute kamen, kaum noch ins Gewicht - jedenfalls nach der Logik von Drückerkolonnen.

Versunken im öffentlich-rechtlichen Sumpf

Emigs Fall ist ein schwerer Fall. Das zeigt sich auch daran, dass der Journalist versucht hat, Beweismittel beiseite zu schaffen. Er hat, als die Medien, darunter die Süddeutsche Zeitung, im März 2004 über den Verdacht berichteten, steuerliche und geschäftliche Unterlagen, Zeugnisse, Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, Terminkalender in Sporttaschen, Eishockeytaschen und Kartons gepackt und außer Haus geschafft. Als dann das Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, hat er versucht, die Festplatte seines Computers zu säubern.

Und der Sender? Er hat immer wieder von journalistischen Unregelmäßigkeiten im System Emig gehört und lange weggeschaut. Der Journalist Emig, der am Ende seiner Laufbahn 104.265,35 Euro plus 2996 Euro Familienzuschlag jährlich beim Sender verdiente, hatte eine glänzende Karriere hingelegt: 1987 fing er beim Hessischen Rundfunk als Abteilungsleiter der Redaktion Sport-Fernsehen an, 1995 wurden die zunächst getrennten Redaktionen Radio und Fernsehen zusammengelegt. Fortan hieß die Redaktion Radio + TV. Einer bundesweiten Öffentlichkeit wurde Emig als Kommentator der Tour de France vertraut.

"Ich wollte Erfolg haben"

"Ich wollte Erfolg haben", sagt Emig. Da beginnt schon das Problem. Er wollte beim HR und auch sonst den Erfolg mit allen Mitteln erreichen, lange Zeit fiel ihm niemand in den Arm.

Deutschland hat zwar den teuersten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Welt: für die Programme von ARD, ZDF und Deutschlandradio zahlen die Deutschen im Jahr rund sieben Milliarden Euro, aber zumindest einige kleinere Sender sind chronisch klamm. Das hängt mit dem Ausbau der dritten TV-Programme zu Vollprogrammen zusammen, die sehr teuer wurden.

Als Ausweg begann das TV-Management nicht nur in Frankfurt mit der systematischen Akquisition von Zusatzmitteln, insbesondere im Sport: Sponsoren, Banden- und Outdoor-Werbung, Eventsponsoring, Werbung am und mit Athleten und Logoplacement gehören mittlerweile zum Sportereignis.

Der Ausweg aus dem Interessenkonflikt

Wer keiner Hauptsportart nachgeht, beispielsweise einen Marathonlauf veranstaltet und ins Fernsehen will, muss meist zahlen. Das unabhängige Fernsehen kann sich einige seiner Programme nur erlauben, weil sie von einem Dritten finanziert werden. Fachleute haben für den kompletten Kauf den verharmlosenden Begriff "Bereitstellung" gefunden.

In Fachkreisen fiel früh auf, dass im Fall Emig Privates und Berufliches nicht mehr voneinander zu trennen waren. Emigs Ehefrau betreute Sponsoren, die in dem von ihrem Mann verantworteten HR-Sport auftraten.

Erst im Jahr 2000 forderte der damalige HR-Intendant Klaus Berg den Sportchef auf, jede geschäftliche Beziehung mit der Firma seiner Frau abzubrechen. Es gebe einen "Interessenkonflikt".

Versunken im öffentlich-rechtlichen Sumpf

Emig fand den Ausweg: Am 23. April 2001 wurde die SMP gegründet. Als Gesellschafter tauchte der damalige Präsident des Deutschen Tanzsportverbandes, Harald Frahm, auf, der viele Veranstaltungen mit Emig gedealt hatte. Emigs Frau arbeitete nicht für die Firma, kassierte aber die Hälfte der Ausschüttungen.

Wer im Hessen-Sport gesehen werden wollte, hielt sich an die SMP. Gleichzeitig schaffte Emig Millionen für den HR ran. Der Name der Firma war den Sendegewaltigen ein Begriff. Nicht bekannt war, dass Emigs Frau mitkassierte.

Viele Uhren und das verheerende Bild der Branche

Die SMP kam auch mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) ins Geschäft, wo Wilfried Mohren Sportchef war. Als der MDR eine von der SMP vermarktete Motorsportveranstaltung übertrug, vereinbarte die SMP eine Vergütung für Mohren in Höhe von rund 50.000 Euro. Das Geld wurde teilweise an eine Agentur gezahlt, die Mohrens Frau betrieb.

Zu Mohren finden sich in den Emig-Akten Geschichten am Rand der oberen Dubiosität. Auch gegen ihn läuft ein Verfahren, auch er ist von seinem Sender entlassen worden.

Das Bild, das die Fahnder in diesen Tagen vom Zustand des Journalisten-Gewerbes bekommen, ist verheerend. Als sie bei Emig eine Hausdurchsuchung starteten, fanden sie viele Uhren von Festina - Geschenke. Das sei "üblich" erklärte der Journalist.

Üblich scheint eine ganze Menge zu sein: Weil der HR im Herbst 2003 das DFB-Pokalspiel zwischen Kickers Offenbach und Eintracht Frankfurt übertragen wollte, warb Emig auf Bitten der Sendeleitung eine Zeitarbeitsfirma als Sponsor an.

Kundenveranstaltung auf Großleinwand

Die zahlte dem DFB 220.000 Euro für die TV-Lizenz und bekam dafür reichlich Werbung: Auf Spiel und Sponsor wies der HR vorab in Rundfunk- und Fernsehen hin, das Logo der Firma wurde während der Übertragung sehr auffällig ins Bild gerückt. In der Pause wurden Ausschnitte einer Kundenveranstaltung gezeigt, bei der die Zuschauer die erste Halbzeit des Spiels in einem Hotel auf einer Großleinwand verfolgt hatten. Am nächsten Morgen konnte ein Vorstandsmitglied noch ein Interview im Hörfunk bei HR3 geben. Legal - illegal, ganz egal?

"Ich war der Schalck-Golodkowski des Hessischen Rundfunks" hat der beim HR gefeuerte Emig, der Arbeitsprozesse mit dem Sender führt, neulich einem Vertrauten gesagt.

So schlecht wie er klingt, ist der Vergleich gar nicht. Alexander Schalck-Golodkowski war Leiter der Kommerziellen Koordinierung (KoKo) beim DDR-Ministerium für Außenhandel. Schalcks Promotionsthema: "Vermeidung ökonomischer Verluste und Erwirtschaftung zusätzlicher Devisen".

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