"Arctic Monkeys" in Köln:Hätt jott jejange

Bringen Sie noch ein Bier für die Rumpelstilzchen: Die "Arctic Monkeys" geben in der Depressionsstadt Köln ein stimmungsaufhellendes Konzert Von Helge Malchow

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Karl Marx hat behauptet, dass sich alle großen weltgeschichtlichen Ereignisse zweimal ereignen, einmal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Die Rockmusik aber geht schon in die dritte Runde: Nach dem Urknall (Kinks, Who, Stones) und der ersten Wiederauferstehung (Sex Pistols, Clash, Jam, Cure) beobachten wir jetzt die in Rudelgröße nachschießenden Strokes, Libertines, Franz Ferdinand, Maximo Park und Arctic Monkeys. Zwischen Urknall und Wiederauferstehung lagen 15 Jahre Stadionrock mit Sinfonieorchestern, danach 15 Jahre Techno und Hip-Hop. So kommt es, dass sich am Samstag Abend im Kölner Stollwerk bei den Arctic Monkeys drei Altersgruppen zusammenquetschten: 15-25-Jährige (95 Prozent), 40-Jährige (3 Prozent), 55-Jährige (2 Prozent). Und so kommt es, dass die Band ihre Namen von der Ex-Band des Vaters des Schlagzeugers Matt Helders übernommen hat. Der Staffelstab der Geschichte.

"Arctic Monkeys" in Köln: Am Nachmittag, 4:2 in Berlin. Und am Abend die Neo-Neo-Punk-Band der Stunde in der Stadt.

Am Nachmittag, 4:2 in Berlin. Und am Abend die Neo-Neo-Punk-Band der Stunde in der Stadt.

Alles passte: Köln in der Nachkarnevals-Depression. Ewige kulturelle Depression. Ewige Fußballdepression. Plötzlich, am Nachmittag, 4:2 in Berlin. Und am Abend die Neo-Neo-Punk-Band der Stunde in der Stadt.

Das Konzert: Alles bestens organisiert, 13 gute Songs, fast alle bekannt von der einzigen CD. Höllenkrach, es liegen Ohrstöpsel aus. Gemäßigtes Pogo-artiges Geschubse. Vorne ein gut gesicherter Wellenbrecherzaun. Fliegende Bierbecher (voll). Hinter dem Zaun eine Gasse für die Security, die die Stagediver auffängt und höflich wieder in die Menge führt. Wenn der Nachschub stockt, fordern die Auffänger von der Menge neues Menschenmaterial. Man denkt an die riesigen aufblasbaren Hüpfmatratzen für Kinder von McDonald"s bei Straßenfesten.

Hartz IV - aber Spaß dabei

Der Sänger Alex Turner greift sich die Fotokamera eines weiblichen Fans aus der ersten Reihe und knipst sich und die Band beim Rocken. Danach bekommt das Mädchen die Kamera zurück. Hat er sich gut gemerkt.

Ein Fan-Pulk aus Sheffield heizt ein. Auswärtsspiel. Die Band sieht besser aus als überall beschrieben: Der Schlagzeuger mit Sonnenbrille ist der junge Bob Dylan. Das Rumpelstilzchen Alex Turner hat Charme, trinkt heftig Bier und wirkt trotzdem wie eine kerngesunde Variante von Liam Gallagher. Verkapptes Schüchternheits-Charisma. Der bullige Bassist spielt großartig und trägt eine düstere, Unheil verkündende Kapuze, die er dann aber schnell abnimmt. Eine Pudelmütze fliegt auf die Bühne. Ein Roadie fängt sie, verschwindet damit hinter den großen Boxen und setzt sie sich kichernd auf.

Der Höhepunkt des kurzen Abends ist weniger der Hit ¸¸I Bet You Look Good On The Dancefloor", sondern das hinreißende ¸¸Fake Tales Of San Francisco", eine Schnellfeuer-Ballade über Angeber im schmierigen Music-Business. Leider fehlt auch in Köln das langsame, melancholische ¸¸Riot Van", kriegen sie vielleicht live nicht hin. Am Ende wie immer keine Zugabe, alles schon runtergespielt. Die verschwitzten Handtücher fliegen ins Publikum.

Aber dann kommt Alex Turner doch noch mal zurück. Ach so, er hat nur seine blaue Jacke vergessen . . . Nicht gerade Ekstase. Nicht gerade Verausgabung. Aber Ekstase und Verausgabung sind auch immer nur eine andere Art der Show.

Die Arctic Monkeys sind die neue Version des Modells Englische-Jungs-aus-Eckkneipen-und-Vorstadtclubs. Die Hartz-IVer aus Sheffield, die nicht jammern, sondern Spaß haben, sich etwas raufgeschafft haben und wissen, wo sie herkommen. Insofern die perfekte Ergänzung zu den gestylten, ironischen, camp-artigen Maximo Park und Franz Ferdinand, Modell: Kunststudenten spielen für Kunststudenten. Trotzdem sitzen natürlich alle gemeinsam in der ewigen Geschmacksspirale: So wie demnächst wahrscheinlich der Weltgeist den bunten Bildern der Monopol-Maler aus Leipzig oder Berlin die rote Karte zeigen und "kommerziell widerständige" konzeptuelle Gedankenkunst befördern wird, so wird auch der Stern dieser überraschend guten, nie ganz neuen, nie ganz alten Rock-Musik bald wieder sinken, um dann, wahrscheinlich diesmal schneller, zum vierten Mal zurückzukommen. Aber in Köln dachte niemand an die Zukunft. ¸¸Pop-Musik steht formal und in ihrer Geschichtslosigkeit der Ware näher als der Revolution", sagt Diedrich Diederichsen. Yes.

Ach so: Für die Buchbranche, die wegen des illegalen Downloadens vor der Hyäne des Internets zittert, ist die Geburt der Band aus den Tiefen des World Wide Web eine erfreuliche Nachricht. Die Monkeys haben ihre Platte erst kostenlos ins Netz gestellt - und dann doch alle Verkaufsrekorde gebrochen. Hier hat offenbar das Netz die lädierte Musikindustrie nicht weiter geschwächt, sondern als Talent-Scout funktioniert und den Erfolg erst ermöglicht. Vielleicht ist das übertragbar auf Texte und Bücher?

Der Autor ist Buchverleger in Köln (Kiepenheuer & Witsch).

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