Architekturbiennale Venedig:Hanteln stemmen in der Hochhausruine

Was machen berühmte Architekten in Zeiten der Staatsschulden? Auf der Biennale in Venedig wird deutlich: Die Krise erfordert auch einen Kulturwandel der Baukunst. Gefragt sind nicht mehr glamouröse Einzelgänger, sondern gemeinsame Lösungen.

Laura Weißmüller

Meterhoch schraubt sich der Blütenkelch in die Höhe des Arsenale. Durch einen Spalt kann der Besucher ihn betreten und sich im Inneren selbst betrachten, verzerrt von den vielfach gefalteten dünnen Metallplatten. Einen anderen Zweck hat die Arbeit "Arum" offenbar nicht. Sie steht für sich selbst und damit für eine Architektin, die seit den Neunzigern der Welt zeigt, zu welchen Formspielen die Baukunst dank digitaler Entwurfstechniken fähig ist: Zaha Hadid.

Torre David in Caracas

Ein Bild aus dem Torre David. Der Büroturm steht halbfertig mitten in Caracas, in ihm haben sich 750 Familien eingerichtet. Das Architekturbüro Urban-Think Tank hat das Leben der Bewohner dort analysiert und überlegt jetzt gemeinsam mit ihnen, wie man die Bauruine architektonisch so aufwerten kann, dass die Menschen dort besser wohnen können.

(Foto: Iwan Baan)

David Chipperfield, der Kurator der Architekturbiennale in Venedig, hat seine irakisch-britische Kollegin eingeladen, damit sie zusammen mit anderen Architekten, Designern, Kritikern, Studenten und Stadtentwicklern zeigt, worin die Gemeinsamkeiten der Architekten liegen. "Common Ground" hat Chipperfield die 13. Ausgabe der wichtigsten Architekturausstellung der Welt deswegen genannt, die am Mittwoch in Venedig eröffnet hat. Das Spotlight sollte nicht auf das Spektakuläre und Einzigartige, sondern auf das Verbindende gerichtet werden, um sich einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Hat die silberne Blüte also das Ziel verfehlt?

Tatsächlich wird auf dieser Biennale zunächst vor allem sichtbar, was sich spätestens mit Le Corbusiers schwarzer Nickelbrille tief in das Wesen der Baukünstler eingegraben hat: der Hang zur Selbstdarstellung. Das hat nicht nur mit dem ausgeprägten Ego der Branche zu tun. Schließlich greift kein Architekt zum Spaten, damit ein Gebäude entsteht, sondern er versucht, seinen Auftraggeber mit einem Bild zu überzeugen. Gerade in jüngerer Zeit war dabei die Darstellung von sich selbst oft entscheidender als die vom Projekt.

Die Biennale reflektiert das ungebrochen, da Chipperfield allen Teilnehmern freie Hand gelassen hat: Da ist Zaha Hadids Künstler-Performance, die den halbherzigen Versuch, ihr amorphes Formenspiel auf Ingenieur-Architekten wie Heinz Isler und Frei Otto zurückzuführen, vermutlich selbst nicht ganz ernst nimmt. Und Hans Kollhoffs Inszenierung als Renaissancebaumeister, der seinen Studenten die Regeln der Fassadengliederung so konsequent eintrichtert, dass deren Modelle den gleichen aufgeräumt antiseptischen Geist ausstrahlen wie Kollhoffs eigene Entwürfe. Wim Wenders' filmisches Porträt über Peter Zumthor, der sich darin als kauziger Einzelkämpfer für das Gute und Schöne zelebriert. Oder der Beitrag der Schweizer Architekten Herzog und de Meuron, in dem sie den Streit um die von ihnen entworfene Elbphilharmonie thematisieren. Die Wände der Halle sind mit all den Zeitungsartikeln tapeziert, die seit 2003 über das Prestigeprojekt erschienen sind. Was mit "Welle des Glücks" beginnt, endet bei "Hamburgs schönstes Groschengrab". Von den Berichten über Kostenexplosionen oder Gerichtsverhandlungen unberührt, schweben in der Raummitte drei Modelle der Philharmonie. Ihre Schönheit hat die Hamburger damals überzeugt - ohne dass sie wussten, auf welch hochgradig diffiziles Projekt sie sich einließen. Aber hat die Ästhetik tatsächlich nichts mit dem Streit auf der Baustelle zu tun? Etwas mehr Verantwortung hätten die Architekten schon übernehmen können, der Anteil für Stadt und Baufirma bleibt groß genug.

Hilfreicher sind die leiseren Beiträge

Im Jahr vier der Weltwirtschaftskrise wirken gerade die Beiträge der prominentesten Teilnehmer, die auf der Biennale zahlreich vertreten sind, wie der letzte Catwalk, bevor der Vorhang fällt. Die Kultur der berühmten Architekten passt nicht mehr in eine Zeit, in der Nationen vor der Pleite stehen und der Euro-Rettungsschirm immer weiter gespannt werden muss. Der spanische Architekt und Architekturkritiker Luis Fernández-Galiano beerdigt in seinem Beitrag "Spain mon amour" - der auch dem spanischen Pavillon gut gestanden hätte - beispielhaft die Welt der Hochglanzarchitektur, die sich sein Land bis zur Krise geleistet hat.

Hilfreicher bei der Suche nach Gemeinsamkeiten sind die leiseren Beiträge dieser Biennale und die Versuche, den Inspirationen der Architekten auf die Spur zu kommen. Valerio Olgiati macht das auf einem riesigen weißen Diatisch, auf dem das persönliche Bildgedächtnis einiger Kollegen aufgeschlüsselt wird. Andere probieren es mit der Gegenüberstellung ihres Werkes mit Vorbildern wie Grafton Architects, die für ihren Dialog mit der Arbeit von Paulo Mendes da Rocha den Silbernen Löwen bekommen haben. Dazu passt das ungezwungene Plädoyer von "Common Ground" fürs Kopieren.

Nur: Je tiefer man sich in die Ausstellung begibt, desto weniger will sich ein innerer Zusammenhang ergeben. Der x-te Bildatlas eines Architekten löst den ersten wieder auf. Die unzähligen Dialoge vermischen sich zu einer Kakofonie der Positionen. Zum einen fehlt da sicherlich eine kuratorische Hand, zu der Chipperfield schlicht nicht die Zeit gehabt hat: Dem britischen Architekten und seinem Team blieb durch das italienische Macht-Hickhack wenig Zeit für die Vorbereitung. Zum anderen fragt man sich, ob hier nicht zu viel architektonische Nabelschau betrieben wird. Die Welt hätte dringendere Fragen an die Baumeister als die nach deren Wurzelsuche.

Langfristig mehr Sinn

Genau deswegen sind die Beiträge die wichtigsten, die das Thema Common Ground zur Reflexion über den Umgang mit dem gemeinsamen Grund, dem öffentlichen Raum nutzen. Nicht nur weil sie es schaffen, ohne viel Übersetzungsleistung die Verbindung zwischen Architekten und Bevölkerung sichtbar zu machen. Sondern weil sie eine Wertigkeit besitzen, die sich andere erst durch ästhetischen Hochleistungssport verdienen müssen.

Völlig zu Recht bekam daher der Beitrag der Architekten Alfredo Brillembourg und Hubert Klumpner von Urban-Think Tank den Goldenen Löwen. Mit Rechercheteams von ihrem Büro und der ETH Zürich, an der beide unterrichten, untersuchten sie ein Jahr lang den Torre Davide: einen 45-stöckigen Büroturm, der seit Beginn der Neunzigerjahre halb fertig in Caracas vor sich hinrottet. Mehr als 750 Familien haben sich hier eingerichtet, in ungesicherter Höhe werden Hanteln gestemmt und Haushunde shampooniert.

Es gibt kleine Läden und ein Fußballfeld. "Vertikalen Slum" nennen einige in Caracas die bewohnte Bauruine, die der Architekturfotograf Iwan Baan für die Ausstellung wunderbar porträtiert hat. Dementsprechend wütend waren die Kommentare in der nationalen Presse, als bekannt wurde, dass gerade das "Schandmal von Caracas" auf der wichtigsten Architekturausstellung der Welt gezeigt werden soll. Doch Urban-Think Tank geht es nicht um Sozialromantik. Sie untersuchen, wie das Leben im Torre Davide funktioniert, und leiten daraus Strategien ab, wie sich die Wohnsituation verbessern ließe.

Dass diese Art der Herangehensweise langfristig mehr Sinn macht als generalstabsmäßige Planung von oben, macht das Triptychon von Crimson Architectural Historians sichtbar: Vorne sind darauf die staatlichen Ideen für neue Städte zu sehen, auf der Rückseite dann das, was daraus geworden ist. Ob Geisterstadt oder wuchernder Moloch - ans vorgegebene Raster hat sich niemand gehalten.

Dass Planung von oben manchmal jedoch sehr gut mit dem Unvorhergesehenen der Stadtentwicklung einhergehen kann, wenn diese nur genug Raum bekommt, zeigt Norman Fosters Hongkong Bank HQ: Der Hightech-Büroturm ist so aufgesockelt, dass sich unter ihm ein gewaltiger überdachter Platz ergibt. Jeden Sonntag entsteht dort so etwas wie das öffentliche Wohnzimmer der philippinischen Gastarbeiter. In Pappkartonkojen wird gemeinsam gegessen, Zeitung gelesen, gespielt. Pünktlich zum nächsten Bürotag ist alles wieder verschwunden.

Überhaupt Norman Foster: Dem britischen Architekten gelingt mit seiner Installation "Gateway" der eindringlichste Beitrag dieser Biennale, weil hier die Spurensuche nach dem architektonischen Erbe mit dem Wert des öffentlichen Raums kongenial verknüpft wird. Über den Boden der Blackbox rasen die Namen unzähliger Stadtentwickler und Architekten von der Antike bis heute - und verschwinden plötzlich. Eine Diashow bombardiert die Wände mit der kompletten Bandbreite des Lebens, das auf öffentlichen Plätzen stattfindet. Vom kreisenden Pilger in Mekka bis zu aktuellen Demonstrationen in London und Kairo. Von tobenden Massen bei Sportevents über die konzentrierte Stille in Bibliotheken bis zur dichten Enge der Megacitys. So wichtig die großen Namen sein mögen, sie verpuffen doch, wenn die Bevölkerung ihren Ideen nicht zum Leben verhilft. Ein starkes Plädoyer für die Kraft des öffentlichen Raums, das die Dauer der Biennale überdauern sollte. (Einzelkritiken der Pavillons folgen.)

Common Ground, 13. Internationale Architekturbiennale in Venedig, bis 25. November, Infos unter www.labiennale.org

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: