Architektur:Wie aus dem Glühen ein Leuchten wurde

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Die Kathedrale von Chartres, 90 Kilometer südwestlich von Paris. Der Blick zeigt die extremen Helligkeitsunterschiede zwischen dem gereinigten Chor und dem noch unrestaurierten Querschiff. (Foto: Guillaume Souvant/AFP)

Das Innere der Kathedrale von Chartres wurde gereinigt und rekonstruiert. Das Ergebnis ist zwiespältig: Manche bemalten Teile wirken schrecklich bunt.

Von Willibald Sauerländer

An einem sonnenklaren Herbsttag des Jahres 1954 saß der Kunsthistoriker Hans Jantzen, der damals mit seinem Begriff der "Diaphanen Struktur" als der tiefschürfendste Deuter der gotischen Architektur galt, noch einmal staunend und ergriffen im Inneren der Kathedrale von Chartres. Nach einer Weile meinte er: "Ich finde die Kathedrale noch immer genau so schön, nur ist sie heute zu hell." Zwei Jahre später schrieb er in seinem damals viel gelesenen Alterswerk "Die klassischen Kathedralen Frankreichs" über die "ursprüngliche Macht" des gotischen Kirchenlichts: "Der gotische Raum wird mit dunkelfarbigem, rötlich-violettem Licht erfüllt, dessen geheimnisvolles Wesen schwer zu beschreiben bleibt, zumal es nicht aus einer Quelle stammt und in seinen Helligkeitswerten je nach der Witterung der natürlichen Außenwelt fließend erscheint, anschwellend, abschwellend, die Farben in der Dämmerung zu unerhörtem Glühen steigernd." Das Licht von Chartres, welches in den Glasfenstern wie ein überirdisches Mysterium leuchtet, gehörte im vorigen Jahrhundert zu den transzendentalen Träumen einer säkular gewordenen Moderne.

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