Architektur:Ungleiche Zwillinge

Im neu um einen Zwillingsbau erweiterten Museum von Penzberg wird das Werk des Malers Heinrich Campendonk gefeiert.

Von GOTTFRIED KNAPP

Der räumliche Zugewinn, den das Museum im oberbayerischen Penzberg vermelden kann, ist schon von weitem zu erkennen. Das im 19. Jahrhundert errichtete dreigeschossige Bergarbeiterhaus mit seiner zur Straße gerichteten Giebelfront und seinem erkerartig schmalen Vorbau, der mit seinem Giebelchen wie ein Imitat des Hauses wirkt, hat ein Zwillingsgebäude bekommen: Direkt neben dem restaurierten Altbau erhebt sich ein Haus mit der exakt gleichen Kubatur, also mit dem bekannten Spitzgiebel, dem entsprechenden Satteldach darüber und dem nur leicht zur Seite verschobenen türmchenartigen Vorbau.

Im Material freilich unterscheiden sich die beiden Zwillinge beträchtlich. Der Neubau ist mit kohlehaltigem Klinker verkleidet, also mit einem dunkel glimmenden Material, das an die 1966 zu Ende gegangene Blütezeit des Kohlebergbaus in Penzberg erinnern soll. Und da in dem modernen Anbau nicht mehr gewohnt wird wie ehedem im Pendant, sondern empfindliche Kunstwerke gezeigt werden, öffnen sich die Außenwände nur an wenigen Stellen über Fenster hinaus ins Freie.

Die Stadt Penzberg hat also die Riesenchance, die ihr durch die wundersam ins Haus geschwemmte Sammlung von Werken des expressionistischen Malers Heinrich Campendonk geboten wurde, ergriffen und das durch den stattlichen Zuwachs im denkmalgeschützten alten Wohnhaus viel zu eng gewordene Mehrzweckmuseum um einen allen heutigen Ansprüchen genügenden Museumsbau erweitern lassen.

Der mit dieser Aufgabe betraute Penzberger Architekt Thomas Grubert hat sich zum Glück nicht für einen jener austauschbaren Würfel entschieden, die in allen Museumswettbewerben dutzendweis angeboten werden. Er hat den lokalen Prototyp des Arbeiterhauses als Grundform übernommen und alle modernen Funktionen in diesem Gehäuse schlüssig verteilt. Zwischen die beiden korrespondierenden Bauten aber konnte er einen nach vorne und nach hinten verglasten hellen Zwischenraum legen; er bewährt sich im Erdgeschoss als Museumsfoyer und Cafeteria und verbindet im ersten Stock die beiden Museumstrakte über eine Brücke.

Eine Erwähnung verdient hat auch der im zweiten Obergeschoss des Neubaus unter dem Satteldach eingerichtete Mehrzweckraum. Die Elektronikdecke, die dort die beiden Dachschrägen verkleidet, kann sämtliche Farbtöne simulieren und sanft ineinander übergehen lassen. Künstler, die mit langsam mutierenden Lichteffekten arbeiten wollen, etwa im Stil von James Turrell, können sich für diese Situation also etwas Besonderes ausdenken. Dank seiner guten Akustik bietet sich der Raum aber auch als Vortragssaal an.

Bei der Erstausstattung des Doppelhauses wurden die recht unterschiedlichen Bestände des Museums noch einmal in der bekannten Mischung präsentiert. Im Altbau können die Besucher, wenn sie die enge, abgetretene alte Holztreppe hinaufgestiegen sind, in der minutiös rekonstruierten Arbeiterwohnung die dort waltende Armut quasi mit Händen greifen: Die Wohnung, in der bis zu zwölf Leute gelebt haben, besteht aus einer Wohnküche und einem mit Betten vollgestellten Schlafraum, in dem in Schichten geschlafen wurde.

Im Stockwerk darüber wird an die Penzberger Mordnacht und ihre schaurigen Details erinnert: Zwei Tage bevor die Amerikaner 1945 die Stadt in Beschlag nahmen, ließen Mitglieder eines nazistischen Werferregiments acht Personen, die sich um eine Wiederherstellung der demokratischen Ordnung bemüht hatten und die Sprengung des Bergwerks verhindern wollten, ohne Prozess standrechtlich erschießen. Doch der Rachedurst der Unbelehrbaren war damit noch nicht gestillt. In der Nacht holten Mitglieder einer "Werwolf"-Einheit acht weitere Personen, die, wie viele Penzberger, linken Parteien angehörten, aus ihren Betten und hängten sie an den Straßenbäumen vor dem Rathaus auf. Unter den Ermordeten war auch eine schwangere Frau. Die Mörder aber wurden schon wenige Jahre nach ihren Prozessen begnadigt und freigelassen.

Bevor wir nun zum künstlerischen Kern des Penzberger Museums, zu Heinrich Campendonk (1889 - 1957) weiterschreiten, müssen wir der Person ein kleines Denkmal errichten, die es geschafft hat, das Werk dieses kurzzeitig im Kreis des Blauen Reiters tätigen Malers wieder zurück nach Oberbayern zu holen. Gisela Geiger hat es als Direktorin des Penzberger Museums zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, Werkkomplexe bekannter Künstler der klassischen Moderne, die in der näheren Umgebung gearbeitet haben, in ihr Haus zu holen. Neben Campendonk, der nach mehreren glücklich zustande gebrachten Schenkungen und Stiftungen weltweit nirgends besser vertreten ist als jetzt in Penzberg, hat Gisela Geiger auch Arbeiten des bedeutenden abstrakten Malers Gerhard Fietz (Gruppe ZEN 49) - sie wurden in Schlederloh bei München geschaffen - erwerben können.

Vorerst ist aber nur ein repräsentativer Ausschnitt aus dem Werk von Campendonk in dem Haus ausgestellt, das anlässlich der letzten Schenkung in "Museum Penzberg. Sammlung Campendonk" umbenannt wurde. In den zur Verfügung stehenden kleinen Räumen kann man wunderbar nacherleben, mit welch kongenialer Frische der von Franz Marc nach Bayern gerufene junge Maler auf wechselnde Vorbilder wie Marc, Klee, Chagall oder Kokoschka reagiert hat. Später dann, als er Nazi-Deutschland verlassen musste und in Holland Professor wurde, hat er seine poetischen Visionen neopointillistisch fein ausziseliert, aber auch die Kunst der Hinterglasmalerei zu einem letzten Höhepunkt geführt. Die Ahnungen, die das Museum mit diesem ersten Querschnitt weckt, lassen für spätere Ausstellungen also viel erhoffen.

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