Architektur und Moral:Bauten des Bösen

Sankt Petersburg, Peking, Dubai: Die Stars der internationalen Architektur arbeiten begeistert für Tyrannen und Autokraten.

Alexander Hosch

Für den politisch korrekten Architekten tun sich derzeit zum Beispiel folgende Fragen auf: Kann ich für die neue Zentrale des russischen Energie-Leviathans Gazprom guten Gewissens monumentale Türme einglasen?

Architektur und Moral: Der CCTV-Fernsehturm von Rem Koolhaas in Peking

Der CCTV-Fernsehturm von Rem Koolhaas in Peking

(Foto: Foto: OMA Office for Metropolitan Architecture)

Muss ich die Baustellen in Thailand verlassen, weil das Militär geputscht hat? Wie steht es mit Bauten für an sich blitzsaubere West-Demokratien, die sich auf Kuba ein exterritoriales Folter-Areal leisten? Es gibt, man sieht es, gute Gründe für Architekten, die Politik bisweilen zu verdrängen.

Das Bauen unter dem Aspekt der Moral zu verhandeln, mutet in Zeiten der Globalisierung wie ein Treppenwitz an.

Ist es etwa anstößig, in Dubai Luxushotels zu bauen, in Sankt Petersburg eine Konzernzentrale oder in Peking ein Olympiastadion? Fünfzehn der zwanzig größten Architekturfirmen weltweit haben Projekte in China. Fast alle Stars sind am Werk und viele Deutsche, die Anleitungen für Modellstädte liefern.

Wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten hinterlässt das irre Tempo in der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt Schadspuren, bekommen rechtlose Wanderarbeiter für ihre Kärrner-Arbeit Hungerlöhne und selbst die meist zu spät. Aber China möchte neue Städte. Abu Dhabi will einen Louvre von Jean Nouvel und ein Guggenheim von Frank Gehry. Neulich wurde die Münchner Messe Expo Real von XXL-Bauvorhaben in Dubai überflutet. Auch da sind die Großbüros und viele Pritzkerpreis-Träger im Spiel.

Irgendein Architekt baut immer, was man von ihm verlangt. Die Frage nach Realismus oder Opportunismus führt tief ins Wesen des Berufs. Dessen Resultate, das stellte zuletzt der britische Observer-Journalist Deyan Sudjic in seinem Buch ,,The Edifice Complex. How the Rich and Powerful Shape the World'' (Penguin, 2005) umfassend dar, darf man als eine Art immerwährende Siegergeschmacksjustiz lesen.

So sind in der Baugeschichte die Stilgenies stets auch Kulissenlieferanten gewesen, zuständig für das Branding der Macht. Von Nebukadnezar in Babylon über Nero, die Päpste und die französischen Könige bis zu Hitler und Stalin wirkten nicht nur die Tyrannen, sondern die Mächtigen überhaupt auf die Baumeister ein. Das Bundeskanzleramt - es sähe anders aus ohne Helmut Kohl. Das Mahnmal von Eisenman auch. Die Très Grande Bibliothèque von Paris bildet Mitterrand ab.

Bauten des Bösen

Manche Architekten würden dieses Verhältnis gerne umdrehen. Le Corbusier entwarf 1922 den Plan Voisin. Für ein Kreuz aus 18 Wolkenkratzern sollte das alte Antlitz von Paris verschwinden. 1935 suchte er für die Strahlende Stadt eine ,,unbekannte Autorität'', die seine radikalen Pläne mit einem Federstrich durchsetzt, sympathisierte deshalb erst mit dem rechtsradikalen Redressement Francais, dann diente er sich nacheinander Mussolini, den Sowjets und dem Vichy-Regime an.

Architektur und Moral: Die Gazprom-Zentrale des britischen Büros RMJM in Sankt Petersburg

Die Gazprom-Zentrale des britischen Büros RMJM in Sankt Petersburg

(Foto: Foto: Gazprom)

Zur Umsetzung der Stadtmaschine für den gesunden, modernen, stets mobilen Menschen wäre ihm jeder Herrscher recht gewesen. Allein, er fand keinen.

Mies van der Rohe war Direktor des Bauhauses, als die Nazis dieses 1933 schlossen. Doch seine Haltung zum Hitler-Regime war indifferent. Der bedeutendste deutsche Architekt seiner Zeit dekorierte Wettbewerbszeichnungen mit Hakenkreuzen und belieferte noch 1937 den von Speer organisierten deutschen Beitrag zur Pariser Weltausstellung. Die Vermutung, dass die moderne Form jedem, sogar einem totalitären, Inhalt gut anstehen würde, verband Mies van der Rohe mit Walter Gropius.

Lukaschenkos ,,Todesstern''

Ungeachtet der fast sozialdemokratischen Didaktik, die der Bauhaus-Gründer für die einzigartige Kunstschule in der Weimarer Republik entwickelt hatte, verlockte ihn zeitweise die Vorstellung, sich für die Honoratioren der Reichskulturkammer doch noch attraktiv zu machen. Dem Nachruhm dieser drei Sterne der Architekturmoderne schadete die Anbiederei wenig. Ihr Baustil überstrahlte aus Sicht der Nachwelt alle anderen Umstände.

Müsste man aber in demokratischer Zeit das Bauen für Diktatoren nicht ächten? Eine aktuelle Achse des Bösen in der Architektur gibt es: Sie führt zum Beispiel durch Weißrussland und Turkmenistan. Die Kritik reagiert hier flexibel. Während man noch so hilflose gläserne Tor-Bauten in China und Russland als ,,Aufbruchssignale'' begrüßt, wurde das auftrumpfende Glaspolygon der neuen Minsker Nationalbibliothek für Alexander Lukaschenko als ,,Todesstern'' aussortiert.

Der Verzicht auf den selbst unter Despoten nicht mehr durchgängig erwünschten Säulenwahn half nichts. Der gerade gestorbene turkmenische Staatschef Nijasow, der sich seit Jahren von der französischen Firma Bouygues Jubelbauten errichten ließ, konnte von den Ästheten ebenfalls keine Gnade erwarten.

Bauten des Bösen

Architektur und Moral: Jean Nouvels Entwurf eines Opernhauses in Dubai

Jean Nouvels Entwurf eines Opernhauses in Dubai

(Foto: Zeichnung: Ateliers Jean Nouvel)

Hingegen ist die Vermessung von Baukunst und Moral in den scheinbar weicheren, kapitalistisch orientierten Diktaturen komplexer. Wer über Länder am langwierigen Übergang zur Demokratie simpel urteilen möchte, gerät rasch in Argumentationsnot. Die deutschen Architektenverbände ermutigen ihre Mitglieder dazu, in semi-autoritäre Staaten mit entfesselten Wirtschaftsabteilungen Bau-Knowhow zu exportieren.

Doch die Despotien sind zwar durchlässig wie Membranen, wenn es um Geldströme und kosmopolitische Stilangebote geht. Bei Rechten und Pflichten werden die Umgangsformen allerdings oft schnell wieder hermetisch.

Die Bitterkeit von Wolf Prix über gescheiterte China-Projekte (siehe Interview) gibt darüber ebenso Auskunft wie die Geschichte der ungebauten Zayed-Al-Nahyan-Moschee von Jacques Herzog und Pierre de Meuron.

"Bis dort Urbanität sichtbar wird, vergehen mindestens zehn Jahre"

2002 hatte der gleichnamige Wüstenherrscher aus Abu Dhabi die beiden Schweizer kontaktiert. Sie lieferten Vorstudien, dann hörten sie nichts mehr und laufen seither ihrem Geld hinterher. Ähnliches widerfuhr ihnen mit vier chinesischen Projekten.

Nimmt man die deutschen China-Architekten beim Wort, dann scheinen manche durchaus Unbehagen zu empfinden. Albert Speer jr. äußerte über seine ,,nur hinzugefügte'' Satellitenstadt Anting bei Shanghai, sie helfe dort, das ansonsten ,,wilde Wachstum zu organisieren und zu kontrollieren''. Der Münchner Thomas Jocher mutmaßt auf der Website des Goethe-Instituts über die von ihm an der Ostküste geplante Reißbrettmillionenstadt Synia: ,,Bis dort Urbanität sichtbar wird, vergehen mindestens zehn Jahre''.

Und Meinhard von Gerkan vom größten deutschen Architekturanbieter gmp, in China mit rund 50 Baustellen - darunter eine Idealstadt für 800 000 Menschen - vertreten, freut sich über die Rentabilität der Aufträge, auch wegen der raschen Emanzipation gleich nach der Planungsphase: Die Bauaufsicht übernehmen die Chinesen lieber selbst. Gleichzeitig befürchtet er aus genau diesem Grund bald ,,ein gigantisches Bauschadenmuseum''.

Bauten des Bösen

Werden die Deutschen bleiben, wenn die Chinesen es wünschen?Ole Scheeren, der als Partner des Niederländers Koolhaas den Neubau für das Staatsfernsehen CCTV leitet, glaubt: nein! Im Gegensatz zum Gros der Architekten, die aus der Ferne planten, fatalistisch Entwürfe ablieferten und heimfuhren, sei er selbst nach Peking gereist, um dort die Genese des bislang größten OMA-Bauwerks zu begleiten, so Scheeren. Kann man einem regierungshörigen Staatsfernsehen einfach eine schicke Architektur ausliefern?

Scheeren sieht die Chance zur Veränderung durch die jüngere Generation, die bei CCTV nachkommt: ,,Die wollen raus aus ihrer Rolle.'' Und der Bau selbst sieht in einem weltweit kommunizierten anti-hierarchischen Programm (zur Zeit ist dem Entwurf eine Schau im New Yorker MoMA gewidmet) Publikumsverkehr bis in die obersten Etagen vor. ,,Risiken bleiben'', gibt Scheeren zu.

Wir wissen auch nicht, was morgen ist.'' Ob die Strategie der Nötigung zur Umarmung der Öffentlichkeit aufgeht? Wenn zu Olympia 2008 hier der Sendebetrieb beginnt, wird man es sehen.

Architekten auf den Spuren der Aufklärung

Auch Herzog und de Meuron setzen beim Olympiastadion auf offen gelegte Inhalte. Thomas Polster, der die Basler seit drei Jahren in Peking vertritt, betont, wie wichtig es sei, den Baufortschritt fortlaufend zu überprüfen. Die Architektursprache der vogelnestartig verflochtenen Stahlarme liefert eine durchlässige Konstruktion von vibrierender Eleganz. Große Treppen führen mitten durch das Tragwerk und können auch jenseits des Sports von den Menschen genutzt werden.

Der Philosoph Jürgen Habermas lobte an der modernen Architektur einst den integralen Ansatz - den ,,Anspruch eines Stils, der nicht nur Repräsentationsbauten prägt, sondern die Alltagspraxis durchdringt''. So gesehen befinden sich einige Architekten der Hypermoderne in China auf den Spuren der Aufklärung.

So muss in China, Russland oder Dubai jedes Projekt einzeln beurteilt werden. Gespannt sein darf man, wie Gerkan mit einem Quasi-Neubau für das Nationalmuseum den Platz des Himmlischen Friedens entschaudern will. Dort prägen Aufmarschachsen und bewaffnete Staatsdiener in den Nischen der neoklassizistischen Einschüchterungsarchitekturen das Bild.

Ausgerechnet die alte Säulenfront soll als Steinvorhang erhalten bleiben. Das derzeit größte Museumsprojekt der Welt möchte das Ensemble mit Großer Halle des Volkes und Mao-Mausoleum nicht stören. Das genau könnte das Problem werden.

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