Architektur:Sag beim Abschied leise Avus

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Jubiläumsrennen auf der AVUS, 1996 Jubiläumsrennen auf der AVUS (Automobil Verkehrs- und Uebungsstraße), Deutschlands erster Autorennstrecke. (Foto: AMW)

Weshalb man den Verkehr auf der Autobahn in Berlin von einer Zuschauertribüne aus verfolgen kann - und wie ein persischer Marzipanfabrikant das marode Baudenkmal jetzt retten will.

Von Peter Richter

Vielleicht erkennt man Metropolen auch daran, dass die Autobahnen an ihnen nicht vorbeiführen, sondern mitten hinein. Dass man sich nicht durch Hintertüren und Ausfallstraßen reinschleichen muss, sondern dass ein Empfang bereitet wird. In München besorgen das die Türme von Schwabing, Hamburg versucht es immerhin mit dem Horner Kreisel, aber am besten und dramatischsten ist es schon immer noch, wenn man über die Avus, die alte "Automobil-Verkehrs- und Uebungsstraße", von Südwesten her nach Berlin kommt: Erst winkt einem der Berliner Bär von der Bildhauerin Renée Sintenis zu, dann kommt die knallrote Pop-Tankstelle von Rainer Rümmler am ehemaligen Checkpoint Bravo - und dann ist, als wäre es eine musikalische Superkunstpause in einer Opern-Ouvertüre, erst einmal kilometerlang Ruhe. Nichts. Wald. Die Steppen Brandenburgs wirken urban dagegen.

Sven Regener hat die verwirrende Wirkung auf Erstbesucher sehr schön in seinem Roman "Der kleine Bruder" beschrieben - und den Stress, wenn es mit Berlin plötzlich doch noch los geht: Da ist schon das Stahlgerippe des Funkturms, links geht es nach Wilmersdorf, rechts zum Wedding, Entscheidung bitte. Das "Entweder - Oder" von Kierkegaard ist philosophisch eine Lappalie gegen das Ankommen in Berlin. Wer aus Solidarität mit der Arbeiterklasse Wedding wählt, rast zielgerichtet in den Stau vor den bunt bemalten Brandwänden Charlottenburgs, Berlins Äquivalent zu einer Stadtmauer. Wenn man sich bürgerlich entscheidet (Wilmersdorf! Kurfürstendamm!), landet man auf der Höhe eines Großbordells zwar ebenfalls im Stau, kommt aber kurz zuvor noch an einer Zuschauertribüne vorbei, auf der man sich dann applaudierende Massen denken darf, wenn man mit der Art von Selbstwertgefühl ausgestattet ist, das man in Berlin allerdings auch braucht.

In Wirklichkeit winken die Leute hier nicht mal dem zu, der die Stadt wieder verlässt, den Staus entflieht und beim Einbiegen auf die Avus Gas gibt - wenn auch nicht zuviel bitte, denn die Durchschnittsgeschwindigkeit von 129 km/h, die Fritz von Opel hier einst hingelegt hat, war 1921 zwar ein Grund zum Jubel, aber heute wär sie einer für ein Knöllchen. Die Zeiten, in denen das Rasen als etwas Erfreuliches und Sehenswertes galt, sind in Berlin nun einmal eher vorbei, und seit die Stadt 1998 aufgehört hat, die älteste reine Autobahn der Welt gelegentlich auch für Rennen abzusperren, verfallen die Zuschauertribünen aus den Dreißigern.

Man könnte sagen: Sollen sie doch, braucht ja keiner mehr. Aber die Identität einer Stadt fußt nun einmal auch auf ihrer jüngeren Geschichte, und um dieses Stadttor im Westen von Berlin ballt sie sich. Hier war die Deutschlandhalle, die es nicht mehr gibt, hier ist das Raumschiff des Kongresszentrums, dessen Zukunft ungewiss ist, die Messe, der Rundfunk: alles mal Monumente der Modernität. Die Tribünen stehen unter Denkmalschutz, und deshalb ist es so eine rührende Nachricht, dass diese Woche mit dem Austausch der Dächer begonnen wurde, als Beginn einer Sanierung der Anlage.

Pläne dafür gab es schon länger, ein Investor wollte die gesamte 240 Meter lange Tribüne verglasen und als Veranstaltungsraum nutzen, nur passierte nie etwas. Jetzt gehört der Bau seit zwei Jahren Hamid Djadda, einem Berliner Vermögensverwalter mit persischen Wurzeln, der in der Stadt unter anderem eine Marzipanmanufaktur betreibt. Er verspricht, unter den Zuschauerrängen Büros zu bauen, und auch er will einen Teil der Tribüne verglasen lassen, allerdings einen kleineren. Den will dann auch er als Veranstaltungsraum anbieten. Er spekuliert da wohl vor allem auf die Nutzung durch die Messe gleich nebenan. Die Leute könnten dann herumstehen, an den Begrüßungscocktails nippen und durch das Glas in den Berliner Abend hineinschauen. Auf ein paar der verkehrsreichsten Straßen des Landes, die hier wie ein Haufen Spaghetti vor ihnen liegen, und auf das "Avus Motel" in ihrer Mitte, das auch aus den Dreißigern stammt und mit seinen rundum geführten Balkons aussieht, als sei es ein Stapel Reifen, nur halt aus Beton.

Wenn sich der Geist einer radikal autoskeptischen sogenannten Verkehrswende in dem Maße durchsetzen sollte, wie ihre Apologeten das versuchen, könnte das schon bald sehr sonderbar und verrückt wirken. So wie die Bauwerke des Barock zur Zeit des sittenstrengen Klassizismus vielleicht. Das wiederum heißt: Es könnte schon bald darauf eine Sehenswürdigkeit sein, die wieder hinreißt und begeistert.

Fraglich ist trotzdem, wie Djadda mit dem Investment Geld verdienen will. Vielleicht ist es ja reine Raserei. Mit seinem Marzipan macht er eigenen Angaben zufolge nämlich auch keins.

© SZ vom 10.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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