Architektur:Poetisch und funktional

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Der Pritzker-Preis 2018 geht an den Inder Balkrishna Doshi. Das Denken Le Corbusiers prägte ihn, zugleich fusionierte er die Moderne mit den Bautraditionen seiner Heimat.

Von Gerhard Matzig

Bjarke Ingels war der Favorit. Oder Steven Holl. Wolf Prix wird sowieso immer als Kandidat für den Pritzker-Preis gehandelt. Aber auch in diesem Jahr hat die Jury alle überrascht. Die wichtigste Auszeichnung der Architektur geht an den indischen Architekten Balkrishna Doshi, an einen Mann also, der noch mit Le Corbusier zusammengearbeitet hat.

Es war in den Fünfzigerjahren, als Doshi, der mittlerweile 90 Jahre alt ist, die Bauleitungen für vier von Le Corbusier entworfene Industriellenvillen übernahm. Hinter Le Corbusier war es ja oft der "zweite Mann" (und nie eine Frau), dem das Gelingen zu verdanken war. Doch Doshi emanzipierte sich von seinem Meister, gründete ein eigenes Büro und entwarf Wohnsiedlungen, Kulturbauten oder auch ganze Stadtviertel. Das Denken Le Corbusiers prägte ihn, doch zugleich fusionierte er die Moderne mit den Bautraditionen seiner Heimat. Die Pritzker-Jury sieht in seinen Arbeiten sowohl "poetische" als auch "funktionale" Qualitäten.

Nachdem zuletzt relativ junge und relativ unbekannte Architekten aus Spanien mit dem Preis geehrt wurden, scheint jetzt also wieder die Kategorie "Lebenswerk" dran zu sein. Eine Frau allerdings war wohl auch für den 40. Pritzker-Preis nicht aufzutreiben. Erst drei Frauen konnten den Preis erringen.

Als 1979 zum ersten Mal der vom Gründer der Hyatt-Hotelkette Jay A. Pritzker gestiftete "Nobelpreis" der Architektur verliehen wurde, nahm das Dilemma seinen Lauf. Der mit 100 000 US-Dollar dotierte Preis ging von Anfang an nur an die Stars der Branche, an Philip Johnson, Richard Meier oder Frank Gehry. Architektur-Stars und Pritzker-Preis wurden so zu einem System gegenseitiger Beglaubigung: Der Preis trug bei zum Ruhm der Stars, deren Renommee wiederum den Preis stärkte. Die Entscheidung für Doshi ist insofern zu begrüßen. Schön auch, dass der Preis nach Indien geht. Aber mit der Zukunft der Architektur hat diese Entscheidung logischerweise wenig zu tun.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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