Architektur-Ausstellung in Frankfurt:Luftschlösser aus Hartschaumstoff

Glamouröse Ferienhäuser, ein an Seilen aufgehängter Wolkenkratzer und blau leuchtendes Styropor: Eine Ausstellung in Frankfurt am Main zeigt, warum Architekten ihre Visionen immer noch als Modell bauen. Die interessantesten Entwürfe sind nämlich die, die nie realisiert wurden.

Laura Weissmüller

Keine Frage, hier handelt es sich um das glamouröseste Ferienhaus des 20. Jahrhunderts: Das langgezogene Flachdach besteht aus Kupfer, die Fassade, unterbrochen von großen Fensterbändern, aus edlem Zedernholz, und aufgesockelt ist der ganze Bau auf Marmor. Entworfen hat das Feriendomizil in Wyoming kein Geringerer als Mies van der Rohe 1937 für das vermögende Ehepaar Helen und Stanley Burnet Resor. Es sollte sein erstes Gebäude in den USA werden. Gebaut wurde es jedoch erst, als der Auftrag für das Resor House längst schon wieder abgesagt worden war. Der Traum hier hat nämlich nur Modellgröße.

Architektur-Ausstellung in Frankfurt: Der österreichische Architekt Raimund Abraham bevorzugte seinen Entwurf im Zwergenmaß: "Das Haus mit den Vorhängen will ich nie bauen, ich will die Vorhänge schweben sehen."

Der österreichische Architekt Raimund Abraham bevorzugte seinen Entwurf im Zwergenmaß: "Das Haus mit den Vorhängen will ich nie bauen, ich will die Vorhänge schweben sehen."

(Foto: DAM, Foto: Hagen Stier)

Das Deutsche Architektur Museum (DAM) in Frankfurt hat für seine aktuelle Ausstellung seit langem wieder einmal alle Stockwerke freigeräumt. Jetzt bereitet es dort dem eine Bühne, was gewöhnlich nur Souffleur für die Hauptrolle sein darf: dem Architekturmodell im 20. und 21. Jahrhundert. Dass dieses viel mehr sein kann als stummer Stellvertreter für ein Bauprojekt, macht die so aufwendige wie kluge Schau sichtbar, indem sie die Geschichte jedes der etwa 300 ausgestellten Modelle nachzeichnet. Mal ist es Werkzeug, mal Fetisch oder Ersatzhandlung wie bei Mies van der Rohe, häufig Utopie. Und die Ausstellung zeigt auch, warum, allen Computerzeichnungen und digitalen Gebäudebesichtigungen in 3D zum Trotz, die Bauten en miniature bis heute immer noch im Einsatz sind.

Doch was machte das Architekturmodell gerade im vergangenen Jahrhundert so erfolgreich? Modelle von Bauten gab es ja schon lange vorher, allen voran das berühmte Holzmodell der Peterskirche. Doch erst ab dem 20. Jahrhundert setzte sich das Architekturmodell gegen die aufwendigen Perspektivzeichnungen durch. Indem der Kurator der Ausstellung, Oliver Elser, den Fokus auf diese Zeitspanne legt, betritt er nicht nur architekturhistorisches Neuland, sondern zeichnet auch den Siegeszug der Modelle nach.

Grund dafür war vor allem die immer populärer werdende Fotografie, die in Verbindung mit der Drucktechnik das Architekturmodell geradezu zum Wundermittel avancieren ließ. Denn geschickt beleuchtet, dann fotografiert und schließlich gedruckt, erreichen die Abbildungen der Modelle oft eine Präsenz, die das Faktische bei weitem übertrifft.

Eines der schönsten Beispiele dafür findet sich gleich am Anfang der Erfolgsgeschichte: die Sternkirche, 1922 entworfen von Otto Bartning. Die Ausstellung zeigt Innenaufnahmen. Dramatisch fällt das Licht in die vielfach gestaffelte Kuppel und lädt den Bau derart atmosphärisch auf, dass man sich nicht wundern würde, wenn Nosferatu im nächsten Moment die Szene betreten würde. Dass der expressive Entwurf von Bartning niemals realisiert wurde, schmälerte nicht seinen Einfluss auf die Sakralarchitektur. Es reichte, dass die Aufnahmen der Gipsmodelle vielfach publiziert wurden. "Fotomodell" nennt Oliver Elser solche Entwürfe, die mit der fotografischen Abbildung ihren Zweck erfüllt haben - im Grunde das Thomas Demand'sche Prinzip für die Architektur. Baut doch auch der deutsche Künstler Szenen aus Papier nach, nur um sie dann zu fotografieren. Das Abbild ist das Original.

Styropormodell statt LSD-Phantasie

Einem solchen Abbild aus unserer Zeit hat das DAM ein ganzes Kabinett gewidmet: Axel Schultes' und Charlotte Franks Wettbewerbsmodell zum Spreebogen. Bei der Betrachtung der großformatigen Fotografie an der Außenwand hätte man noch gewettet, dass die darauf abgebildete West-Ost-Spange zwischen Bundeskanzleramt und Bahnhof Friedrichstraße von einem LSD-Fan am Computer erstellt worden wäre. Tatsächlich stand jedoch vor der analogen Mittelformatkamera das Modell aus blauem Styrodur, das jetzt im Inneren des Kabinetts aufgebaut ist. Die Klötzchen und Zylinder aus Hartschaumstoff hat man so geschickt angestrahlt, dass sie auf dem Foto psychedelisch von innen zu leuchten scheinen. Die Lichtstimmung hat überzeugt, der Wettbewerbsbeitrag von Schultes und Frank gewann.

Architektur-Ausstellung in Frankfurt: Starke Scheinwerfer beleuchten diesen Wettbewerbsbeitrag für das Neue Museum Berlin so, dass ein dramatisches Spiel von Licht und Schatten entsteht und das Material selbst von innen zu leuchten scheint. Realisiert wurde der Entwurf nie, obwohl das Modell den Wettbewerb gewann: Der eingesetzte Beton hätte diese transluzente Qualität als Baustoff nie erfüllen können.

Starke Scheinwerfer beleuchten diesen Wettbewerbsbeitrag für das Neue Museum Berlin so, dass ein dramatisches Spiel von Licht und Schatten entsteht und das Material selbst von innen zu leuchten scheint. Realisiert wurde der Entwurf nie, obwohl das Modell den Wettbewerb gewann: Der eingesetzte Beton hätte diese transluzente Qualität als Baustoff nie erfüllen können.

(Foto: Schultes Frank Architekten)

Gerade diese eigene Realität des Architekturmodells, die durch das Foto dokumentiert und damit scheinbar bewiesen wird, macht das Hilfsmittel zum Trumpf im Werben um Interesse und Aufträge. Auf die Baustelle geht es schließlich erst später. Das angestrahlte Styrodur suggerierte einen faszinierend transluzenten Baustoff - was der eingesetzte Beton später niemals erfüllen konnte. Genauso zeigte die Schwarzweiß-Aufnahme von Wolfgang Rathkes Vorschlag für den Deutschen Pavillon der Weltausstellung 1967 eine halbdurchsichtige Dachfläche. Etwas, was die Aluminiumrohre, die Rathke dafür plante, kaum so sphärisch hinbekommen hätten.

Auch die gewaltigen Modelle aus der NS-Zeit spiegelten Tatsachen vor, die so glücklicher Weise nie eingetreten sind. Aus dem richtigen Blickwinkel beleuchtet, wirkte vieles, was in den Propagandamedien tausendfach publiziert oder in Filmaufnahmen mit endlosen Kamerafahrten abgefilmt wurde, bereits wie gebaut - obwohl die Realisierung der Großbauten mit dem Ausbruch des Krieges unmöglich gemacht wurde. Gleichzeitig versuchten die Nazis, die metergroßen, extrem aufwendig gestalteten Entwürfe selbst symbolisch aufzuladen. Jährlich wurde etwa in München das Modell des Hauses der Kunst in einem Festumzug zum Haus der Kunst selbst getragen.

Für Adolf Hitler muss die Beschäftigung mit den Minibauten Übersprungshandlung und Fetisch zugleich gewesen sein. Leidenschaftlich gerne beugte er sich Gulliver-bei-den-Zwergen-haft über die Stadtmodelle von Berlin, München oder Linz. Zum 50. Geburtstag ließ er sich von Albert Speer ein Modell des für Berlin geplanten Triumphbogens schenken und noch Anfang Februar 1945 studierte er Hermann Gieslers Linz-Planung in der Reichskanzlei.

Das Nicht-Gebaute begeistert mehr als das Realisierte

Architektur-Ausstellung in Frankfurt: Der Architekt Conrad Roland macht in den Sechzigern einen Vorschlag gegen die vertikale Langeweile: sein Spiral-Hochhaus. Statt monoton ein Geschoss über das andere zu stapeln, hängt er sie an einem Seilnetz auf. Der Blick auf unsere Städte verrät: Nichts davon wurde realisiert. Schade eigentlich.

Der Architekt Conrad Roland macht in den Sechzigern einen Vorschlag gegen die vertikale Langeweile: sein Spiral-Hochhaus. Statt monoton ein Geschoss über das andere zu stapeln, hängt er sie an einem Seilnetz auf. Der Blick auf unsere Städte verrät: Nichts davon wurde realisiert. Schade eigentlich.

(Foto: DAM, Foto: Hagen Stier)

Aber auch jenseits des düsteren Nazi-Kapitels zeigt die Ausstellung, dass kaum etwas so sehr die architektonische Visionskraft kondensiert wie das Modell. An ihm wird auch dem Nicht-Architekten klar, was dieser Beruf so dringend braucht, will er nicht nur Handwerk hervorbringen: die Fähigkeit zu phantasieren. Das fällt typabhängig höchst unterschiedlich aus. Rem Koolhaas arbeitet lässig schlampig mit Besenborsten und Holzklötzchen, um seine Ideen für ein städtebauliches Konzept darzustellen. Gottfried Böhm dagegen lässt von seinem Vorschlag für das Parlamentsgebäude in Bonn gleich einen Bronzeguss anfertigen, der Jahrhunderte überdauern könnte. Und Sergius Ruegenberg gönnt sich bei seinen Modellen einen dadaistischen Spaß und bestückt seine Häuser ready-made-artig mit Abbildungen von Fenstern, Türen und Bodenbelegen aus Magazinen. Seine Modelle gehören zu den großartigsten Fundstücken, welche diese an Überraschungen nicht arme Ausstellung zu Tage fördert.

Und noch etwas zeigt die Ausstellung: Das Nicht-Gebaute wie etwa Arata Isozakis Luftstadt begeistert regelmäßig mehr als das später Realisierte. So faszinierend Frei Ottos spinnennetzartig filigrane Modelle seiner Zelt- und Seilnetzbauten sind, fast den Atem verschlägt es einem bei dem, was sich neben Frei Ottos Formfindungsmodellen wie eine Skulptur von Brancusi unter einer Glasglocke emporwindet. Es ist das Spiral-Hochhaus von Conrad Roland. In den Sechzigern experimentierte der Architekt, der bei Mies van der Rohe und später bei Frei Otto gearbeitet hat, über Raumnetze mit eingehängten Kapseln oder Hängehäusern. Das 120-geschossige Spiral-Hochhaus ist sein Meisterstück.

Statt Geschoss über Geschoss zu stapeln, hängt Roland sie hier an einem außen liegenden Seilnetz auf. Das schafft Spielraum für Formen jenseits der Langeweile unserer gebauten Vertikalen. Doch bei allem Optimismus in den Sechzigern fand auch Roland keinen, der ihm seine Ideen finanzierte. Er verlegte sich auf Kletternetze für Spielplätze, wurde damit reich und wanderte nach Hawaii aus. Das Spiral-Hochhaus wartete 24 Jahre lang in einer Berliner Spedition auf seinen Auftritt.

Andere wollten gar nicht, dass ihr Haus je das Zwergenmaß verließ. Der österreichische Architekt Raimund Abraham schrieb zu einem Entwurf: "Das Haus mit den Vorhängen will ich nie bauen, ich will die Vorhänge schweben sehen. Ich möchte die Vorhänge nicht an den Glaswänden sehen." Ideale Häuser lassen sich eben nur in Modellgröße realisieren.

"Das Architekturmodell. Werkzeug, Fetisch, kleine Utopien", DAM, bis 16. September, Frankfurt, www.dam-online.de

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