Arabischer Meinungsaustausch:Stadt und Rebellion

Zwischen Dschungel-Ländlichkeit und Erdöl-Urbanismus: Schriftsteller, Historiker und Stadtforscher sprechen in Paris über die Kapazität der Städte in der arabischen Welt.

Von Joseph Hanimann

Wenn man den ägyptischen Schriftsteller Ala al-Aswani nach dem bombastischen Projekt "The Capital Cairo" fragt, das von Präsident Abdel Fattah al-Sisi in diesem Frühjahr vollmundig angekündigt wurde, muss er zuerst einmal lachen. Man prahlt nicht mit einem Mercedes der Luxusklasse, wenn man in einem Vehikel am Straßenrand sitzt, spottet der Schriftsteller, dessen Romane ohne das reale Stadtleben Kairos kaum denkbar wären. Ein Drittel der Fünfzehnmillionen-Metropole lebe gegenwärtig ohne Elektrizität, erzählt al-Aswani. Er war an diesem Wochenende in Paris, wo Dutzende von Schriftstellern, Historikern, Stadtforschern am Institut du Monde Arabe sich über die Kapazität der Städte in der arabischen Welt unterhielten, Traditionen zu wahren, das Erbe zu schützen, Rebellionen anzuzetteln und neue Umgangsformen zu erfinden.

Waren die Aufstände in den europäischen Städten des 19. Jahrhunderts ein Kampf der Verschanzung hinter Barrikaden, so waren jene des Arabischen Frühlings ein Kampf der Mobilität durch Handy und Internet, schwärmen manche. Die reale Stadttopografie spielt aber weiter eine Rolle - und manchmal eine überraschende. Der Aufstand vom März 2011 in den syrischen Universitätsstädten sei strukturell ähnlich gelaufen wie jener, der 1961 die Baath-Partei und dann die Assad-Dynastie an die Macht gebracht habe, schreibt der französische Historiker Mathieu Ray im gerade erschienenen Buch "Villes arabes, cités rebelles", herausgegeben von Roman Stadnicki (Édition du Cygne). Wie heute die Universitäten, erklärt er, hätte damals die Offiziersschule in Homs einen entscheidenden Ausschlag gegeben.

Der alte Gegensatz zwischen Stadt und konservativem Land ist nicht mehr so eindeutig

In Ägypten wird oft unterschieden zwischen den revolutionsfreudigen Städten Alexandria oder Kairo im Norden und den langsamer tickenden Städten mit ihren Stammesregeln vorab im Süden. Der Gegensatz zwischen dynamischem Urban- und konservativem Tribalverhalten, in dem sich angeblich auch städtischer und ländlicher Lebensstil sowie wirtschaftliche Zentrallage und Peripherie spiegeln, ist aber nicht mehr so eindeutig. Die Bewohner der Wüstenstadt Suez seien sowohl beim Aufstand gegen Hosni Mubarak 2011 wie bei dem gegen Mohammed Mursi 2013 ebenso mobilisiert gewesen wie jene von Tanta mitten im Nildelta, führt der Politologe Clément Steuer aus. Und selbst in den Nomadenstädten Südtunesiens werde das alte Gewohnheitsrecht der Lokaldynastien, die etwa in der Stadt Douz drei Mausoleen, drei Moscheen und drei gesonderte Eingänge zum Souk geschaffen hätten, um die Stammesgemeinschaften nicht zu sehr zu mischen, durch die Forderung nach mehr Transparenz durcheinandergebracht, erklärt der Geograf Vincent Bisson. Gleichzeitig würden vielenorts aber auch die alten Stadtzentren durch die Verarmung "desurbanisiert" und in eine Art Dschungel-Ländlichkeit zurückverwandelt, sagt der am MIT lehrende syrische Architekturhistoriker Nasser Rabbat in Paris: Der Gegensatz sei heute in Kairo weniger der zwischen Stadtzentrum und Peripherie als jener zwischen heruntergekommenen Traditionsvierteln und neuen, meistens abgeriegelten Geschäfts- und Wohnquartieren, den sogenannten Compounds, kreuz und quer.

Der ägyptische Schriftsteller Ahmed Khaled Towfik hat in seinem Roman "Utopia" schon eine gruslige Vision solcher "gated communities" entworfen, die auch von Stadtplanern schräg angesehen werden. Es sei jedoch nicht alles daran schlecht, wendet die französische Geografin Élise Braud ein und führt als Beispiel das Privatviertel Rehab im Stadtteil New Cairo an. Seine Bewohner gehörten eher zur Mittelklasse, betont sie, die Grenzen nach außen seien ziemlich durchlässig, und man habe dort zumindest im Jahr 2013 gegen Mursi ebenso aktiv demonstriert wie auf dem Platz Tahrir, sei allerdings vom privaten Sicherheitsdienst weniger brutal vertrieben worden als im Stadtzentrum von der Polizei. Unbestritten bleibt dennoch, dass die mit üppigem Investitionsgeld aus Saudi Arabien und den Emiraten sich ausbreitenden Oasensiedlungen rund um Kairo für eine kleine wohlhabende Bevölkerungsschicht gedacht sind, die vom übrigen Stadtleben in Ruhe gelassen sein will.

In großem Ausmaß ist dieser Prozess im "Erdöl-Urbanismus" der Golfstaaten schon im Gang. Dieses Modell einer Ausmerzung spezifischer geografischer, sozialer und kultureller Lokalverhältnisse durch eine globale Vernetzung stößt allerdings - so der Stadtgeograf Mehdi Lazar - an seine Grenzen und verlangt nach einer neuen Einbindung der lokalen Bevölkerung, der Kosmopoliten und der Arbeitsmigranten in einen gemeinsamen Raum. Man kann das auch so formulieren wie der MIT-Professor Nasser Rabbat. Die orientalische Märchenwelt der abendländischen Fhantasie, sagt er in seinem Pariser Vortrag, sei in Form von künstlichen Inseln, von Wolkenkratzern und Luxushotels zwischen Wüste und Meer vom Morgenland noch überboten und zugleich ganz pragmatisch realisiert worden. Sie könnte aber, so die Bedenken des Architekturhistorikers, durch die sozialen Verwerfungen eines neuen Arabischen Frühlings noch schneller auch wieder verschwinden als westliche Traumbilder. Die Bauruinen in Dubai nach der Wirtschaftskrise gaben schon einen Vorgeschmack darauf.

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