App:Sehen und Hören

Aussehen und Musikgeschmack: Die Dating-App Tinder kooperiert jetzt mit dem Musik-Dienst Spotify. Das wirft ein paar Fragen auf.

Von Johannes Boie

"Man sieht nur mit dem Herzen gut", schrieb einst Antoine de Saint-Exupéry. Es ist ein Satz, der leider sehr oft auf Postkarten steht mit Schwarzweiß-Fotografien von sich haltenden Händen oder einzelnen Rosen, gerne ergänzt um die bedeutende Erkenntnis: "Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Dagegen spricht, dass Tag für Tag Millionen Nutzer durch die App Tinder jagen, auf der Suche nach dem attraktivsten Partner für's nächste Date. Dieses Verhalten ist überhaupt erst seit der Gründung von Tinder vor vier Jahren überhaupt eine Möglichkeit des sozialen Umgangs und hat dennoch den Markt für zwischenmenschliche Beziehungen so nachhaltig "disrupted" - das ist der Silicon-Valley-Begriff für: komplett zerstört - wie es sonst nur der Erfindung, Videos im Netz zu streamen mit dem Markt für Videotheken gelungen ist. Und Grundlage dieses Verhaltens sind einzig und allein Fotos, die die Nutzer voneinander in der App zu sehen bekommen. Von wegen: nur mit dem Herzen.

Seit vier Jahren disrupted Tinder, wenn man so will, also auch die etwas idealistischen Sätze des französischen Schriftstellers, der im Sommer 1944 mit seinem Flugzeug ins Meer stürzte. Einerseits.

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Andererseits soll es künftig bei Tinder doch nicht mehr nur ums Aussehen gehen, kündigte die Firma jetzt an. Offenbar ist man in Kalifornien auf die Idee gekommen, dass man auch mit den Ohren, wenn nicht sehen, so doch einiges gut erkennen kann. Deshalb wird die Datingsoftware Tinder jetzt mit Spotify verbunden, einem weiteren Startup-Giganten der On-Demand-Industrie. Spotify gibt es seit zehn Jahren und doch hat das Unternehmen seinen Markt auch schon gewaltig verändert.

Im Gegensatz zu Tinder liefert Spotify seinen circa 100 Millionen Nutzern rund um die Welt nicht Dates, sondern Musik. Die Nutzer bezahlen monatlich pauschal oder, wenn sie Werbung ertragen, gar nicht. Und die Erkenntnis, wer welche Musik hört, soll nun Tinder dabei helfen, noch besser passende Partner für seine Nutzer herauszusuchen. Unklar ist bislang, wie sehr die Musikauswahl den Algorithmus beeinflussen wird. Was wohl passiert, wenn ein Nirvana-Fan auf eine glühende Verehrerin von Axl Rose trifft?

Die Strategie von Tinder wirft aber noch wichtigere Fragen auf. Neben dem Datenschutz, der hier zwei sensible persönliche Lebensbereiche tangiert - nämlich: mit wem schlafe ich, was für Musik höre ich - auch jene Frage, inwiefern Zufall und persönliche Handlungsfreiheit in einer mehr und mehr berechneten Welt eine Rolle spielen. Klar, noch lassen sich Tinder, Spotify wie auch die großen Brüder Facebook und Google im Grunde einfach abschalten. Die Alternativen werden aber weniger, weil sich der Lebenswandel der Mehrheit an den neuen digitalen Möglichkeiten orientiert.

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